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Schon als Alice Weidel nur als Spitzenkandidatin vorgeschlagen wurde, brandete Jubel auf im Saal.

© AFP/ Odd Andersen

AfD-Spitzenkandidatin: Alice Weidel, die neue Rechte

Jung, gebildet, homosexuell – kurz vor der Bundestagswahl gibt sich die AfD ein neues Gesicht: Alice Weidel. Doch im Kern bleibt die Partei ganz die Alte. Das gefällt vor allem dem Mann, der die Fäden zog. Eine Reportage.

Für einen Moment scheint Alice Weidel selbst überrascht, welche Wirkung ihre Worte entfalten. Die Delegierten sind aufgesprungen, skandieren „A-f-D, A-f-D“. Weidel – schlank, blondes Haar, dunkler Hosenazug – wartet kurz ab. Dann ruft sie: „Wir sind die einzige Partei für Deutschland in der Bundesrepublik.“ Sie beherrscht die Tonlagen - von schmeichelnder Ansprache, über beißenden Sarkasmus bis hin zum wütenden Crescendo. Und heute lässt sich das Publikum von jedem ihrer Sätze begeistern.

Gemeinsam mit dem 76-jährigen Parteivize Alexander Gauland soll die 38-jährige Weidel die AfD in den Wahlkampf führen. Ein ungleiches Team, doch Weidels Rolle ist klar: Sie soll einen Neuanfang verkörpern, zumindest nach außen hin. Weidel ist jung, lesbisch, wirtschaftsliberal – und spielte in den bisherigen Grabenkämpfen der Partei kaum eine Rolle.

Wenn die Mitglieder des Bundesvorstands jetzt kurz nach der Wahl des Duos auf der Bühne stehen, sich umarmen, die Hände schütteln und ins Publikum winken, dann soll das nach den ewigen Streitigkeiten der vergangenen Monate eine Botschaft senden: alles wieder gut.

Ist es das?

Die Krönung von Gauland und Weidel in Köln ist der vorläufige Abschluss eines chaotischen Parteitages, bei dem die AfD erneut nach rechts gerückt ist. Die Partei hat sich gegen den bürgerlichen Kurs entschieden, den Parteichefin Frauke Petry durchsetzen wollte. Dagegen, sich explizit von rassistischen, antisemitischen, und völkischen Ideologien abzugrenzen. Innerhalb weniger Stunden beschädigte die Partei ihre Chefin am Samstag so stark, dass nicht wenige es für möglich hielten, sie werde zurücktreten.

Seit langem gilt Weidel als Aufsteigerin in der Partei

Die Partei habe eine schwerwiegende Entscheidung getroffen, einen Fehler gemacht, sagt Petry mit versteinerter Miene. Und gefragt, ob das noch ihre Partei sei: „Ich werde mir bis zum Herbst ansehen, wie sich das weiter entwickelt.“ Im Wahlkampf müssten jedenfalls andere eine führende Rolle spielen. Petry bleibt an der Spitze, aber nur unter Vorbehalt. Sie geht auf Distanz zu ihrer eigenen Partei. Als Zugpferd im Wahlkampf steht sie nicht zur Verfügung.

Delegierte fühlten sich an den Parteitag von Essen 2015 erinnert. Damals war AfD-Chef Bernd Lucke unter Buh-Rufen vom nationalkonservativen Flügel geschasst worden. Frauke Petry wurde neue Parteichefin, unterstützt ausgerechnet vom umstrittenen Thüringer Landeschef Björn Höcke. Die Allianz, sie hielt nicht einmal bis zum Ende des Parteitages. Nun wird Petry selbst vom rechtsnationalen Flügel um Gauland und Höcke zur Seite gedrängt. Und Alice Weidel soll das neue Gesicht der Partei sein.

Schon länger gehört die 38-Jährige zu den Aufsteigern in der AfD. Und das, obwohl sie bei der Wahl zum Landesvorstand in Baden-Württemberg kürzlich eine Niederlage erlitt. Weidel hatte sich zuvor den ersten Platz der Landesliste für die Bundestagswahl erkämpft – einigen ging das wohl zu schnell.

Doch Weidel ist auch deshalb ein unverbrauchtes Gesicht, weil sie sich mit Kritik an Parteikollegen zurückhält und sich häufig erst einmal nicht äußert. Beim Parteitag saß sie zurückgelehnt in Hosenanzug und Bluse auf der Tribüne und beobachtete das Geschehen. Von ihr war kein Kommentar dazu zu bekommen, ob sie wirklich als Spitzenkandidatin zur Verfügung stünde. Dabei soll Gauland in kleiner Runde bereits vor zwei Wochen für sie geworben haben – vor Vertretern des rechtsnationalen Flügels, darunter auch der umstrittene Rechtsaußen Björn Höcke und sein Verbündeter, der sachsen-anhaltinische Landeschef André Poggenburg. Denn für sie ist Weidel im Vergleich zu Petry nur das geringere Übel – sie hatte ebenfalls für einen Parteiausschluss Höckes gestimmt.

