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© Mike Wolff

Feinkost: Über die Theke wie vor hundert Jahren

Unsere Probierrunde suchte in Berlins Fleischereien nach der traditionellen Boulette - und wurde überwiegend enttäuscht.

Eigentlich kann es einem nur noch in Metzgereien passieren, dass man in vorgerücktem Alter als „junger Mann“ tituliert wird. Wollen die Verkäuferinnen das Kompliment gleich retour, oder handelt es sich einfach um eine alte Sitte, die andernorts längst der Vergangenheit angehört? Oder möchte man frivol auf eine gewisse Hemdsärmeligkeit hinweisen, die hier noch ihren festen Platz behauptet? Das würde sich mit vielen Produkten treffen, an denen in den gefliesten und gekachelten Geschäften festgehalten wird – auch wenn ihre Herstellung klammheimlich Änderungen unterworfen wurde, die nicht immer gutzuheißen sind. Ausdruck eines spezifischen Schlachtetraditionalismus ist die Boulette. Sie wird mit Brötchen und Senf (den man hier lieber Mostrich nennen würde) über die Theke gereicht wie vor hundert Jahren – kaum zu glauben also, dass sich das moderne Design des Hamburgers einmal aus ihr entwickelt hat.

Weil aber nun die Boulette, Frikadelle oder das Fleischpflanzerl, wie die Bayern sagen, gut für einen Imbiss im Grünen geeignet ist, prüfte die monatliche Testrunde Exemplare vornehmlich von Metzgern, die hierorts einen guten Leumund besitzen. Gastgeber Kolja Kleeberg empfing im Hof seines VAU sozusagen als Verstärkung die Kollegen Roland und Sven Albrecht vom Restaurant Zander in der Kollwitzstraße sowie Peter Frühsammer vom gleichnamigen Restaurant am Flinsberger Platz. Trotz dieses kleinen Kompetenzgipfels fand man sich rasch in Niederungen wieder, die aus der Verkostung fast eine Farce machten. Denn kein einziger Proband genügte dem Anspruch der Runde, der aus guter alter Erfahrung ohnehin nicht allzu hochgesteckt war.

Glatt wie Marmor im Schnitt erwies sich die Boulette aus der „Galeria Kaufhof“, die vom Großhersteller Herta stammt. Knorpel, Speck und Glutamat folgten – wenig anders als bei Naesert, dessen Erzeugnis äußerlich an eine Fischboulette erinnerte, nach Fleischwurst roch und im Grunde mit seinem herzhaften Kümmel einer Krakauer ähnelt – oder „einer Masse, aus der man Häuser bauen kann“, wie Frühsammer vermerkte. Wirft man einen Blick auf die dunkelbraun frittierten Fleischküchlein der Traditionsschlachterei „Staroske“ an der Potsdamer Straße, so sträubt sich alles in einem, auch nur einen Bissen davon in den Mund zu nehmen.

Wie angebrannte Kartoffelpuffer sahen die Bouletten aus dem KaDeWe aus, deren enormer Salzgehalt alles andere zudeckt. Sie seien von außen zugeliefert, sagt die Fachverkäuferin – aus der Essener Konzernzentrale?

Das Bratmuster eines Friteusengitters wiesen Rogackis Bouletten auf, die im Übrigen mit Kapern und Sardelle gewürzt schmeckten, als handelte es sich um Königsberger Klopse, die versehentlich gebraten wurden. „Die Optik entbehrt jeden handwerklichen Könnens“, urteilte Kleeberg dann über die merkwürdig säuerlichen Bollen der „Fleischerei Bachhuber“, „und sie widersetzen sich der Zerteilung auf das Heftigste: Lederstrumpf in Boulettengestalt.“

Als verbrannte Krapfen oder Kameruner auf Abwegen könnte man die Bouletten vom Neuland-Fleischer „Hoffmann“ beim Winterfeldtmarkt beschreiben, in denen sich neben viel Salz noch Knochensplitter fanden. Und die Küchlein des „LPG Biomarkts“ an der Schönhauser Allee wirken so, als wäre einmal die Körnerabteilung durchgekehrt worden; Möhre und Muskat wurden auch nicht vergessen.

