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Autor Axel Hacke

© picture alliance / dpa

Lustiges Gerichteraten: Fleisch bumst Chirpan Stil

Buono, wenn wir essen gehen, wo Wirt mackete Speiskarte mit Übersetzungsprogramm, wir finden Spaghetti con Rätsel. Eine kleine Auswahl an Worthülsengerichten.

Hier müssen höhere Wesen arbeiten, Elektronenhirne. Wir finden sie im Internet unter den Namen Babelfish, Bing oder Google, und im Gegensatz zu den hervorragenden Wörterbüchern, die uns zur Verfügung stehen, übersetzen sie auch ganze Sätze. So gut sie können. Und sie können es sehr gut.

„Oberst von Huhn und Breitet sich drastisch in einer Weißweincreme Aus, mit Penne Nudeln Federn und Parmesankäse“ heißt auf der englischen Seite der Speisekarte in Dublin „Supreme of chicken and mushroom in a white wine cream, with penne pasta nibs and parmesan cheese“. Supreme kommt vom französischen suprême, das ist die Geflügelbrust mit ihrer Haut und einem Flügelknochen dran – aber es ist eben ein französisches Wort, kein deutsches. Nach einem deutschen Wort für supreme suchend, stößt man auf „oberster, höchster“, der Supreme Court ist der Oberste Gerichtshof – supreme of chicken ist also Oberst von Huhn. Und wieso breitet er sich drastisch aus? Weil mushroom nicht nur „Pilz“ heißt, sondern auch ein Verb ist: to mushroom bedeutet „wuchern“ – oder eben „sich drastisch ausbreiten“.

Kommen wir zu einem kleinen Beispiel aus der bulgarischen Küche, das Kjufteta po cirpanski heißt und aus Reisfleischbällchen in einer Art Suppe besteht. Es ist nun wichtig zu wissen, dass aus einer nicht gerade weltweit verbreiteten Sprache wie dem Bulgarischen kaum je direkt ins Deutsche übersetzt wird. Es geht also erst einmal ins Englische. Kjufteta po cirpanski sind, so fand ich es im Internet auf einer bulgarischen Karte: Meat balls Chirpan style. Das wären nun „Fleischbällchen nach Tschirpaner Art“. Wobei Tschirpan eine Stadt in Zentralbulgarien ist und das Hackfleisch für die Fleischbällchen zur Hälfte vom Schwein, zum anderen Teil vom Rind kommen sollte.

Gibt man aber Meat balls Chirpan style in eines der gängigen Übersetzungsprogramme ein, erhält man, zum Beispiel: „Fleisch bumst Chirpan Stil“. So steht es auch auf der erwähnten Karte – und warum? Weil ball zwar ein Ball und ein Bällchen sein kann, to ball aber auch ein Verb. Es bedeutet „bumsen“ – und da kann er wohl nicht anders, der Computer, er muss es tun. Und er tut es. Auch eine Maschine hat fleischliche Gelüste, auf ihre Weise, so sieht’s jedenfalls aus.

Nun einige Worte zu weiteren Zubereitungsarten des Schweinefleischs außerhalb Bulgariens. Es begegnet uns ja draußen in der Welt in den mannigfachsten Erscheinungsformen, sei es als „Entrecotes zum Schwein vermehrtsich“, wie es die Bielefelder Leserin A. aus Rimini mitbrachte, sei es als „Schweißruckensteak“, wie es Frau R. aus Leipzig in der Hitze Spaniens entdeckte. Frau V. aus Köln sah in Portugal „Gegrilt Lendeschweine“, Frau W. auf Teneriffa ein „Schönes Schenkelschwein“. Herrn H. wurde in Lissabon „Schweinefleisch an der Portugiesin“ ebenso angeboten wie „Schweinefleisch an den Papas“, Frau L. aus Bochum saß in Saintes Marie de la Mer in der Camargue vor „Schweinebraten kocht am Ofen durch unsere Pflege“, Leserin S. im Elsass vor einer „Gebratenen Schweineausbuchtung“, im bretonischen Cancale schließlich gab es „Schweines niedlich, das gebraten, von Kartoffeln im Samen von Senf erdrückt ist, saurer Sauce sanfter(süßer) Honig, grüne Zitrone und Ingwer“. Was für eine unglaubliche Art der Schweineschlachtung, nicht wahr? Dass die niedlichen Tiere nicht grob dahingemetzgert, sondern von Kartoffeln im Samen von Senf erdrückt werden…

Wie kaum zwei andere Sprachen sind das Deutsche und das Italienische einander in liebevoller Beziehung verbunden: Italienische Wirte mögen noch so akzentfrei deutsch sprechen, sobald sie in ihrem Lokal stehen, verfallen sie in eine Art Mischsprache, ein Deutschalienisch, sie grüßen italienisch, sie streuen in ihre deutschen Sätze immer wieder ein buono ein, und sie verwenden deutschalienische Verben wie zum Beispiel mackene. Mackene heißt „machen“, und es wird so konjugiert: i macke, du macke, er mackete, wir mackene, ihr mackete, sie mackene.

