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Observation gehört zu den lukrativsten Aufgaben eines Detektivs.

© Getty Images

Die hohe Kunst des Schnüffelns: Berlin ist die Hauptstadt der Privatdetektive

Ehebrecher ausspionieren? Pfeife? Das war gestern. Nirgendwo werden mehr Privatdetektive ausgebildet als in Berlin. Doch es gibt Dinge, auf die kann sie niemand vorbereiten.

Im Ohr krächzt es: „Zielperson verlässt das Objekt.“ Der Mann, um den es geht, sieht aus wie ein Seemann, mit tief in die Stirn gezogener Wollmütze. Er schlappt vom Parkplatz des Hotels wie einer, der Zeit hat – genau beobachtet von drei Mitläufern, die eben noch rauchend am Straßenrand standen, zwei junge Männer und eine Frau, mit Funkgeräten hantierend. Die Ohrstöpsel tarnen sie so gut es geht unter einer Strickmütze (Mann 1), einer Kapuze mit Fellkragen (Frau) und hinter einem Smartphone (Mann 2).

Der Seemann soll ein Erpresser sein. Die drei sind auf ihn angesetzt. Eine fünfte Person behält sowohl den Seemann als auch seine Verfolger mit einer Videokamera im Blick. „Das machen die schon ganz gut“, sagt Herr M. und meint seine drei Schüler, die der Person nun durch die Straßen von Lichtenberg folgen.

Mann 1 und 2 sowie die Frau wollen Privatdetektive werden. Eigentlich ist dafür nur ein polizeiliches Führungszeugnis und ein Gewerbeschein nötig. Andererseits sind die Anforderungen an diesen Beruf so komplex und vielfältig, dass die drei eine mehrmonatige Ausbildung zur „Fachkraft Detektiv“ begonnen haben. Sie und ein Dutzend andere sind für einen Intensivkurs nach Berlin gereist. Nirgendwo werden so viele Detektive ausgebildet wie in der Hauptstadt.

Die hohe Kunst des Schnüffelns: entdecken, ohne entdeckt zu werden

Einige aus der Gruppe haben bereits als Kaufhausdetektive zu tun gehabt, einer arbeitet bei einer Versicherung. Ein anderer ist Informatiker, ein höflicher, schnell denkender Mann mit Bart. Da sein Vater als Psychologie-Professor Karriere gemacht hat, habe er „Überzeugungsarbeit leisten“ müssen, ehe die Eltern ihn darin unterstützten, seinem seit Kindheitstagen ausgeprägten Berufswunsch zu folgen. Nun hat er wie die anderen 1300 Seiten Unterrichtsmaterial durchgeackert, und in der Luft des Seminarraums liegt die zähe, ermüdende Schwere, die von Begriffen wie „Dienstvertrag“ oder „rechtskonformes Handeln“ ausgeht. Draußen geht es derweil um die hohe Kunst des Schnüffelns. Entdecken, ohne entdeckt zu werden.

Observationsglocke heißt fachmännisch die Aufstellung des Teams, das rings um seine Zielperson Position bezogen hat. Danach folgt ihr das Trio in ABC-Formation, bei der sich A an die Fersen der Zielperson heftet, von B abgelöst wird und sich hinter C einreiht, bis C wieder abgelöst werden muss. Und so geht das Straßentheater in einem fort. Detekteien lieben Observationen, die wegen des hohen Aufwands am lukrativsten sind. Sie entsprechen aber auch am ehesten dem, was die Branche von jeher ins Zwielicht rückt: Menschen auszuspähen, ist allgemein noch immer eine Abart der Neugier.

Privatdetektive werden beauftragt, wenn etwas nicht in Ordnung ist, aber gewichtige Gründe dagegensprechen, die Polizei einzuschalten. In dem an diesem Januarnachmittag nachgespielten Fall wurden Kunden einer Bank mit Unterlagen über Schwarzgeldkonten erpresst, worauf sie sich an die Bank wandten. Herr M. wurde als Privatermittler auf den mehrfach bestraften Bankräuber angesetzt. Wie konnte der „so ein Ding durchziehen“? Den entscheidenden Hinweis lieferten Gespräche, die der Erpresser von einem öffentlichen Telefon aus führte.

Die Schüler bleiben in Deckung. M. gefällt das nicht

Deshalb hat die Zielperson sich jetzt zur Möllendorff-Einkaufspassage begeben, wo sie in kurzer Folge drei Anrufe von einem freistehenden Münzapparat macht. Die Schüler bleiben in Deckung. M. gefällt das nicht. Hatte er ihnen nicht eingebläut, dass Observieren nicht heißt, nur zu beobachten, sondern vor allem „bedeutsame Handlungen“ zu erkennen?

M. selbst hatte damals sofort erfasst, dass der Erpresser womöglich seinen Informanten kontaktierte. Und sich schnell, um die Nummernfolge zu erkennen, die der Mann eintippte, in dessen Rücken postiert. Die Spur führte zu einem ehemaligen Mitarbeiter der Bank, der sensible Kundendaten hatte mitgehen lassen. Die Bank nahm Kontakt zu den Verbrechern auf und entledigte sich des Problems auf ihre Weise. Mit Geld.

