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Was plant Sigmar Gabriel? Einen Coup? Will er Rücktritte provozieren? Der Vize-Kanzler weist das weit von sich.

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Angriff auf die Kanzlerin: Wie viel Frank Underwood steckt in Sigmar Gabriel?

Vielleicht ist es seine letzte Chance. Die Umfragen sehen nicht gut aus für die SPD und ihren Vorsitzenden Sigmar Gabriel. Sein Prestigeprojekt Energiewende stockt. Die Kanzlerin scheint unbesiegbar. Was er jetzt wagt, ist ein Coup – ein riskanter.

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Es ist einer der seltenen Momente deutscher Politikberichterstattung, die an die US-Serie „House of Cards“ erinnern. In dem Politthriller zettelt Kevin Spacey als Frank Underwood mit diabolischem Lächeln eine ausgefeilte Intrige nach der anderen an. Sigmar Gabriel lächelt nicht diabolisch, sondern vertrauenerweckend freundlich, als er am Dienstag im „Heute Journal“ von Moderatorin Marietta Slomka gefragt wird, warum er die mögliche Wirtschaftsspionage des BND zur Staatsaffäre erklärt. Will er Ministerrücktritte oder gar eine Regierungskrise provozieren?

Im Grunde fragt Slomka, ob Gabriel ein Intrigant ist. Der Vizekanzler weist das weit von sich. Unschuldsmiene und Augenaufschlag: „Das ist alles der übliche Quatsch, der in den Politik-Medienkreisen erzählt wird.“ Er beharre nur deshalb auf Aufklärung, weil er als Wirtschaftsminister ständig nach Wirtschaftsspionage gefragt werde und deutsche Unternehmen schützen müsse.

Man kann das glauben. Man muss es aber nicht. Ein paar Stunden vor dem Interview hat er noch ein anderes Motiv angeführt. Er wolle verhindern, „dass die SPD in diesen Sumpf hineingezogen wird“, sagt er vor der SPD-Fraktion. Und auch diese Begründung vernebelt mehr als sie erhellt.

Gabriel machte die Aussagen der Kanzlerin öffentlich

Fest steht: Am Montagmittag hat Gabriel im Willy-Brandt-Haus den Koalitionsfrieden aufgekündigt und die Kanzlerin in den Mittelpunkt der BND-Affäre gerückt. Von sich aus machte er die Aussage der Kanzlerin öffentlich, es gebe keine Hinweise für Wirtschaftsspionage. Und er verlangte ultimativ Aufklärung.

Die wenigen Sätze machten sofort Schlagzeilen und bereiten seither Leitartiklern und Parteistrategen Kopfzerbrechen: Warum versucht der Vizekanzler das Schlaglicht der Affäre direkt auf Merkel und ihre Verantwortung zu lenken? Warum begeht er mit dem Ausplaudern ihrer internen Einschätzungen einen Vertrauensbruch, der sein persönliches Verhalten zu ihr belasten muss? Will er am Ende gar Voraussetzungen für einen Bruch der Koalition schaffen? Und welche politischen Alternativen könnte er dann auf dem Weg zur eigenen Kanzlerschaft nutzen? Wie viel Underwood steckt in Gabriel?

Viel spricht dafür, dass Gabriel seine Attacke auf Merkel sorgfältig vorbereitet hat. Die auffällig scharfen Töne von Parteivize Ralf Stegner und Generalsekretärin Yasmin Fahimi über die Verantwortung des Kanzleramtes für die BND-Affäre in den Tagen zuvor waren mit ihm abgestimmt, beide handelten in seinem Auftrag. Er selbst informierte die Kanzlerin angeblich noch telefonisch über seine Pressekonferenz. An der Härte seiner Kampfansage änderte das nichts. Denn die öffentlichen Vertrauensbeteuerungen („Frau Merkel hat mich garantiert nicht angelogen“) dienen nur der Tarnung einer Falle, die Gabriel aufstellt: Bleibt am Ende doch etwas übrig vom Verdacht, das Kanzleramt habe zugeschaut, wie der BND in amerikanischem Auftrag deutsche Firmen auskundschaftete, steht Angela Merkel als Lügnerin da.

