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Hamburger: Sesam öffne dich

Lange galt der Hamburger als fettiges Futter fürs kulinarische Prekariat. Doch nun ist er bio, vegan, teuer und in den W-Lan-Bezirken angekommen. Warum hat Berlin plötzlich eine so große Klappe?

Anschwellende Motorengeräusche, Beschleunigung, Abgase, städtische Bedürfnisse – auf der Suche nach schnellem Essen hockt man auf einem lila bezogenen Fahrradbügel an einem Tisch auf einer Berliner Verkehrsinsel, oben kreuzen die Tauben und rattert die BVG, und vermutlich ist das historische, umgebaute, aber immer noch dunkelgrüne Pissoir unter der Hochbahn am Schlesischen Tor, umtost von Verkehr, genannt „Burgermeister“, der erste Berliner Drive-around. Dann leuchtet die eigene Wartenummer auf, und der Hamburger ist fertig, von der Größe und Spannkraft eines Topflappens, das Fleisch wie unter die Räder gekommen. So muss es sein.

Als es vor mehr als 100 Jahren wegen akuten Fortschritts der Zivilisation wieder notwendig wurde, ohne Besteck zu essen, war der Hamburger in Amerika schon erfunden. Er wurde verkauft an Straßenrändern und Verkehrsknotenpunkten, sein Erfolg ein Nebenprodukt – manche sagen gerne Abfallprodukt – des automobilen Zeitalters. Die Welt gewöhnte sich an den Anblick Hungriger, die am Wegesrand stoppen, die Scheibe herunterlassen, eine unterbezahlte Person reicht einen Burger herein, der einhändig am Steuer zu essen ist.

Zurzeit gibt es für den Preis eines Burgers nur noch zwei Liter Super – vermutlich ist das automobile Zeitalter vor dem des Hamburgers zu Ende.

Der Burger aber, dessen Beliebtheit sich zuletzt antiproportional zur Bio-Kurve verhielt, der längst erledigt schien im Wettkampf mit der Öko-Euphorie, lebt. Er erlebt eine Renaissance. Der „Kreuzburger“ aus der Oranienstraße hat eine Dependance in der Pappelallee eröffnet, „Burger World“ aus der Bergmannstraße sitzt nun auch gegenüber vom Prater in der Kastanienallee und brät Neulandfleisch. Go East, go East, vor allem im Ostteil der Stadt eröffnen jenseits aller Ketten laufend ambitionierte Burgerlokale, als handelte es sich um eine völlig neue Geschäftsidee. Sie braten gutes Fleisch, servieren vegan, gebraten, gegrillt oder aufgetaut, sie haben mal Besteck, mal keins, sie wärmen das Sesambrötchen an oder nicht, sie sitzen nicht hinter kleinen Tresen, sondern in großen Räumen in teuren Lagen, wo sich Menschen finden, die bereit sind, für einen Burger umgerechnet 50 Mark auszugeben.

Das kann nicht nur an der Erklärung des Ernährungswissenschaftlers Udo Pollmer liegen, der die besondere Schichtung des Hamburgers für dessen Erfolg verantwortlich macht: Erfolgreiches Geschmacksdesign bedeute nämlich, mehr Speichel zu erzeugen als verbraucht wird. Der Trick, wurde er in diversen Interviews nicht müde zu erklären, sei das extreme Aroma der Soße: Das weiche Brötchen „hat die Aufgabe, den Speichel aufzusaugen, die Soße zieht neuen Speichel. Wenn man geschluckt hat, hat der Speichelfluss noch nicht aufgehört.“ Deshalb wolle man gleich den nächsten, obwohl man eigentlich satt ist. Es erklärt aber noch nicht, warum die Berliner jetzt, nach lange unterbrochenem Speichelfluss, wieder in die Burgerlokale pilgern.

Eine warme Wolke Abgase zieht vorbei, Paare lehnen sich aneinander, jeder ein Fels im brandenden Verkehr. Der Hamburger liegt wie ein Stein im Magen. In Berlin kann man sich auf die Reise machen, auf der Spur der Steine zwischen Kreuzberg, Prenzlauer Berg, Zehlendorf und Mitte, und nach dem Grund forschen für diese Lust. Bei Uncle Sam’s in der Berliner Straße in Zehlendorf zum Beispiel, wo Bilder von gefiederten Indianern an der Wand hängen. „Gone but not forgotten“ steht dort, und das gilt sowohl für die Indianer, als auch für die amerikanischen Truppen. Als die abzogen, hielt einer die Stellung und eröffnete vor neun Jahren diesen Imbiss, der mit seinen US-Devotionalien so beiläufig daherkommt, wie in den Staaten. Oder man landet auf den bunten Stühlen der „Burger World“, die gegenüber vom Prater in der Kastanienallee frisches, gut gewürztes Neuland-Fleisch zwischen die Sesam-Brötchenhälften legen. Man besucht „Yellow Sunshine“ in der Wiener Straße in Kreuzberg, die nur vegetarische Burger anbieten, wo man feststellt, dass die Leute, die sagen, man schmecke bei einem fädigen Bratling zum Fleisch keinen Unterschied, lügen. Und es gibt merkwürdige Orte wie das „Juleps“ in Charlottenburg, wo man seltsame Dialoge führen kann.