Die Sache flog dann aber doch auf, davon zu erzählen hat M. nur keine Zeit. Der Seemann ist mit einer Unbekannten im Shoppingcenter verschwunden und die Verfolger machen sich im Gewimmel so gut unsichtbar, dass sie vermutlich selbst kaum was sehen. M. wird unruhig. Haben die mitgekriegt, wo die Zielperson plötzlich diese rote Tüte herhat? Realisieren sie nicht, dass sie in dem Café bei Torte den nächsten Treffpunkt vereinbart?

"Wir haben ein Nachwuchsproblem"

„Einer muss sich opfern“, sagt M. Nah ran da. Sich an den Nebentisch setzen, riskieren, wahrgenommen zu werden, auch, wenn ihn das von der weiteren Observation ausschließt. Keiner „opfert“ sich.

„Wir haben ein Nachwuchsproblem“, sagt M.. Die alten Kriminalisten stürben aus, die Ex-Kommissare und Ex-Stasi-Leute, Ex-Verfassungsschützer und Ex-BNDler. Wer Interesse an dem Job zeige, könne sich praktisch nirgendwo seriös über das Berufsbild informieren. „Wir sind selbst schuld, da wir niemanden haben reingucken lassen.“

Doch befindet sich die Branche im Umbruch. Der klassische „Schnüffler“ gehört der Vergangenheit an. Es gibt keine Geheimnisse mehr, der beste Detektiv der Welt ist Google.

Schon die Reform des Scheidungsrechts 1976 trieb viele Detekteien in den Ruin. Da die Schuldfrage abgeschafft war, bedurfte es der unauffälligen Kastenwagen nicht mehr, aus denen heraus Ehepartner bei der Untreue fotografiert wurden. 2008 kam es im Zuge des Lidl-Skandals zur nächsten Kernschmelze des Gewerbes, wie es ein Insider formuliert. Die Überwachung von Mitarbeitern, wie sie bei dem Discounter aufgeflogen war, hatte sich als Geschäftsmodell erledigt. Der Jahresumsatz der Branche soll in Deutschland zwischen 2008 und 2013 laut einer Statista-Auswertung um 46 Prozent auf 86 Millionen Euro gesunken sein.

Heute scheint der Beruf wieder zu seinen Ursprüngen zurückzukehren. Die reichen bis weit ins 19. Jahrhundert zurück, als Geschäftsleute im Zuge der Industrialisierung mit wachsendem Interesse über ihre Vertragspartner informiert zu sein suchten. 1860 gründete ein Schiffsmakler in Stettin ein erstes „Erkundungsbüro zur Wahrung kaufmännischer Interessen“. Bis 1939 boomte der Markt, dann reklamierten die Nazis das Informationsmonopol für sich. Wie später die DDR.

In Berlin liegen die Stundensätze zwischen 46 und 92 Euro

Heute soll etwa 1100 Detekteien und 3000 private Ermittler in Deutschland existieren verlässliche Zahlen gibt es nicht. Zumal das Gros seine Dienstleistungen verschleiert. Dabei handelt es sich meist um Ich-AGs, die bei größeren Aufträgen andere Detektive als Subunternehmer hinzuziehen. Die Preise differieren stark, dabei spielt auch eine Rolle, ob es sich um private oder geschäftliche Auftraggeber handelt. In Berlin liegen die Stundensätze zwischen 46 und 92 Euro. Nacht- und Wochendzuschläge von bis zu 150 Prozent sind verbreitet.

Doch mit der Compliance-Kultur eröffnen sich dem Gewerbe interessante Geschäftsfelder. Die Leistungen von Detektivbüros finden sich zunehmend in anderen Wirtschaftszweigen wieder, aber unter Namen wie Analyst, Berater. So lässt das BKA die forensiche Auswertung von Mobiltelefonen von einer darauf spezialisierten Firma vornehmen. Seit November gibt es für Detektive sogar eine eigene Qualitätsnorm: DIN SPEC 33452.

„Wir wollen davon wegkommen, dass Detektive alles machen“, sagt Andreas Heim, ein wächserner Mann mit undurchdringlichem Gesicht, auf dessen Initiative hin das DIN-Maß ausgearbeitet worden ist. Heim leitet die Zentralstelle für die Ausbildung im Detektivgewerbe (ZAD), eines von zwei Berliner Instituten, das Aspiranten in einem zweijährigen Lehrgang auf die IHK-Prüfung vorbereitet.

An einem verregneten Tag Anfang Januar sitzen acht Teilnehmer vor Heim. Der Detektiv, mahnt Heim, sei nicht Partei, sondern werde von einer Partei bezahlt. Was bedeutet, dass er Belastendes und Entlastendes zusammenträgt.