Szenen einer Zweckehe. 2007 präsentieren sich Angela Merkel und Sigmar Gabriel noch demonstrativ zusammen in Grönland. Gemeinsam für die Energiewende. Doch das Prestigeprojekt stockt.
Szenen einer Zweckehe. 2007 präsentieren sich Angela Merkel und Sigmar Gabriel noch demonstrativ zusammen in Grönland. Gemeinsam für die Energiewende. Doch das Prestigeprojekt stockt.

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Warum geht er gerade jetzt auf Distanz?

Dass es so kommt, ist Gabriels Hoffnung, aber bislang nicht mehr als eine Möglichkeit – und noch nicht einmal eine sehr wahrscheinliche. Warum also riskiert er, die Stimmung in der Koalition zu ruinieren, die Regierungsarbeit schon ein Dreivierteljahr vor den Landtagswahlen des Jahres 2016 zu blockieren?

Will man verstehen, warum der Vizekanzler nun zuschlägt, muss man sich das ganze Bild ansehen. Dazu gehört die Verzweiflung der Sozialdemokraten darüber, dass sie nicht aus dem Umfragetief kommen, obwohl sie ihre Wahlversprechen alle umsetzen. Dazu gehört auch die selbstquälerische Neigung der Genossen, Angela Merkel einen Nimbus der Unbesiegbarkeit zuzuschreiben. Die Quasi-Präsidentin, die über dem Parteienstreit schwebt, endlich einmal hinunter in die Kampfarena ziehen zu können – auch das ist ein starkes Motiv.

Die Kosten nimmt Gabriel in Kauf. Er weiß genau, wie empfindlich Merkel auf Vertrauensbruch reagiert. Vor fünf Jahren war ihre Antwort-SMS auf seinen Vorschlag, Joachim Gauck zum Präsidenten zu wählen, öffentlich geworden („Danke für die info und herzliche grüße am“). Wochenlang verweigerte die Kanzlerin danach jeden Austausch mit dem Empfänger ihrer SMS, den sie für die Indiskretion verantwortlich machte. Gabriel weiß aber auch, dass die SPD ein Signal des Aufbegehrens herbeisehnt.

Als "tiefenfrustriert" beschreiben ihn die Genossen

Und man muss auch Gabriels Charakter in den Blick nehmen, den Gefühlspolitiker, der Chancen wittern kann, aber auch von seinen eigenen Gefühlen und Stimmungsumschwüngen abhängig ist wie wenig andere auf der Berliner Bühne der Macht. Ganz unterschiedliche Phasen hat der SPD-Chef durchlaufen in den vergangenen Monaten, seit er sich Anfang des Jahres in einer sächsischen Gesundheitsklinik langweilte und deshalb bei einer Pegida-Debatte in Dresden auftauchte. Als „tiefenfrustriert“ beschrieben ihn manche Genossen im Februar, als der Parteivorstand im Februar auf dem Gut Borsig bei Nauen zur Jahresplanung zusammenkam und sehr ratlos wieder auseinander ging. Damals machte Gabriel selbst den Eindruck, als halte er Merkel für unbesiegbar.

Jetzt aber läuft ihm die Zeit davon. Seine Konkurrentinnen und Konkurrenten in der SPD dagegen haben alle Zeit der Welt. Arbeitsministerin Andrea Nahles, einst Juso-Chefin und Vorzeigelinke, arbeitet an ihrer Wandlung hin zur politischen Pragmatikerin. Sie könnte es verschmerzen, wenn die Bundestagswahl in zwei Jahren Gabriel nicht ins Kanzleramt trägt. 2021, wenn Merkel nach menschlichem Ermessen nicht mehr antritt, hat Nahles gerade mal ihren 51. Geburtstag hinter sich. Olaf Scholz, vor wenigen Wochen als Erster Bürgermeister von Hamburg wiedergewählt, traut sich auch größere Aufgaben zu. Er wird dann auch erst 63 sein – und damit keineswegs zu alt, um nach der Kanzlerschaft zu greifen.