AfD fordert Mindest-Abschiebequote

Die promovierte Volkswirtin Weidel lebt gemeinsam mit ihrer Partnerin und zwei Kindern am Bodensee. Mit ihrer Regenbogenfamilie könne sie die Vorwürfe, die AfD sei homofeindlich, endlich Lügen strafen, sagt ein Delegierter beim Parteitag.

Weidel soll Parteivize Gauland ergänzen, der als wichtigster Strippenzieher der Partei gilt. Gauland arbeitet daran, dass die Partei auch im ganz rechten Milieu anschlussfähig bleibt, Der 76-Jährige will sich mit dem Einzug der AfD in den Bundestag auch an seiner alten Partei, der CDU, rächen. In dem Wahlprogramm, dass die Delegierten beschlossen, fordert die AfD unter anderem eine jährliche Mindest-Abschiebequote und ist gegen jeglichen Familiennachzug. Kriminelle Migranten sollen ausgebürgert werden. Bekräftigt wird der Anti-Islam-Kurs der Partei mit der Aussage, der Islam „gehört nicht zu Deutschland“.

Weidel unterscheidet sich inhaltlich nicht zu sehr von Gauland. Ihr liberales Image steht in Kontrast zu ihren Äußerungen zum Islam. Nach dem Referendum in der Türkei verkündete sie, Ja-Sagern, die in Deutschland abgestimmt hätten solle die Staatsbürgerschaft entzogen werden. Ein Treffen mit dem Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime lehnte sie ab, was vor allem Parteichefin Frauke Petry ärgerte, die den Termin eingefädelt hatte. In ihrer Rede zur Spitzenkandidatur ruft sie: „Die politische Korrektheit gehört auf den Müllhaufen der Geschichte!“

Scham und Charme. Alexander Gauland versucht seine Kontrahentin Frauke Petry nach der Wahl zum Spitzenkandidaten zu versöhnen.
Scham und Charme. Alexander Gauland versucht seine Kontrahentin Frauke Petry nach der Wahl zum Spitzenkandidaten zu versöhnen.

© REUTERS

Mit solchen Parolen kommt Weidel bei der AfD gut an. Ähnlich wie ihr Satz: „Für unser Deutschland werde ich kämpfen, so wahr mir Gott helfe.“ Zum Problem bei den AfD-Wählern könnte aber Weidels berufliche Vergangenheit werden. Die heute selbstständige Unternehmensberaterin arbeitete für den Finanzdienstleister Goldman Sachs – genau wie einst der von der AfD so verhasste Präsident der Europäischen Zentralbank Mario Draghi.

Viel war im Hintergrund deshalb hin und her verhandelt worden. Noch am Samstagabend sitzen im glasüberdachten Innenhof des Kölner Maritim Hotels verschiedene Grüppchen zusammen. Das Schreckensszenario eines Spitzenteams mit den Spitzenkandidaten aller 16 Länder kursiert. Strippenzieher Gauland berät sich in einer größeren Herrenrunde mit Petry-Gegnern wie Poggenburg und dem Bundesvorstandsmitglied Armin Paul Hampel, der kürzlich erst von einem Ex-AfD-Mitglied wegen des Verdachts der Untreue angezeigt worden war.

Die Demontage von Parteichefin Frauke Petry wird fortgesetzt

Am Sonntag dann geht alles ganz schnell. Nach einigen Diskussionen zum Verfahren tritt Sebastian Münzenmaier ans Mikrofon. Er ist Spitzenkandidat für Rheinland-Pfalz. Sein Antrag: Man solle über ein Spitzenteam aus Weidel und Gauland abstimmen. Auf Nachfrage des Versammlungsleiters erklärt Gauland: „Frau Weidel und ich stehen für ein Spitzenteam zur Verfügung.“ Aber nur zusammen. Die Berliner Landesvorsitzende Beatrix von Storch, die zuletzt auch als Teil eines Spitzenteams gehandelt worden war, wirkt irritiert. Doch die Delegierten haben schon kurz darauf die Stimmgeräte in der Hand. 67,7 Prozent entscheiden sich für das Duo.

So wie die Delegierten Weidel kurz darauf feiern, ist eines klar: Die Demontage der Parteichefin Frauke Petry, die am Vortag begonnen hatte, wird mit dieser Entscheidung fortgesetzt. Weidel ist die neue Frontfrau ihrer Partei.

