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Nachbarschaftsprojekt: Die Chaosmanager nach der Geburt

Sie heißen „Wellcome“ und „Känguru“: Zwei Projekte, deren Mitarbeiter Mütter in den ersten Monaten nach der Geburt entlasten.

Zwischen Kistenchaos und Kitasuche wurde es der Mutter und Neuberlinerin Alison Buxton zu viel. Nach dem Umzug von Bayreuth in den Prenzlauer Berg kümmerte sie sich tagsüber um ihre beiden Söhne und ihren Neustart in der Stadt, während ihr Mann seine neue Stelle antrat. Freunde und Familie wohnten weit entfernt. „Ich wusste nicht, wen ich um Hilfe im Chaos fragen sollte“, sagt die 35-Jährige. „Ich kannte hier ja niemanden.“

In ihrer Not meldete sie sich mit ihrem acht Monate alten Sohn Ruben für das Betreuungsangebot des Nachbarschaftsprojekts „Wellcome“ an, das Familien mit Baby praktische Unterstützung durch Ehrenamtliche vermittelt. „Gerade in den ersten Monaten fühlen sich viele Mütter überfordert“, sagt Katharina Haverkamp, Teamleiterin bei „Wellcome“. „Das Kind schreit viel, die anderen Geschwister kommen zu kurz oder die Eltern stehen unerwartet vor privaten Problemen wie Trennung oder finanzieller Not.“

Ein paar Wochen, manchmal auch mehrere Monate stehen dann ehrenamtliche Helfer Mutter und Kind zur Seite – danach sind die ersten Probleme meist gemeinsam gemeistert. 220 Familien entlasteten die Freiwilligen der 17 Berliner „Wellcome“-Teams im vergangenen Jahr. „Früher hatte man eine Nachbarin, die schnell einspringen konnte, wenn die Mutter weg musste oder einfach mal eine Pause brauchte. Dieses soziale Netzwerk fehlt jetzt häufig“, erklärt Katharina Haverkamp den Bedarf nach kurzzeitiger Unterstützung. Dabei gibt es viele, die bereit sind, zu helfen.

Im Evangelischen Waldkrankenhaus etwa treffen sich einmal im Monat die freiwilligen Mitarbeiter des „Känguru“-Projekts der Diakonischen Nachbarschaftshilfe aus Spandau. Nach einem ähnlichen Konzept wie bei „Wellcome“ begleiten Ehrenamtliche wie Anke Mielitz Familien im ersten Jahr nach der Geburt des Kindes. Die 61-Jährige ist derzeit als „Känguru“ bei Zwillingen im Einsatz. „Das ist schon anstrengend“, sagt sie und lacht. Aber es macht ihr Spaß. Nach dem Schritt in die Altersteilzeit wollte sie sich sozial engagieren – und das möglichst kieznah. Mehr als 30 Jahre lang hat Mielitz mit behinderten Kindern gearbeitet, nun leistet sie Starthilfe bei gestressten Eltern in ihrer Nachbarschaft. Halbtags betreut sie die Kleinen, während die Mutter sich um das ältere Geschwisterkind kümmert oder sich einfach eine Auszeit gönnt. 62 Familien konnte im vergangenen Jahr an den zehn Berliner „Känguru“-Standorten auf diese Weise geholfen werden.

Die zehn freiwilligen Mitarbeiterinnen in Spandau bestimmen selbst, wie viel Zeit sie in das Projekt einbringen. Die Gruppe besteht aus Krankenschwestern und Erzieherinnen, aber auch eine Hotelfachfrau und eine 84-jährige Rentnerin sind dabei. Die meisten Engagierten können sich noch gut an den eigenen Babystress nach der Geburt erinnern. Die ersten Regionalteams von „Känguru“ und „Wellcome“, die an Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen oder Nachbarschaftszentren angeschlossen sind, entstanden in Berlin vor etwa drei Jahren. Ein präventives Angebot für Mütter von Säuglingen fehlte bis dahin in der organisierten Nachbarschaftshilfe. Während der Dienst des Diakonischen „Känguru“-Projekts kostenlos ist, wird die Betreuung bei „Wellcome“ mit vier Euro pro Stunden berechnet. „Am Geld darf es nicht scheitern. Da gibt es immer eine Lösung“, sagt Katharina Haverkamp von „Wellcome“. „Aber wir sehen das kleine Entgelt als eine Wertschätzung des Ehrenamtes an.“

Barbara Mauersberger ist eine der insgesamt 160 ehrenamtlich tätigen Berlinerinnen bei „Wellcome“. „Ich wünschte, ich hätte damals solche Hilfe gehabt“, sagt die 33-Jährige, selbst Mutter eines Sohns. Weil sie ihren Alltag mit mehr als der Jobsuche und dem Haushalt füllen wollte, beschloss die Verwaltungswirtin kurzerhand, sich bei „Wellcome“ zu engagieren.

Bei ihrem ersten Einsatz nahm sie einer dreifachen Mutter die Betreuung des Säuglings ab. Auch Neuberlinerin Alison Buxton bekam Hilfestellung durch „Wellcome“. Drei Monate lang half eine Mitarbeiterin bei der Betreuung ihres Sohnes Ruben und begleitete Buxton bei Ämtergängen und Arztbesuchen. Kontakt halten Mutter und Helferin noch immer. „Momentan braucht sie mal Hilfe“, erzählt Alison Buxton. „Während sie im Urlaub ist, gieße ich ihre Blumen.“

Susanne Thams

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