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Michael Naumann, Journalist, Verleger und frühere Kulturstaatsminister.

© Mike Wolff

Michael Naumann über die „Charlie Hebdo“-Karikaturen: "Es war auch eine wohlfeile Solidarität"

"Hätte der Zeichner Georges Wolinski seine Zeichnungen vor ein paar Wochen deutschen Medien angeboten, man hätte wohl abgelehnt." Der Journalist, Verleger und frühere Kulturstaatsminister Michael Naumann über Medien im Terror, „Lügenpresse“, den „Anti-Islamismus“ von „Pegida“ und den Nachdruck der „Charlie Hebdo“-Karikaturen.

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Als man dem jetzt getöteten Redaktionsleiter der Satirezeitung „Charlie Hebdo“, Stephanne Charbonnier, einmal vorgeworfen hatte, er provoziere Muslime, fragte er zurück: Ist Pressefreiheit eine Provokation? Wie würden Sie darauf antworten?
Sie sollte eine Provokation sein, das ist eine ihrer Aufgaben. Die freie Presse darf und sollte Überzeugungen, Machtverhältnisse infrage stellen, mentale, politische, wirtschaftliche und institutionelle. Das ist ihre wichtigste gesellschaftliche Funktion, neben anderen. Niemand fürchtet eine freie Presse mehr als totalstaatliche Regime. Die amerikanische Revolution entzündete sich an dem Versuch der britischen Kolonialverwaltung, die junge unabhängige Presse zu zensieren. Die westliche Aufklärung war immer mit einem Kampf um Öffentlichkeit, auch mit Provokationen verknüpft, Karikaturen inklusive. Publizistische Satiren gehören zu den Instrumenten der freien Presse. Nur in Diktaturen ist es verboten, über Herrscher und Parteien zu lachen. Tyrannen haben keinen Humor. Politisches Gelächter kann buchstäblich befreiend wirken.

Wo sind Grenzen der Provokation?
Tucholsky sagte, Satire dürfe alles. Das finde ich nicht. Für mich sind da Grenzen erreicht, wo die persönliche Würde einer Privatperson derart verletzt wird, dass sich der Betroffene gewissermaßen ins Schwert stürzen will. Dann muss der Satiriker überlegen, ob er zu weit gegangen ist. Das sollte er sich eigentlich vorher fragen. Nun sind aber weder Moses, Jesus, Mohammed oder sonst eine heilige Person der Religionsgeschichte noch am Leben. Die Lehren dieser Religionsstifter und ihrer Dogmatiker repräsentieren bestimmte normative Ordnungsvorstellungen, die sich auf göttliche Offenbarungen berufen und die in aufgeklärten Gesellschaften kritisiert und auch satirisiert werden dürfen, zumal dort, wo sie in die politische Organisation von Gesellschaften eingreifen. Das gilt für den Islam nicht anders als für das Christentum und das Judentum. Europas Christen haben sich daran gewöhnt – und die aufgeklärten Muslime hierzulande ebenso. Die Juden muss man über die befreiende Kraft von Witz, Satire und Ironie erst recht nicht aufklären.

Bringt der Anschlag die Pressefreiheit in Gefahr?
Nicht wirklich. Die Attentäter von Paris werden „Charlie Hebdo“ weder abonniert noch andere Zeitungen gelesen haben. Sie dürften uninformiert gewesen sein, aber dafür in höchstem Maße religiös aufgehetzt. Ein abstrakter Angriff auf die Presse als solche war das Pariser Attentat nicht, sondern konkreter Ausdruck sozialpathologischer Geisteskrankheit. Solche Täter sind fanatisierte, bewaffnete Killer, anders als die islamistischen Ideologen, die diese marginalen Gestalten indoktrinieren und dann loslassen auf die Moderne. Journalisten sollten deswegen keine Schere im Kopf haben und sich selbst zensieren. Davon abgesehen, nicht nur Satiriker riskieren etwas. Reporter in Kriegsgebieten sind auch großen Gefahren ausgesetzt. Dennoch berichten sie und dienen, so steht zu hoffen, der Wahrheit.

Aber gibt es nicht neue Gefahren, weil die Reaktionen auf Satire und Kritik schwerer zu berechnen sind?
Die konkreten Gefahren für den aufgeklärten Journalismus sind gewiss größer geworden, weil nicht nur totalitäre Regierungen die Gegner der freien Presse im eigenen Lande sind, sondern auch, weil freischaffende Terroristen nationale Grenzen überschreiten. Das ist wahr. Aber es hat immer Attentate auf Journalisten gegeben, es gab immer großartige Kollegen, die um ihr Leben fürchten mussten. Denken Sie nur an die Mordopfer in Putins Russland und in Erdogans Türkei.

Hätten Sie als Chefredakteur oder Verleger die „Charlie Hebdo“-Karikaturen nachgedruckt, wie es viele Medien getan haben, auch der Tagesspiegel?
Ja. Es war ein Zeichen der Solidarität. Aber es war auch eine wohlfeile Solidarität. Hätte der Zeichner Georges Wolinski, der jetzt ermordet wurde, seine Zeichnungen vor ein paar Wochen deutschen Medien angeboten, man hätte wohl abgelehnt. Begründung: Das ist uns zu scharf. Aber das hat auch mit unserer eigenen Karikatur-Tradition zu tun – es fehlt ihr der boshafte französische Biss. Die „Titanic“ ist da die Ausnahme.

