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Irmgard Freyer: Die Geschichte vom Prinzen Tsai

Vor vielen Tausenden von Jahren lebt im Reich der Mitte der Prinz Tsai mit seinen drei Brüdern und drei Schwestern am Hofe seines Vaters, des allmächtigen Kaisers Ling. Die schöne und sanftmütige Kaiserin Li war jedoch vor siebzehn Jahren bei der Geburt ihres jüngsten Sohnes Tsai gestorben und seit dem Verlust seiner Gemahlin lagen finstere Nacht und unstillbarer Zorn auf dem Gemüt des Kaisers Ling.

Vor vielen Tausenden von Jahren lebt im Reich der Mitte der Prinz Tsai mit seinen drei Brüdern und drei Schwestern am Hofe seines Vaters, des allmächtigen Kaisers Ling. Die schöne und sanftmütige Kaiserin Li war jedoch vor siebzehn Jahren bei der Geburt ihres jüngsten Sohnes Tsai gestorben und seit dem Verlust seiner Gemahlin lagen finstere Nacht und unstillbarer Zorn auf dem Gemüt des Kaisers Ling.

Um den jungen Prinzen und all seine Geschwister, um den Hofstaat und um das ganze chinesische Volk legt sich tagaus tagein die Angst wie ein Gewand aus schwerer eiskalter Seide. Denn der Kaiser war kalt und grausam, verbat den Menschen zu lachen und verbat dem Volke, in Frieden zu leben.

Die Prinzessinnen und Prinzen wagten kaum, ihrem Vater in die Augen zu schauen, wenn er sie zu sich rief. Sie hatten zuviel Angst, er könne in ihren Blicken etwas anderes als Trauer und Schmerz sehen. Denn das Glück war noch strenger verboten als alles andere.

Doch wenn die Geschwister alleine waren, sangen die älteren für die jungen, die Lieder, die ihre Mutter für sie gesungen hatte, als sie selbst noch Kinder waren. Die Lieder handelten von Nachtigallen in blühenden Kirschbäumen, vom Wind in den Sommerwiesen, von Mädchen, die am Flussufer die Tücher wuschen und an ihre Liebsten dachten.

So lernte Tsai, dass es trotz der ewigen Nach im Reich der Mitte das Licht gibt, dass es trotz des Schweigens der Vögel den Gesang gibt und er erkannte in seinem Herzen, dass die Liebe und die Schönheit auch von seinem Vater nicht zerstört werden konnten.

Je älter Tsai wurde, desto schwerer lastete auf ihm, dass von seinem Land nichts als Krieg und Not ausgingen. Denn dem Kaiser Ling genügte es nicht, dass in seinem Reich Kummer und Finsternis herrschte, er wollte auch die anderen Völker unter das Joch seiner ewigen Wut und Trauer bringen. So sandte Ling Mond um Monde die Boten hinaus in die Welt, um den Herrschern der anderen Länder den Krieg zu verkünden.

Da es vor vielen Tausenden von Jahren noch üblich war, die Überbringer schlechter Nachrichten zu enthaupten, kehrten die armen Boten des Kaiser Ling niemals von ihren Missionen zurück. Begann dann der Krieg, so folgten den Boten die Soldaten in den Tod und die Mütter der Völker weinten um ihre Kinder. Das Weinen drang durch die Mauern der Paläste und das Herz des Prinzen Tsai wurde immer schwerer von zuviel Leid.

Doch eines Morgens belauschte Tsai eine Unterredung der sieben Leibärzte seines Vaters. Sie hatten sich zusammengefunden, um über den kritischen Gesundheitszustand des Kaisers zu beraten. Vier der sieben Ärzte waren sich einig, dass der Kaiser nur noch wenige Tage zu leben habe, zwei sprachen von wenigen Wochen, der jüngste Weise maß dem Herrscher hingegen noch drei Monate auf Erden zu.

Alle sieben stimmten jedoch darin überein, Kaiser Ling nichts von seinem nahenden Tod zu erzählen, da sie sonst noch vor ihm diese Welt verlassen müssten. So trennten sie sich mit versiegelten Lippen und Schritten, die noch leiser waren als das Schweigen selbst.

Tsai hingegen bestellte sofort seine Geschwister zu sich und beriet sich mit ihnen, was nun zu tun sei. Alle kamen überein, dass auf der Stelle heimlich Boten in die gepeinigten Länder geschickt werden mussten, um zu verkünden, dass die große Not bald ein Ende haben würde und die Sonne der Freiheit endlich wieder scheinen würde. So eilten siebenundsiebzig Männer in den Norden, den Süden, den Osten und den Westen.

