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Gesellschaft: Feines Dressing

Sarah Illenberger macht Rettich zur Skyline oder Rote Bete zu Schmuck. Besuch im Atelier der Illustratorin.

Wer sagt denn, dass Melonen keine Gefühle haben? Oder eine Cupcake-Manschette unbedingt mit Teig gefüllt werden muss? Wenn man Sarah Illenberger heißt, macht man einen Pilzkopf daraus. Aber wenn man Sarah Illenberger heißt, sieht man auch Dinge, die anderen verschlossen bleiben – bis die künstlerische Illustratorin es ihnen verblüffend vor Augen führt: etwa die Ähnlichkeit einer Energiesparlampe mit einem Softeis.

Die 37-Jährige gehört zu einer neuen Generation von Designern, die mehr machen, als einen Text einfach zu bebildern, die Themen auf ganz eigene Weise umsetzen. Mit Collagen, Zeichnungen und Inszenierungen haben sie der Illustration zur Renaissance verholfen. Und Illenberger, vielfach preisgekrönt, ist eine der Kreativsten ihres Fachs.

Roberta quietscht. Die Tochter der Designerin geht auf Erkundungstour durchs Weddinger Atelier, das heißt, sie geht nicht, sie krabbelt. 14 Monate ist sie alt und hat die Entdeckungslust ihrer Mutter geerbt. „Da-da-da!“ singend, öffnet sie jede Schublade, an die sie ran kommt. Bis die Mutter ihren Nachwuchs doch mal bremst: Hundefutter ist kein Babybrei.

Es gibt verführerisch viele Schubladen in der hellen Hinterhoffabriketage, die Illenberger sich mit anderen Künstlern und Designern teilt. Schließlich dienen ihr die Requisiten als Inspiration. Illenberger arbeitet am liebsten dreidimensional, oft bringt allein ein Material sie auf eine zündende Idee. Oder das Shoppen. In fremden Ländern geht sie als Erstes in den Supermarkt, kauft silberne Zuckerkügelchen oder goldene Eiskonfektschalen. Als sie neulich in Tokio eine Ausstellung hatte – für die sie Papier zu Popcornkügelchen faltete, „Freestyle-Origami“ –, zog sie erst mal durch die Läden für Gastronomiebedarf, war fasziniert von den grellen Plastikgerichten für Restaurantschaufenster. Tokio, New York und London, das sind für die Designerin die inspirierendsten Städte. Prenzlauer Berg, wo sie wohnt, gibt da weniger her.

Ihre Lieblingsmaterialien: Lebensmittel und Papier. Aus dem glatten Stoff hat die Verfremdungskünstlerin zum Beispiel sämtliche Zutaten für ein Chili con Carne nachgebaut und ausgebreitet, Essig und Öl, Tomaten und Speck, Bohnen, Zwiebeln und Lauch. Als sie für die Zeitschrift „Neon“ das Thema Trendgemüse illustrieren sollte, assoziierte sie gleich: Mode. Und entwickelte das zarte grüne Kleid aus Rosenkohl, Bohnen, Wirsing und Salat, das so viele Fans fand, dass sie es, wie andere Arbeiten, als Poster über ihre Website verkauft.

Lebensmittel liefern der künstlerischen Illustratorin einen unglaublichen Vorrat an Formen und Farben, Poesie und Humor. Außerdem hat jeder sofort einen Bezug dazu. So griff sie auch für die Darstellung einer Umfrage zum Thema Masturbation zum Gemüse, das ihr entschieden charmanter als Dildos erschien. Die, findet sie, sehen schnell eklig aus. So stellte sie die Umfrageergebnisse, so witzig wie anschaulich, in Form einer Skyline aus Maiskolben, Zucchini, Spargel, Rettich & Co. zusammen. Dass sie sich verdammt beeilen muss, um Bilder aus frischem Salat oder Erbsen zu arrangieren, stört sie nicht, ja, reizt sie gerade: „Ich arbeite gerne schnell.“

Das Studium zur Grafikdesignerin am Londoner Saint Martin’s College hat sie stark geprägt – sowohl das Multikulturelle der Stadt (ihr Schulweg führte sie täglich an Chinatowns knusprigen Enten vorbei) wie der konzeptuelle Ansatz der Schule. „Da stand die Idee immer im Vordergrund“, wurde frecher, auch witziger gearbeitet, nicht gleich an Markt und Machbarkeit gedacht. „Da sind die Deutschen konservativer.“ Nach dem Examen hat sie die anstrengende Stadt allerdings schnell verlassen und ist ins heimische München zurückgekehrt, wo sie ein Schmucklabel mitgründete und fünf Jahre für das Magazin „Neon“ arbeitete.