Der SPD-Chef dagegen muss sogar damit rechnen, dass er sein Amt verliert, wenn er mit seiner Kandidatur 2017 die Partei nicht entscheidend nach vorne reißt, wofür heute noch wenig spricht. Es wird eng – und das gilt auch für das ehrgeizigste Projekt der großen Koalition, für das niemand anderes als Gabriel verantwortlich ist: die Energiewende.

Zerreißt der Vertrauensbruch die Koalition?
Zerreißt der Vertrauensbruch die Koalition?

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Noch einmal Vize-Kanzler unter Merkel - das will er nicht

Wer dieses komplexe Vorhaben meistert, so lautete ursprünglich Gabriels Plan, der empfiehlt sich für wichtigere Aufgaben. Doch die Energiewende, die eigentlich bis zum Sommer stehen soll, stockt. Und das liegt nicht nur an Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer, der die Nord-Süd-Trassen blockiert. Teile der Union mauern aus Angst um die Zukunft des Kohle-Abbaus, aber auch Gewerkschaften und SPD-Länder stellen sich gegen den Plan des Wirtschaftsministers. Die Kanzlerin hält sich, wie so oft, bedeckt. Gabriel fühlt sich von ihr verraten.

An der Kanzlerkandidatur kommt Gabriel nicht vorbei. Es gibt 2017 keinen Peer Steinbrück, der das Aussichtslose für ihn versuchen muss, auch EU-Parlamentspräsident Martin Schulz will das nicht. „Er weiß, dass er es selber machen muss“, heißt es in der SPD. Wer mit dem Rücken zur Wand steht, kann nur mit einer Strategie wieder in die Offensive kommen: – mit Vorwärtsverteidigung. Frei nach dem Sponti-Spruch: Du hast keine Chance, also nutze sie.

Der neue Gabriel und sein Angriff auf die Kanzlerin beflügeln die politische Fantasie der Sozialdemokraten: Wenn das CDU-geführte Kanzleramt mauert bei der Verteidigung von Bürgerrechten, dann schweißt das SPD und Grüne zusammen und mindert die Chancen einer schwarz-grünen Koalition auf Bundesebene 2017. Auch deshalb pocht Gabriel auf die Freigabe der Liste der Suchbegriffe („Selektoren“), die Merkel erst mit den Amerikanern bereden will.

Viele trauen Gabriel zu, die Koalition aufzukündigen

Ohnehin ist manchen Genossen aufgefallen, wie knallhart der Vizekanzler beim Koalitionsausschuss vor zehn Tagen alle Koalitionsforderungen nach Änderungen beim Mindestlohn abblockte. Vielen ist seither klar: Eine neue Phase ist angebrochen. Härte beim Mindestlohn – das schafft auch Gemeinsamkeiten mit der Linkspartei. Nur die könnte Gabriel nach einem Bruch der großen Koalition zum Kanzler machen. Aber wie man in Zeiten der Ukraine-Krise den Graben zwischen der SPD und der Linken überwindet, das überfordert sogar die Vorstellungskraft von den Sozialdemokraten, die eine solche Koalition herbeiwünschen.

Ein Risiko bedeutet das Hochziehen der Affäre aber auch für manche Parteifreunde. Schon starten Unionspolitiker eine Art Retourkutsche und verweisen darauf, dass die Zusammenarbeit mit der NSA in der Regierungszeit Schröders intensiviert wurde. Sie zielen damit auf Außenminister Frank-Walter Steinmeier, der damals Kanzleramtschef war. Er wisse nicht, „was ich zur Aufklärung beitragen kann“, verkündete der Außenminister und versicherte, er stehe dem Untersuchungsausschuss zur Verfügung.

Mittwochmorgen, Tag zwei nach Gabriels Kampfansage. Im Kanzleramt kommt das Kabinett zusammen. Alle beobachten genau, wie Merkel und Gabriel miteinander umgehen. Der Ton bleibt freundlich, geschäftsmäßig. War was? Jeder am Tisch weiß, dass Gabriel Misstrauen in die große Koalition getragen hat. Aufgekündigt hat er sie nicht. Viele trauen ihm aber genau das jetzt zu.

Dieser Text erschien auf der Dritten Seite

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