Was ist der Unterschied zwischen dem Beefburger für 9,50 Euro und dem Deluxe-Burger für 14,50?

„Der wäre dann frisch.“

Der andere ist also – alt?

„Nein, tiefgefroren halt.“

Es gibt Menschen, die bestellen bei akuter Fleischeslust lieber ein gutes Steak. Wenn sich Fleisch erst einmal derart zwischen zwei Brötchenhälften verkrümelt hat, sagen sie, ist es verdächtig. Es machte auch schon die Amerikaner misstrauisch, die Anfang des 20. Jahrhunderts billiges Gehacktes gekauft haben. Konnte ja alles drin sein. War auch alles drin. Trotzdem verkauften sie in den kommenden Jahrzehnten stetig mehr.

Heute bilden sich in Berlin bei den schnellen Brätern Cluster von Amerikanern, die der Meinung sind, dass man einem Burger überall auf der Welt trauen kann. Vielleicht landet auch, wer zu lange im Bioladen kauft, irgendwann in einem Burger-Restaurant. Vielleicht hat jemand die Warnung vor „Genussgiften“ über. Vielleicht wurden sie zu lange mit „Slow Food“ provoziert.

Im „White Trash Fast Food“ jedenfalls schlägt das Pendel in die andere Richtung aus. Die Holzstühle in der Schönhauser Allee knarzen unter dem Gewicht der Esser, Maximalisten beugen sich über rotkarierten Tischdecken tief ihren Burgern entgegen, sie alle haben „Fuck-you-Fries“ vor sich, – „Warum Fuck-you?“ – „Wegen French.“ Die Karte ist in Worten so deftig wie das Essen. Der „King Elvis Supreme Burger“: „Heute essen, morgen furzen wie der King.“ – Sie tun hier nur so räudig, ist aber in Wahrheit alles nur Attitüde, die Brötchen sind nichts als „organic“ und kommen von der Bio-Bäckerei Beumer & Lutum. Das Fleisch frisch und nicht totgebraten. Und dann schwant einem, dass man das soziale und kulinarische Phänomen des Hamburgers nicht mit den Kriterien anderen Essens messen darf. Es hat vollkommen eigene Maßstäbe.

Es geht nicht um Verfeinerung, man mag es grob. Es geht um ein Extrem und eine Leistung. Es hat mit Gier so viel zu tun wie mit Appetit. Die Parameter sind Geschwindigkeit und Volumen, die Sperrweite des Burgers und gewisse Flutschqualitäten seines Inhalts, wenn sich Ketchup, Käse, Gurken und Käse zu einer gleitenden Masse verbinden, in der das Fleischstück hin und her wackelt. Es geht auch um ein sehr spezifisches Völlegefühl. Und Wanderer, erst wenn Du bereit bist, diese Kriterien als Deine zu akzeptieren, dann gehe ins „The Bird“ am Falkplatz in Prenzlauer Berg.

Eine Speisekarte inklusive Publikumsbeschimpfung, wehe der Benutzung von Messer und Gabel, wehe der Bestellung von Fleisch „well done“. Alle paar Minuten reitet eine neue Gruppe ein mit Vorfreude im Gesicht, und die Bedienung mit knalligem Lack auf den kurzen Nägeln sieht gleichzeitig nach Fifties und nach Mitte aus. Eine Redseligkeit greift um sich, wie sie Leute befällt im Bewusstsein, an einem besonderen Ort zu sein. Backsteinrot und roh leuchten die Wände wie das Fleisch – „medium oder medium-well?“. Die Burger strotzen vor Bacon, Stilton, Pilzen, das Fleisch drehen sie selbst frisch durch den Wolf, als Brötchen benutzen sie kleine Toasties, die grotesk winzig auf dem Fleischberg hocken. Und dann sitzt man in dieser aufgepeitschten Atmosphäre und brüllt sich gegenseitig an, und der Saft rinnt aus dem Hamburger, und rundherum dieser Ehrgeiz in den Augen der Esser, den Burger zu schaffen. Meistens schafft der Burger sie.

Wahrscheinlich hält man das alles nur aus, wenn man ein Karo-Hemd anhat. Masochisten bestellen sich ein Exemplar für 29 Euro mit 750 Gramm Fleisch – wer es vor Zeugen alleine schafft, kriegt es umsonst. Im Nacken atmen die anderen, die endlich einen Tisch wollen, und da nähert sich auch noch der Kellner mit einem Baseballschläger, aber der dient hier bloß als Pfeffermühle. Man fällt aus diesem lärmenden Ort wieder auf den idyllischen Falkplatz, dort ist alles wie vorher, es ist nur eine Stunde vergangen. Noch lange riechen die Finger matt nach Fleisch.

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