Mülltonnen durchsuchen dürfen Detektive nicht

Detektive haben praktisch „keine rechtlichen Stützen“, kein Druckmittel für ihre Arbeit, ihnen bleibt nur die Tücke. Sie dürfen sich verstellen – was in der Fachsprache „Legende“ heißt –, aber Mülltonnen durchsuchen dürfen sie nicht. Es sei denn, die Tonnen stehen im öffentlichen Raum. Ebenso wenig dürfen sie Privaträume unter Vorspiegelung falscher Tatsachen betreten.

Doch seine Schüler sind aus dem ganzen Bundesgebiet nicht deshalb an diesen schmucklosen Ort in Berlins Osten gereist, um zu erfahren, wie eng ihre Spielräume sind. Es braucht dringend Aufmunterung. „Private Ermittler nutzen Freiräume, die ihnen die Gesetze lassen. Wir müssen von der Nachlässigkeit anderer profitieren.“ Die Leute seien ja, fährt Heim fort, „nicht gerade ungeniert, wenn es um Geld geht.“

Die Welt ist nicht schön, da kann es der Detektivjob noch weniger sein. Auch wenn die Powerpoint-Folien, die Heim an die Raufasertapete wirft, das in ihrer Akkuratesse nicht verraten. Aber es wird gleich deutlich, wenn Herr K. den Raum betritt, kahler Schädel, angedeuteter Bart, gepflegtes Äußeres und vollends übersprudelnd in gespielter Zerrüttung, weil nämlich, es sei so, er werde bedroht.

K. gegenüber sitzt ein Detektivschüler, erstes Ausbildungsjahr, und tut sich schwer, ihm bei diesem Rollenspiel namens Auftragsgespräch Hilfe anzubieten. Es passierten eigenartige Dinge, sagt K., er müsse fürchten, dass er seinen Job verliere. Und K., versiert in Legendenbildung, zählt noch eine Reihe von Indizien auf, die dem angeblichen Anwalt einer Rüstungsfirma zeigen, dass er gestalkt wird. Die vertauschten Wagenschlüssel. Die 34 nicht bestellten Paketsendungen, die bei seiner Ex-Frau aufgelaufen sind. Die Drohanrufe, der gehackte MailAccount, Zuhälter, eine Ex-Geliebte.

Es kommt vor, dass die Dienste der Ermittler missbraucht werden

„Die Kunden sind überfordert von der Komplexität ihrer Probleme“, erklärt der Ausbilder. Der Detektiv muss aufzeigen, was er machen kann: Absenderfeststellung, Observation des Bedrohten, Sicherheitsüberprüfung des Autos. Und was nicht: Halterfeststellung verdächtiger Fahrzeuge. Sein schlimmster Feind ist seine Gutgläubigkeit. Gibt es ein „berechtigtes Ermittlungsinteresse“?

Es kommt durchaus vor, dass die Dienste der Ermittler missbraucht werden. Patrick Kurtz ist zum Detektiv geworden nach einem Literaturstudium. „Ich rauche Pfeife, seit ich 14 bin“, sagt er auf sein Jugendidol Sherlock Holmes anspielend. Er berichtet von einem Fall, bei dem sich die wahre Absicht des Auftrags erst enthüllte, als er abgeschlossen war.

Kurtz war von einer Großfamilie mit der Suche nach deren vermisster Tochter betraut worden. Schon die erste Begegnung war heikel gewesen. Die Eltern klagten, dass sie sich Sorgen machten und weder ein noch aus wüssten. Da das Mädchen älter als 18 war, würde Kurtz, falls er es ausfindig machte, allenfalls fragen können, ob es Kontakt zu seiner Familie wünsche. Von wegen Persönlichkeitsrechten. Der Familie war es recht. Sie unterschrieb den Vertrag.

Bezahlt wird das Suchen, nicht das Finden

Es war nicht schwer, die Frau aufzuspüren. Sie war, wie sich herausstellte, abgetaucht mit ihrem deutschen Freund, der ihrer Familie nicht passend erschien. Sie bat die Detektive unter Tränen, ihren Aufenthaltsort nicht preiszugeben, da sie fürchtete, Opfer eines Ehrenmords zu werden.

Detektive müssten zuweilen als Lebenshelfer fungieren, sagt Kurtz. In diesem Fall hoffte er, die Situation befrieden zu können. Zu erfahren, was die Tochter gesagt habe, sei vielleicht besser, als gar nichts zu wissen. Oder? Nun fehlten nur noch letzte Formalitäten. Der Detektiv wurde von den Eltern in ein Lokal bestellt, um dort die Bezahlung zu regeln.

Detektive schließen Dienstverträge ab. Anders als Werkverträge sind die nicht an ein vereinbartes Resultat geknüpft. Bezahlt wird das Suchen, nicht das Finden.

Vorsorglich schickte Kurtz zwei Kollegen. Als sie sich zu den Eltern an einen Tisch setzten, kamen immer mehr Familienmitglieder aus den hinteren Bereichen des Restaurants, umzingelten die beiden Männer. Es war klar, was sie wollten: den Aufenthaltsort.

Wer bringt einem bei, da heile wieder herauszukommen? „Keiner“, sagt Kurtz.

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