Gesellschaft: am Herd Amazone
Im US-Fernsehen war sie so beliebt wie „Lassie“: Julia Child brachte einer Nation das Kochen bei. Heute steht ihre Küche im Museum – und ihre Geschichte wird mit Meryl Streep verfilmt.
Patsch!, klatscht die Dame dem nackten Hähnchen mit dem Messer auf den Po. Beherzt zupft sie an der gerupften Hinterhaut, forsch greift sie nach dem phallusartigen Halsstumpf. Vor ihr sitzt eine Batterie entblößter Tiere, wie die Orgelpfeifen aufgereiht, sie selber steht onduliert im Blüschen dahinter, das heißt, eigentlich schwankt sie mehr als dass sie steht, rollt mit dem Oberkörper wie mit dem R, ihre markante Stimme ist kurz vor dem Überkippen. Zu Beginn ihrer Sendung über Geflügel im Allgemeinen und das gute alte Brathähnchen im Besonderen stellt sie jeden Nackedei einzeln vor: Miss Broiler! Miss Fryer! Miss Roaster! Wobei sie jedem Huhn einen Klaps gibt, als wär’s ihr bester Kumpel.
Voilà: The French Chef.
Julia Child, Star der gleichnamigen Kochshow, war so unfranzösisch, wie eine Amerikanerin nur sein kann. Pragmatisch und unprätentiös, ein Baum von einer Frau, 1,88 Meter groß, mit einer Stimme, die das Eigelb zum Gerinnen brachte, einer Aussprache, dass die Franzosen die Bouillabaisse à l’a Marseillaise kaum wiedererkannten und einem Lachen, als hätte sie schon drei Martinis gekippt. Ja, noch nicht mal professionelle Köchin ist sie gewesen. Aber für ihre Landsleute bleibt sie: „The French Chef“.
Am kommenden Donnerstag werden sich in Amerika wieder die Tische biegen, unter turkey und pumpkin pie, sweet potatoes und cranberry sauce. Thanksgiving, hat der Satiriker Art Buchwald erklärt, sei der einzige Tag im Jahr, an dem die Amerikaner besser als die Franzosen essen. Dass sie auch an den anderen 364 Tagen so gut wie jene speisen konnten (wenn sie nur wollten): Dafür hat Julia Child gesorgt, mit ihrem 1961 erschienen Buch „Mastering the Art of French Cooking“, einer Bibel von mehr als 700 Seiten („glorious“, jubelte die „New York Times“) und ihrer Fernsehshow. Dabei hat die Amateurin Millionen von Amerikanern weit mehr als die Tricks der französischen Küche und den Umgang mit dem Schneebesen beigebracht: Sie hat ihnen den Spaß am Kochen und die Lust am Essen vermittelt, am Essen in Geselligkeit, bei einem guten Glas Wein. Und das zu einer Zeit, als ihre Landsleute gerade das tiefgefrorene TV-Dinner entdeckten.
Aber das konnte Julia Child nicht schrecken. Sie hatte eine Mission, und die erfüllte sie mit einer Begeisterung, die ansteckend war. Unerschrocken ist die Raucherin immer gewesen. In ihren Kuchen goss sie ein ganzes Pfund Schokolade, „je mehr Butter, desto besser“ hieß ihre Devise, und für ihr Kartoffelpüree hat sie 28 Knoblauchzehen geschmort. „Wenn Sie weniger nehmen, werden Sie es bereuen.“
Julia Child, „die verlässlichste weibliche Entdeckung des Fernsehens seit Lassie“ („San Francisco Chronicle“), war eine Revolution. Kurz bevor sie Anfang der 60er nach New York gezogen war, erinnerte Nora Ephron („Harry und Sally“, „E-Mail für Dich“) sich kürzlich, „hatten zwei historische Ereignisse stattgefunden: Die Pille war erfunden worden, und das erste Julia-Child-Kochbuch kam auf den Markt. Jetzt hatten alle Sex, und wenn der Sex vorbei war, kochte man etwas.“
Dabei war Child das, was man ein spätes Mädchen nennt, a late bloomer. Mit 34 heiratete sie, ein fröhliches Partygirl, aber von der Liebe bis dahin enttäuscht, ihren Paul, der einen halben Kopf kleiner und zehn Jahre älter war als sie. Ein Poet, ein Intellektueller, ein Künstler eigentlich, als Kulturoffizier im diplomatischen Dienst in Paris, Marseille, Bonn und Oslo stationiert. Eine so innige Beziehung verband die beiden, dass sie sich manchmal wie Zwillinge vorkamen. Der frankophile Paul war nicht nur Julias williges Versuchskaninchen, wenn sie 200 verschiedene Hühnchengerichte ausprobierte; der Gourmet war ihr Sommelier und Restaurantbegleiter, er schleppte ihre Gerätschaften ins Fernsehstudio, fotografierte sie und ihre Gerichte und spülte hinterher ab. Er war es, der ihr die Küche baute für ihr Haus in Cambridge, Massachussetts, in der sie jahrzehntelang ihre Freunde bekochte, Künstler und Harvard-Dozenten.
