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POSITIONEN: Unter der Latte durchgelaufen

Der Senat muss beim Thema demografischer Wandel mehr Engagement zeigen

Der „demografische Wandel“ ist in Deutschland ein richtiges Modewort geworden. Allerdings fällt jedem etwas anderes bei dem Begriff ein. Die einen denken an Fachkräftemangel, Geburtenrate oder Altersvorsorge, die anderen beschleichen Zukunftsängste und Sorgen mit dem Blick auf schrumpfende Städte und die Bevölkerungsentwicklung. Für die Politik verbindet sich damit die Botschaft an das Wahlvolk: Wir denken heute schon an eure Zukunft und haben Lösungen für die Veränderungen in der Gesellschaft. Auch der Senat hat jetzt ein Demografiekonzept beschlossen. Berlin ist jedoch nicht das erste Land, das sich mit diesen Veränderungen auseinandersetzt. Brandenburg hat bereits seit 2004 ein Demografiekonzept erarbeitet und 15 Wachstumskerne benannt, die besonders gefördert werden. Sachsen hat eine internetbasierte Projektplattform eingerichtet, die gute Beispiele der vom Land geförderten Projekte darstellt, und der Bundespräsident hat eigens ein Demografieforum gegründet, um sich mit diesen Fragen praktisch auseinanderzusetzen.

Berlin ist also spät dran, eigene Konzepte umzusetzen. Dabei klang es nach Aufbruch, Zukunft und neuen Ideen als Klaus Wowereit beim „Stadtforum Berlin 2020“ im April 2007 den Startschuss gab. Er forderte ein Konzept, das wichtige Bedingungen und politische Weichenstellungen für die Zukunft der Stadt finden und vorschlagen sollte. Der Regierende Bürgermeister hat in seiner Rede Mut gemacht. Keine Klischees und Horrorszenarien, sondern eine realistische Analyse und Lösungsvorschläge, die über alle Verwaltungsgrenzen hinweg erarbeitet werden sollten. „Suchen wir ohne Denkverbote und Scheuklappen nach dem Neuen“, forderte er und kündigte an, das Berlin sich auch im Bundesrat mit einer eigenen Initiative zum Thema melden werde.

Doch ist aus diesem hoffnungsvollen Auftakt wirklich ein Zukunftsentwurf für die Stadt geworden? Statt ein strategisches Gesamtkonzept zur Gestaltung des demografischen Wandels zu entwerfen, hat man die bekannten Projekte im eigenen Politikfeld aufgelistet und dem Senat als Demografiekonzept für Berlin vorgelegt. Das Konzept soll untersuchen, wie sich der demografische Wandel auf diese Stadt auswirkt, und es soll zeigen, wo gehandelt werden muss, damit sich Berlin rechtzeitig auf die Veränderungen der älter werdenden Stadtgesellschaft einstellt. In vier Handlungsfeldern will man aktiv werden, um die Bedingungen für eine erfolgreiche Wirtschaft, für Kinder, Jugend und Familien, eine weltoffene und soziale Stadt und ein langes Leben zu verbessern. Nun hat der Senat beschlossen, die Bedingungen für das Wohnen im Alter zu verbessern. Es tut sich also doch etwas? Handfest ist bislang nur eine Absichtserklärung. Zukünftig soll alle drei Jahre ein Demografiebericht erarbeitet werden. 2010 und 2011 will man dann je eine (!) Veranstaltung auf regionaler Ebene und mit den Bezirken durchführen. Das klingt nicht wirklich nach Aufbruch. Was bislang fehlt, ist der Mut, den Wowereit vor zwei Jahren gefordert hat. Die Zukunft der Stadt kann nur unmittelbar mit den Bezirken gestaltet werden. Die lokalen Akteure aus der Wirtschaft und den sozialen Diensten müssen von Politik und Verwaltung bei den Lösungen eingebunden werden. Besonderer Mut gehört auch zum offenen und öffentlichen Dialog mit den Menschen. Es braucht ihre Ideen, und damit auch eine neue Form des Generationendialogs.

Das alles lässt das Demografiekonzept noch vermissen. Der Regierende hat die Latte für die Verwaltung hoch gelegt – und die ist, zwei Jahre später, ganz locker darunter durchgelaufen.

Der Autor ist Vorsitzender des Berliner Beirats für Familienfragen (www.familienbeirat-berlin.de)

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