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Valie Exports Tapp- und Tastkino von 1968.

© Foto: Werner Schultz Courtesy Galerie Thaddaeus Ropac, London – Paris – Salzburg – Seoul © VALIE EXPORT / Bildrecht, Wien 2023, © Werner Schultz

Valie Export im Kunsthaus Bregenz: Eine Stalinorgel im Glashaus

Kriechende Kriegsangst: Die Grande Dame der österreichischen Avantgarde präsentiert eine Tonskulptur aus den Orgelpfeifen der Wallfahrtskirche ihrer Heimatstadt Linz.

Das von Peter Zumthor entworfene Kunsthaus Bregenz direkt am Bodensee ist ein Meisterwerk der Osmose. Selbst an diesem trüben Märztag transportieren die 712 halbdurchsichtigen Glasplatten der Außenwände, die wie Schuppen angeordnet sind, sanft bewegtes Seelicht ins Innere. Dadurch erscheinen Valie Exports Orgelpfeifen auf den ersten Blick wie metallene Schilfrohre.

Die meisten hängen von der Decke herab und spiegeln sich im glänzend anthrazitgrauen Terrazzoboden, der an einen dunklen Teich erinnert. Eckige Orgelpfeifen aus Holz prangen als Ensemble an der Wand, an die Arte Povera erinnernd. Fünf knapp kniehohe Pfeifen aus Blei hat die 82-jährige Künstlerin mit einer Schnur zu einem schüchternen Grüppchen zusammengebunden, andere zu einem alarmierenden Anklang an die Stalinorgel zusammengefügt. Ein Exemplar hat einen Ehrenplatz an der glatten Betonwand: In ihm steckt ein antikes Notenblatt mit der Aufschrift „Dona nobis pacem“, das bei der Zerlegung der Orgel entdeckt wurde.

Unter den hängenden Metallspitzen stellt sich unwillkürlich ein Gefühl der Bedrohung ein, vor dem inneren Auge tauchen Schreckensbilder aus der bombardierten Ukraine auf. Man fühlt sich einem Raketenregen ausgesetzt oder nach biblischer Lesart einem Dornenwald, wie ihn Maria durchschritt. Schließlich transportierte Valie Export vor Jahren insgesamt 120 Orgelpfeifen aus der Linzer Wallfahrtskirche zu den Sieben Schmerzen Mariae in ihr Wiener Atelier, wie sie erzählt. Sie hatte in der Kirche auf dem Pöstlingberg die Ornamentik der Flügelblätter neugestaltet und an der Balustrade das Spruchband „Wer begreift, hat Flügel“ angebracht, denn die in Dottergelb gewandete feministische Vorkämpferin ist überzeugt: „Wir Frauen haben Flügel, wir wissen alles.“

Valie Export in ihrer Bregenzer Ausstellung.
Valie Export in ihrer Bregenzer Ausstellung.

© Foto: Miro Kuzmanovic © Kunsthaus Bregenz

Österreichs Grande Dame der Avantgarde-Kunst, deren Name eigentlich in Versalien geschrieben werden, erinnert sich an die Orgelkonzerte, die sie als Kind in der Pöstlingbergkirche verzückten: „Ich kam mir beim Hören so groß wie der Kirchenraum vor.“ Damals habe sie sich in das Instrument mit seiner Analogie zur menschlichen Stimme verliebt, aber auch „in das Überbordende des Barock Maria zu Ehren“.

Als sie im Januar dem Leiter des Kunsthauses Bregenz Thomas D. Trummer von ihren „eroberten Orgelpfeifen“ erzählte, entstand die Idee einer Tonskulptur zum Thema Kriegsangst. „Die Zeit sprach drastisch dafür, diese Ausstellung schnell zu machen“, so Trummer. Aus acht Lautsprechern entströmt eine Klangwolke: Orgeltöne, geblasen oder auf das Metall gehämmert, werden konterkariert durch volltönenden Blues.

In einer Neuinterpretation von Peter Madsen und dessen Band läuft Charles Mingus‘ berühmter Antikriegs-Song „Oh Lord, Don’t Let Them Drop That Atomic Bomb on Me“ (1961) in einer Endlosschleife.  Valie Export hat dieses Lied mit seiner einzigen eindringlichen Textzeile bereits 1989 in ihrem Dokumentarfilm „Aktionskunst International“ verwendet: „Der Song wurde damals für die Angst vor der Atombombe während des Kalten Krieges geschrieben, und jetzt springt er direkt in die jetzige Angst.“

Nur eines bereut sie: ihre Unterschrift unter dem „Manifest für den Frieden“ ihrer alten Freundin Alice Schwarzer. Sofort danach sei sie wegen der Reaktionen irritiert gewesen und wolle keine Aufrufe dieser Art mehr unterzeichnen. Damit sei alles gesagt, so Valie Export, umgeben von schwarz lackierten Gesetzbüchern am Boden und einem weißen Quader, der in gefährlicher Schieflage gegen ein Plumeau an der Wand lehnt, Installationen der Österreicherin Christine Lederer. Sie gilt als Export-Schülerin und stellt im ersten Stock des wegen der Erneuerung der Beleuchtung derzeit recht kahlen Kunsthauses mit der Werkschau „Reiß dein Maul auf“ ähnlich produktiv irritierende Fragen wie im Parterre die Meisterin. 

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