Dabei hat der Parteitag für Petry eigentlich vielversprechend begonnen. Mit „Frauke, Frauke“-Rufen wird die Parteichefin begrüßt, als sie zur Auftaktrede ans Rednerpult tritt. Doch ihr Werben um ihren „Zukunftsantrag“ wirkt schwach. Die Partei solle sich für den „realpolitischen Weg einer bürgerlichen Volkspartei“ entscheiden und gegen eine Fundamentalopposition. Doch Petrys Gegner verstehen den Antrag als Instrument, mit dem sie künftig ausgegrenzt werden sollen. Da hilft es auch nichts, dass Petry sich bei ihrem Kontrahenten Gauland dafür entschuldigt, ihn namentlich genannt und attackiert zu haben. Der Antrag wird schließlich fast beiläufig gemeinsam mit anderen abgeräumt, er kommt nicht auf die Tagesordnung.

Ko-Chef Meuthen sieht "nur noch vereinzelt Deutsche"

Einen letzten Trumpf hat Petry am Samstagmittag noch. Ihr Verbündeter, der AfD-Vize Albrecht Glaser, setzt sich dafür ein, die Wahl der Spitzenkandidaten komplett von der Tagesordnung zu streichen. Denn ohne Spitzenkandidaten stünde Petry als Parteichefin weiterhin in der ersten Reihe. Eine Abstimmung per Handzeichen bringt zunächst kein eindeutiges Ergebnis, die Delegierten sollen jetzt mit ihren Geräten abstimmen. Kurz sieht es so aus, als könnte der Plan aufgehen.

Da eilt Petrys Ko-Chef Meuthen, der schon seit längerem gegen Petry paktiert, zum Mikrofon. „Ist jedermann bewusst, dass wenn dem Antrag zugestimmt wird, wir ohne Spitzenkandidaten aus diesem Bundesparteitag gehen?“, fragt er. Das wirkt: Bei der anschließenden Abstimmung sind 208 Delegierte für den Vorschlag, 276 dagegen. Der Antrag ist abgelehnt. Petrys letzter Trumpf ist dahin.

Doch die Parteichefin muss sich ohnehin fragen, ob sie diese AfD in den Wahlkampf hätte führen wollen. Denn die Reaktion auf Meuthens spätere Rede zeigt, wo die Partei wirklich steht. In seiner Heimatstadt sehe er „nur noch vereinzelt Deutsche“, beklagt er. Man wolle nicht zur Minderheit im eigenen Land werden. Denn: „Dies ist unser Land! Das Land unserer Großeltern und Eltern! Wir müssen es zurückerobern!“ Meuthens Worte ließen sich auf die plumpe NPD-Formel „Deutschland den Deutschen“ reduzieren. Doch im Publikum stehen sie spontan auf, klatschen, rufen Bravo. Auch die Bundesvorstandsmitglieder Hampel und Poggenburg erheben sich zum Applaus.

Besorgte Bürger. Zehntausende demonstrierten gegen den Parteitag der Rechtspopulisten. Immer wieder kam es zu Gerangel mit der Polizei.
Besorgte Bürger. Zehntausende demonstrierten gegen den Parteitag der Rechtspopulisten. Immer wieder kam es zu Gerangel mit der Polizei.

© imago/Christian Mang

Das frische Gesicht der Spitzenkandidatin Weidels steht nun in krassem Gegensatz zu dem, was sich im Hintergrund in der Partei abspielt. Weidel wird sich in ihrer neuen Rolle in Zukunft auch mit Höcke auseinandersetzen müssen. Bei einer Pressekonferenz am Nachmittag verkündet sie, sie werde natürlich – sollte Höcke in der Partei bleiben – auch mit ihm in Thüringen Wahlkampf machen. Doch in der Vergangenheit hatte sie durchaus deutlich gemacht, dass sie von den Provokationen des ehemaligen Geschichtslehrers genervt ist. Dazu kommt, dass ihr Ko-Spitzenkandidat Gauland ein bekennender Höcke-Unterstützer ist.

Frauke Petry will nun beobachten - und kritisieren

Die Konflikte, sie sind alles andere als ausgestanden. Für Weidel kann das künftig unangenehm werden. Einer aus dem Petry-Lager prognostiziert in der Kaffeepause, dass nun die neuen Spitzenkandidaten ins Zentrum der Kritik rücken werden. Petry dagegen könne sich nun erst einmal zurücklehnen und die Arbeit von Gauland und Weidel begutachten, sie gegebenenfalls auch kritisieren.

Für den Moment des Parteitages kann Weidel die Zuneigung der Partei genießen. Kurz nach ihrer Wahl schütteln ihr alle Mitglieder des Bundesvorstands die Hand, umarmen sie. Nur Frauke Petry bleibt zunächst am Rand der Tribüne sitzen und schaut mit verkniffenem Gesicht auf ihren Bildschirm. Für sie wird der Platz in der Partei knapp. Da ändert es auch nichts, dass Gauland ihr in seiner Rede später noch einmal ein Versöhnungsangebot macht: „Wir brauchen Frauke Petry im Wahlkampf“, sagt er da. Und auch wenn er ihr daraufhin die Hand küsst: Frauke Petry muss klar sein, dass das nicht mehr stimmt.

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