Paul zuliebe hatte Julia Child überhaupt erst angefangen, das Kochen zu lernen. Denn das war ihr nicht in die Wiege gelegt, im Haus ihrer Kindheit in Pasadena standen nur Dienstboten in der Küche. Die höhere Tochter hatte am ehrwürdigen Frauen-College Smith in Neu-England dies und das und Geschichte studiert, ein bisschen gejobbt, und dann als „kalifornischer Schmetterling“, wie sie sich nannte, dem Country-Club-Leben gefrönt. Bis sie in den Zweiten Weltkrieg zog, wo sie ihren Mann kennenlernte – und mit ihm in China das Essen entdeckte.
Als Paul Child als Diplomat nach Frankreich geschickt wurde, gingen sie nach der Ankunft erst mal Mittag essen: Austern mit kühlem Pouilly-Fuissé, Sole Meunière, danach Salat und schließlich Kaffee. Als Erweckungserlebnis hat Julia Child das Mahl beschrieben – endlich hatte sie ein Ventil gefunden für ihre Neugier, ihren Ehrgeiz. In Paris besuchte sie „Cordon Bleu“, die berühmteste Kochschule der Welt; weil ihr der Hausfrauenkurs nicht anspruchsvoll genug, wechselte sie schnell zu den GIs, die einzige Frau unter den Veteranen, die professionell ausgebildet wurden. Mit ihrer französischen Freundin Simca Beck arbeitete sie zehn Jahr lang an ihrem Kochbuch für Amerikaner, recherchierte, probierte, verwarf, suchte nach Zutaten… Ein Mammutunternehmen, die Verlage wollten es erst nicht haben und sprangen dann ab.
Als es endlich erschien, im renommierten Hause Alfred A. Knopf, da war Julia Child 49 Jahre alt. Mit 50 trat sie zum ersten Mal im Fernsehen auf, in einem Lokalsender in Boston. Der Rest ist Geschichte. Bald war die Show im ganzen Land zu sehen, Julia landete auf dem Cover vom „Time Magazine“, eine Rose wurde nach ihr benannt, Dan Ackroyd hat sie parodiert (was ihre Popularität nur noch steigerte). Heute steht ihre Küche, Pauls Küche, samt Töpfen und Pfannen und Schneebesen im „Smithsonian Museum of American History“ in Washington.
Julia Child war camp, bevor es das Wort überhaupt gab. Das Publikum wusste nie so genau, macht sie sich über andere Kochshows lustig, parodiert sie sich selbst, meint diese Miss Marple es ernst, wenn sie „Artischockenböden“ so lüstern ausspricht, als sei es etwas ganz Schmutziges. Sicher war nur, dass sie lustiger war als die meisten Comedy Shows. Manchmal redete sie sogar wie ein Comic, „Wham!“, zog sich einen Friesennerz zum Salatschleudern an, gab gerne den Clown. Deswegen ist Art Buchwald, legendärer Kolumnist der „Herald Tribune“, in Paris so gern mit ihr essen gegangen: „Sie war die Einzige dort, die einen Sinn für Humor hatte, wenn es ums Essen ging.“
Dabei war es ihr immer ernst. Sehr ernst. Wer zehn Jahre lang so intensiv an einem einzigen Kochbuch arbeitet und allein zwei Jahre am perfekten Baguette, hat eine Mission: Julia Child wollte ihr Land bekehren. Nicht allein zum Kochen, sondern zu einer Kultur des Essens. Step by step, hieß ihre gründliche Lehrmethode. Sie wollte ja nicht Köchin, sondern Lehrerin sein. Deshalb blieb die Linksliberale dem Bildungsfernsehen immer treu, für das sie mehrere Emmys gewann. Gründlich und systematisch wie eine Akademikerin, wollte sie aber keine langweilige Schulstunde abhalten. So ließ sie ihre Zuschauer gern im Glauben, ein bisschen beschwipst zu sein, weshalb man sie „the tipsy chef“ nannte – obwohl sie im Studio keinen Rotwein trank, sondern gefärbtes Wasser. Aber sie wollte demonstrieren, dass Kochen ein Vergnügen ist. Und dass zu einem Boeuf Bourguignon ein Bordeaux besser passt als eine Coca-Cola.