Roberta quietscht vor Vergnügen, ihre Mutter macht Backe-Backe-Kuchen mit ihr. Auch Illenberger spielte, als sie klein war, am elterlichen Arbeitsplatz. Der Vater hatte ein Künstlerlokal am Viktualienmarkt, später ein Restaurant im Gärtnerviertel, ihre Mutter führte einen Schmuckladen gleich nebenan. Das Lebensmittellager im Hof war Sarahs Spielplatz, dort rührte sie Semmelbrösel mit Eiern an und presste sie in Förmchen, die Gäste knobelten mit ihr, die Köche fütterten sie. Im Restaurant, so sagt sie, hat sie viel übers Leben gelernt. „In der Küche musste man zur Rush Hour schon mal aufpassen, dass einem nicht die Teller um die Ohren flogen.“

Auch am heimischen Herd hat sie viel Zeit verbracht; sie fand es beruhigend, den Eltern beim Kochen zuzusehen. Dann nahm der Vater das eine Ende der Spaghetti in den Mund, Sarah das andere, so testeten sie, ob die Nudel al dente war. Das ist ihr auch heute wichtig: dass Roberta „mitkriegt, wie Essen entsteht“. Illenberger kocht gern, aber nicht kompliziert, wie sie betont. Sie mag die Dinge im Rohzustand, Gemüse zum Beispiel als Crudité, „das ist viel schöner als das Kleinteilige, Gekünstelte“. Auch Brot serviert sie am liebsten in dicken Scheiben.

Kreativität wurde gefördert im Hause Illenberger. War Sarah zum Geburtstag eingeladen, dann hieß es: „Mach doch was selber, Kind.“ Das kam immer gut an, noch heute erwarten ihre Freundinnen, dass sie das macht. Bei der Illustratorin gibt’s selten was von der Stange, das Basteln macht ihr wahnsinnigen Spaß. Auf dem Ateliertisch, auf dem ein Buch über die Kunst des Serviettenfaltens liegt, hat sie Eisstiele ausgebreitet für gefrorene Drinks, die es auf ihrer nächsten Party geben soll: Wodka mit Rhabarbersaft als Popsicle. Kommen Freunde zum Essen, bastelt sie Tischkärtchen, obwohl sie die spießig findet, schreibt die Namen der Gäste mit Tipp-Ex auf Muscheln.

Einmal brachte eine Freundin ihr zur Dinnerparty einen Granatapfel mit (auf Englisch: pomegranate) und schrieb dazu „Let’s go Granate“. Da machte es Peng: Illenberger, die Zufälle liebt, schnitt einen Granatapfel auf und steckte einen Zünder rein. Fertig war der Anfang der erfolgreichen Serie „Strange Fruits“.

Nachdem sie erst mal angefangen hatte, entdeckte sie überall solche Wortspiele und Analogien, Illenberger spielt mit Vergnügen, mit Worten und Melonenkernen: „Meloncholy“. Aus Roter Bete schnitzt sie glitzernde Rubine.

Eigentlich ist Illenberger gerade total im Stress, muss Schaufenster fürs KaDeWe fertig machen. Aber statt hektisch rumzurennen, spricht sie ruhig und leise, das Understatement liegt ihr mehr als die Übertreibung. Auf die Frage, ob sie eine besondere Affinität zum Essen hat, sagt sie: „normal“. Dabei hat die Designerin auch schon das vegane Kochbuch einer Freundin für den avantgardistischen Blumenbar-Verlag illustriert, Jahre bevor vegan hip wurde.

Zu ihren Kunden zählen Zeitschriften wie das „Süddeutsche Magazin“ oder „Nido“, Firmen wie Hermès oder Nomos. Es macht ihr Spaß, glitzernden Luxus und billige Alltagsprodukte miteinander zu kombinieren, sie mag die Spannung, die daraus entsteht. Für eine Werbekampagne arrangiert sie auf ihrem Tisch gerade ein Collier aus kleinen weißen Kaugummidragees auf schwarzem Samt. Juwelen könnten nicht edler aussehen.

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