Tag um Tag warteten die Kinder des Kaisers auf die Rückkehr der Boten, doch keiner kehrte mit der Taube des Friedens zurück. Der Kaiser wurde schwächer und schwächer, die Macht der Dunkelheit blieb jedoch stark wie ehedem.

Eines Morgens jedoch stand mit wundem Körper und letzter Kraft in der Seele der junge Han vor dem Prinzen Tsai. Han war der einzige Bote, der überlebt hatte. Er berichtete, dass alle Männer, die von den Prinzen in die Welt geschickt wurden, bereits enthauptet waren, bevor sie den Mund öffnen und ihre Botschaft verkünden konnten. Denn da aus dem Reich der Mitte in den letzten siebzehn Jahren immer nur Tod und Unheil überbracht wurde, konnte es ja auch diesmal nicht anders sein. Die Menschen hatten genug von den schlechten, leidvollen Nachrichten. Sie wollten keine neuen mehr hören müssen.

Han selber war nur mit knapper Not dem Henkersbeil entkommen und musste flüchten, bevor er die gute Nachricht aussprechen konnte.

Ratlos saßen die sechs älteren Kinder des Kaisers im Kreis, tranken Tee und wussten nicht aus noch ein. Tsai hingegen wandelte nachdenklich durch den Palast und ließ seine Blicke durch die Gänge und Säle schweifen. Er konnte beim Laufen gut sinnieren.

Bei einem seiner scheinbar zahllosen Gänge schaute er in den Raum, in dem die Skribenten des Hofes an den Chroniken des Reiches schrieben und Tag um Tag die Heldentaten des Kaisers und Kriegsherren zu Papier bringen mussten. Tsai hatte schon immer eine große Liebe zu den Schriftzeichen empfunden und war schon oft bei den Schreibern gewesen, um ihnen zuzusehen, wie ihre Pinsel über das Pergament flogen.

Doch jetzt, in dieser Stunde, an diesem Tag brachten ihm die Kalligrafen die entscheidende Erleuchtung. So schnell er konnte, rannte er zu seinen Geschwistern und berichtete von seinem Plan. Freude und Hoffnung erleuchtete die Gesichter der verschworenen Runde.

Noch am gleichen Tag schrieben die Skribenten siebenundsiebzigmal den gleichen Text und siebenundsiebzig neue Boten schwärmten zur Nacht in alle Himmelsrichtungen aus.

Sie liefen Tage und Nächte ohne Rast und Schlaf zu den Schlössern und Palästen der unterdrückten Herrscher. Dort legten sie im Schutze der Dunkelheit die Schriftrollen mit der frohen Botschaft vom nahen Wechsel der Macht im Reich der Mitte vor die Tore und liefen ebenso schnell wieder weg. Niemand durfte sie sehen, niemand sollte sie fangen.

Am nächsten Morgen fanden die Fürsten vor ihren Pforten die geheimnisvollen Rollen, öffneten sie, da sie nicht wussten, woher das wohl kam und was es damit auf sich haben könnte. Nicht wussten, ob es vielleicht gut oder doch schlecht war. Denn allein die Neugier hatte der Kaiser Ling den Menschen noch nicht rauben können.

Als dann in allen siebenundsiebzig Provinzen von den Dächern der Schlösser und Paläste den Völkern die gute Nachricht vom nahenden Frieden verkündet wurde, ging zum ersten Mal seit siebzehn Jahren überall und auch über dem Palast des Kaisers von China die Sonne auf. Im hellen Lichte der ersten Strahlen schickte der Kaiser Ling seine Seele mit einem letzten Schrei in die Ewigkeit.

Sieben Wochen später wurde Prinz Tsai zum neuen Kaiser gekrönt. Seine Geschwister hatten ihn dazu erwählt, denn niemand im ganzen Reich verdiente wie er die Drachenkrone.

So herrschte dann der Kaiser Tsai, Spross der großen und mächtigen Tung-Dynastie, Jahrzehnt um Jahrzehnt mit Weisheit und Güte über sein Land. Kein Krieg tränkte der Boden mit Blut und unter der Sonne ward das Land fruchtbar und glücklich.

Seine Regierungsgeschäfte teilte er mit seinen Geschwistern und klugen Beratern und das Volk erfuhr von alledem über die vielen Boten, die vom Palast aus die Schriftrollen mit den Nachrichten in alle Provinzen trugen.

Das war die alte und vor allem wahre Geschichte vom klugen Prinzen Tsai. Denn ich sage euch: auch noch heute spricht man in ganz China von Tsai Tungs Boten, wenn am Morgen die jungen Burschen im ganzen Land die Nachrichtenblätter vor die Türen der Häuser und Hütten legen.

Irmgard Freyer

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