Zu 1,90 Euro das Stück können die wie Grünkernbratlinge aussehenden Fleischpflanzerl von „Schlemmermeyer“ in der Galeria Kaufhof am Alex erworben werden, deren bayerische Art in einem Leberknödelaroma besteht, in das sich viele rohe Zwiebeln und so etwas wie Fondor verirrt haben. Auch Blutwurstritter Markus Benser versucht scheinbar alles, um einem vernünftigen Rezept aus dem Wege zu gehen, und präsentiert stattdessen einen groben Fleischkäse in Rundlingsgestalt. Butter Lindners fasrige Bouletten sind unregelmäßig gebraten, enthalten viel Majoran, sodass der Gedanke unwillkürlich auf Thüringer Rostbratwurst gebracht wird, sowie rohe Gemüsezwiebelfetzen vom Typ äußere Haut.

Schließlich blieben nur zwei Geschäfte übrig, die halbwegs ordentliche Bouletten in die Vitrine legen. Zum einen Gerlach in Prenzlauer Berg, dessen Produkt zwar etwas undefiniert gewürzt ist, aber im Unterschied zu allen bisherigen Konkurrenten angenehm mild und mit einer schönen Senfnote versehen. Allerdings deutet die Grieseligkeit, die sich unangenehm zwischen Zunge und Gaumen bemerkbar macht, auf die Verwendung von Semmelmehl statt in Milch eingeweichten Brötchen hin.

Deshalb gewann am Ende Uwe Bünger mit seiner saftigen Boulette, in der Majoran und Knoblauch sicher in Balance gebracht wurde. „Die würde ich gerne mit Kartoffelpüree essen“, sagte Sven Albrecht spontan.

Noch besser ist es allerdings, eine Konditorei aufzusuchen, durch die gen Mittag verblüffenderweise ein Bratduft zieht: Denn im Charlottenburger „Café Richter“ werden seit Jahr und Tag lockere Bouletten gebraten, die den Namen verdienen. Hinterher noch ein so genannter offener Aprikosenkuchen – und das Erlebnis wäre komplett.

Dass Metzger keine Köche sind und nicht wenige von ihnen davon träumen – ähnlich wie es bei der Fleischwurst geschieht –, aus Abfällen noch etwas Verkäufliches zu machen, liegt auf der Hand. Womöglich geht es einem bei der Boulette, über deren Semmelanteil ja viel gewitzelt wird, wie mit der Show eines Zauberkünstlers: Der Reiz liegt darin, unbedingt die Tricks durchschauen zu wollen, mit denen Magier für Verblüffung sorgen. Der Lohn der Aufmerksamkeit dürfte darin liegen, dass der Erkenntnis enge Grenzen gezogen sind und der Täuschung dafür weite. Und dass es immer wieder Menschen geben wird, die anderen einen Glauben einflößen können, den sie selbst nicht haben.

Blutwurstmanufaktur,Neukölln, Karl-Marx-Platz 9-11

Bachhuber, Wilmersdorf.

Güntzelstr. 47

Hoffmann, Schöneberg,

Maaßenstr. 10

Jörg Staroske, Tiergarten,

Potsdamer Str. 116

Naesert, Friedrichshain,

Karl-Marx-Allee 68

Gerlach, Prenzlauer Berg,

Greifswalder Str. 205

LPG Biomarkt, Prenzlauer Berg,

Kollwitzstr. 14-15

Bünger, Charlottenburg,

Westfälische Str. 53

Rogacki, Charlottenburg,

Wilmersdorfer Str. 145

Café Richter, Charlottenburg,

Giesebrechtstr. 22

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