Und sie wollte ihren Landsleuten die Angst nehmen. Auch Katastrophen, so eine ihrer wichtigsten Lektionen, gehören zum Kochen dazu, sind Teil des Lernprozesses. Nie, so ihr Grundsatz, sollte man sich für ein Gericht entschuldigen. Ups!, beim schwungvollen Umdrehen in der Pfanne war ihr der Reibekuchen auf den Herd gesprungen. Dann kratze sie ihn eben wieder auf und legte ihn in die Pfanne zurück. Wenn ihr der Crèpe misslang, sagte sie „goodbye“ und schmiss ihn mit Schmackes in den Mülleimer. Zumindest dachten die Zuschauer das. In Wirklichkeit fing ihn ein Mitarbeiter des Teams auf, das in dieser Frühzeit des Fernsehens zu ihren Füßen hockte. „If I can do it, you can do it, and that’s how to do it“: So fasste sie ihre Lehrmethode zusammen.
Die Triebfeder ihrer Begeisterung, das macht sie sehr deutlich, war ihr ungeheurer Appetit. Julia, so ihr Ehemann, hatte Hunger wie ein Wolf. Nicht nur auf Hummer und rotes Fleisch. „Appetite for Life“ hat Noel Riley Fitch ihre Biographie von Julia Child genannt. Ihre Gier ist eine Neugier, auf Marktfrauen, Fischhändler, Köche, Fans. „Was Menschen anging, war sie ein Staubsauger“, meinte eine Freundin. „Sie sammelte jeden auf.“ Noch mit über 80 trat sie vor der Fernsehkamera mit jungen Kollegen wie Alice Waters auf, die die kalifornische Küche revolutioniert hat, mit Gerichten, die so ganz unfranzösisch, leicht und kalifornisch waren.
Zwei Tage vor ihrem 92. Geburtstag, 2004, ist Julia Child gestorben. Jetzt wird sie wieder auferstehen: in Gestalt von Meryl Streep. Eine junge New Yorkerin nämlich, Julie Powell, neurotisch wie es sich für junge New Yorkerinnen gehört, Hilfssekretärin und Möchtegernschauspielerin, beschloss vor einigen Jahren, in einem Augenblick der Krise, sich aus eben dieser herauszukochen, indem sie sich einmal durch „Mastering the Art of French Cooking“ durcharbeiten würde, „ein kultureller Meilenstein“, wie sie ihn nennt, „hoffnungslos veraltet“: diese Fleischberge, diese Kalorienbomben, all die Stunden am Herd, die seitenlangen Anweisungen!
Und doch stürzte sie sich in das Abenteuer, 365 Tage und 524 Rezepte lang. Mit Erfolg. Sie hielt ihre Erlebnisse in einem Blog fest, der so einschlug, dass die Amateurin daraus ein Buch machte, das zum Bestseller mutierte, und in diesem Jahr auch auf Deutsch herauskam. Letzte Woche wurde verkündet, dass „Julie & Julia“ mit Meryl Streep verfilmt wird. Buch und Regie: Nora Ephron. Die hat sich als junge New Yorkerin in den 60ern immerhin durch das halbe Buch gekocht.
In „Julie & Julia“ gibt es an Thanksgiving natürlich keinen Truthahn, sondern Gänsebraten, gefüllt mit Entenlebermousse, und zum Nachtisch Soufflé. Wie pflegte Julia Child, am Ende jeder Sendung zu rufen: Bon appétit!
Julie Powell, Julie & Julia, Goldmann Manhattan, 8,95 Euro.
Ein Ausschnitt aus der Chicken-Sendung ist auf www.youtube.com zu sehen.
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