Es scheint, als verlören viele Leute ihren Glauben in die Presse, wie bei den „Pegida“-Demonstrationen spürbar wird. Wie beeinträchtigt der Vorwurf der „Lügenpresse“ die Pressefreiheit?
Diesen Begriff hat es schon immer gegeben, bestimmt auch im Dritten Reich. Jetzt taucht er wieder auf und wird von Leuten benutzt, die vermutlich gar keine Zeitung lesen. Ich halte es mit den Bischöfen, die sagen, wer wie „Pegida“ das Abendland retten will, der sollte mal wieder in die Kirche gehen. Wer etwas gegen die Presse hat, sollte erst einmal eine gute Zeitung kaufen. Es gibt sie ja noch in Deutschland. Es stimmt natürlich, dass es einen grundlegenden kulturellen Wandel im Umgang mit Information gibt, und wie mir scheint nicht nur zum Guten. Wenn sich Leute von einem aufklärenden, recherchierenden Journalismus abwenden, bedeutet das eine Krise für die Demokratie. Die Wahrnehmung gesellschaftlicher Realität wird dann hochgradig selektiv. Viele glauben heute, sie seien hervorragend informiert, weil sie mit ihren iPads und Smartphones ständig vernetzt sind. Und doch nur Nachrichtenfragmente goutieren.

Ist es richtig, wenn Politiker nun darauf verweisen, islamistische Terrortaten müssten vom Islam getrennt werden?
Ja, da haben sie recht. Es gibt auch bei uns einen tendenziell rassistischen Anti- Islamismus. Wir können dennoch nicht davon absehen, dass die Mörder davon überzeugt sind, im Namen ihres Propheten zu töten. Denn das tun sie. Auch das Christentum kennt bekanntlich eine Kriminalgeschichte. Im Namen des Erlösers wurde gemordet und gefoltert. Mit der Bibel hatte das rein gar nichts, mit Machtprojektionen der Kirche viel zu tun. Überlebt hat das Christentum, weil es sich auf die Botschaft der Liebe besann. Der Islam geht durch eine ähnliche Phase: Exzentrische Fanatiker wie Osama bin Laden usurpieren eine religiöse Interpretationshoheit mit Waffengewalt. Aber der Islam wird auch diese Phase überleben. Ich wehre mich dagegen, Verbrechen im Namen des Propheten mit der Offenbarungswahrheit des Islam als solchem in Verbindung zu bringen. Hexenverbrennungen im Namen des christlichen Gottes hatten ja mit dem Neuen Testament ebenso wenig zu tun wie der erschreckende Antisemitismus der katholischen und evangelischen Kirche im Dritten Reich mit der Botschaft des Gottessohns.

Was macht die rechtspopulistischen Strömungen hier derzeit so stark?
Sind sie wirklich so stark, stärker als in den letzten Jahrzehnten? In den sechziger Jahren saßen in einigen Landtagen Abgeordnete der NPD, echte Neonazis, Sitzenbleiber der Geschichte. Haltungen, die diese Leute vertreten haben, kann man den meisten Anhängern von „Pegida“ oder AfD nicht vorwerfen, aber die Pegidaisten demonstrieren Hand in Hand mit neonazistischen Skinheads. Es hat jedenfalls in Deutschland immer einen rechtsextremen Bodensatz von zehn Prozent der Bevölkerung gegeben, weniger als in Frankreich, dennoch viel. Jetzt versammeln sich davon welche in Dresden, und alle sind entsetzt. Es handelt sich um eine Art Unterklassentreffen.

Bleiben die Strömungen sichtbar?
Ich halte die AfD für eine vorübergehende Erscheinung, sie wird sich zerstreiten und auflösen. Kein Grund zur Panik. Ihren gegenwärtigen Zuspruch hat sie einer geistigen Regionalisierung zu verdanken, die als Reaktion auf ein immer komplexeres Weltgeschehen interpretiert werden kann. Viel ist davon die Rede, soziale Sorgen und Abstiegsängste trieben diese Menschen an. Das glaube ich nicht. Viele Leute bei den „Pegida“-Demos haben vernünftige Jobs und genug Zeit, um gegen die da oben zu wettern. Subjektiv schafft es eine Art Gemütsordnung, eine Minderheit für reale und imaginierte Missstände verantwortlich zu machen. Also sucht man sich einen Feind, etwas, von dem man sich abstoßen kann. In diesem Fall die Angst vor einer Islamisierung. Ob das, von dem man sich da abstößt, überhaupt existiert, spielt da keine Rolle. Herr Sarrazin hat zugegeben, keinen Türken zu kennen. Das ist das Muster.

Der französische Autor Michel Houellebecq entwirft in seinem neuen Buch „Unterwerfung“ die Fiktion eines Landes unter einem muslimischen Präsidenten. Hätten Sie das Werk verlegen wollen?
Jeder Verleger fragt sich, wie viele Leser ein Buch finden wird. Ich habe es noch nicht gelesen. Aber ich hätte es gewiss verlegt, schon aus Prinzip.

PUBLIZIST

Michael Naumann, 73, war Chefredakteur von „Zeit“ und „Cicero“.

Als Verleger gab er die „Satanischen Verse“ von Salman Rushdie mit heraus und wurde deswegen bedroht.

POLITIKER

1998 wurde Naumann Kulturbeauftragter in der Regierung Schröder. 2008 kandidierte er für die SPD als

Herausforderer bei den Bürgerschaftswahlen in Hamburg gegen Ole von Beust.

KULTURMENSCH

Naumann promovierte über den Satiriker Karl Kraus und habilitierte sich mit einer Studie über den „Strukturwandel des Heroismus“. Heute ist er Direktor der Berliner Barenboim- Said-Akademie.

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