Das Interessante an Speisekarten in Italien ist nun, dass sie oft Dinge übersetzen, die gar nicht übersetzt werden müssten, weil aufgrund der erwähnten tiefen Zuneigung zwischen Deutschen und Italienern jeder Deutsche die italienischen Speisen kennt, um die es geht. Spaghetti zum Beispiel. Es dürfte keinen Deutschen geben, der Spaghetti nicht kennt, viele von uns wachsen mit Spaghetti auf, zwar leider nicht mit den unzählbaren Varianten, in denen sie in Italien serviert werden – aber eben doch.

Trotzdem tauchen Spaghetti in den deutschen Abteilungen italienischer Menülisten immer wieder als „Isolationsschläuche“ auf: Leserin A. aus Bielefeld fand in Rimini „Isolationsschläuche zum carbonara“, Herr D. aus Traunwalchen reiste nach Mallorca, um dort in einem chinesischen (!) Restaurant „Isolationsschlauch“ aufzufinden.

Ein zunächst unerklärliches Phänomen. Denn wer in einem Wörterbuch nachschlägt, wird in der Regel das Wort „Isolationsschlauch“ auf der deutschen Seite gar nicht finden – und wenn er es doch findet, wird es nicht mit spaghetti (und auch nicht mit spaghetto, denn spaghettI ist ja ein Plural) übersetzt, sondern vielleicht mit tubo di isolamento. Und ein solcher tubo ist nicht essbar.

Liegt der Grund in der Verwechslung mit Maccheroni oder Bucatini, mit Röhrennudeln also, die rein optisch eine gewisse Ähnlichkeit zum hohlen Isolationsschlauch haben? Nein, so ist es nicht, dann müssten ja auch alle Maccheroni- oder Bucatini-Gerichte „Isolationsschlauch“ heißen. Der Grund ist weniger kompliziert, er hat mit den erwähnten Computerprogrammen zu tun, bei denen es keine direkte Übersetzung vom Italienischen ins Deutsche gibt. Man kann eben dort nur vom Italienischen ins Englische übersetzen. Und dann vom Englischen weiter ins Deutsche.

Also: Spaghetti vom Italienischen ins Englische übersetzt heißt, nun ja, Spaghetti. Im Englischen aber hat das Wort spaghetti noch eine zweite Bedeutung – und die lautet? Genau: Isolationsschlauch.

Bleibt die Frage, warum bei der Übersetzung vom Italienischen ins Englische diese Möglichkeit nicht genutzt wird. Warum kommt Babelfish hier nie zum Ergebnis electrical insulating tube? Vielleicht, weil Spaghetti auf Englisch nun einmal ein electrical insulating tube ist. Die Frage ist, warum sich ein Computersystem, wenn ihm zwei Möglichkeiten für die Übersetzung offenstehen, gezielt für die falsche entscheidet: Das System überlegt sich offensichtlich stets beim Betrachten der Wörter, welches deutscher klingt oder aussieht. Da will es sich natürlich für „Isolationsschlauch“ entscheiden, ein in seiner ganzen Anmutung zutiefst deutsches Wort, ebenso wie, zum Beispiel, Füllhalter.

Was sind „Füllhalter in unserer Leitung“, gefunden von Frau B. aus Berlin in Italien? Es muss sich um die Nudelart Penne handeln, Penne bedeutet sowohl „Füllhalter“, als auch, nun ja, Penne. Aber „in unserer Leitung“? Dazu muss man wissen, dass der Wirt in diesem Fall ausnahmsweise zuerst vom Italienischen ins Französische oder eine dem Französischen ähnliche Sprache übersetzt hat, also Penne a modo nostro (Penne nach unserer Art) zu Stylos à notre direction. Was dann vom Französischen ins Deutsche übertragen (da direction auch „Leitung“ heißt) die erwähnte Speise ergibt. Auf Englisch nennt der Dichter das Gericht übrigens Way our pens.

Es führen also viele Wege ins Falsche. Und es ist auch nicht alles erklärlich. Im Grunde ist das Unerklärliche das Schönste. „Gegüllte Riesenravioli“ zum Beispiel, entdeckt von Herrn A. aus Stuttgart in der Nähe seines Wohnortes. „Rigatoni mit Puttenfleischstreifen Champignon- sahen .sause“, von Leserin S. aus München aufgestöbert im (griechischen) Restaurant Meteora in Leiblfing. Puttenfleischstreifen? Wir kannten doch die Putten immer als kleine, spärlich bekleidete Barockengel. Wie entsetzlich grausam, ihr Fleisch in Streifen zu schneiden und zu essen! Und dann auch noch in „Champignon- sahen .sause“.

Immerhin klingt all das noch nach Essen, nicht wahr? Nun aber betreten wir die nächste Stufe der Speisesprache in ihrer deutschalienischen Variante. Hier ist nicht mehr erkennbar, dass wir es mit Verzehrbarem zu tun haben. „Zeichnet Ihnen das Werfen“ zum Beispiel, eingesandt von Frau H. aus Berlin, mitgebracht aus Italien. Oder: „Du raubst übergesprungen“ – Herr von D. aus Wiesbaden fand es in einem Lokal in Lucca.

Sprachwächter wird dies alles schwer erregen, vermute ich. Ihnen rate ich zu einer ihrer Gemütslage angepassten Speise wie „wütendes Mudelgericht“, das mir Herr D. aus Hamburg schickte, er fand es in Colle di Val d’Elsa in der Nähe von Siena, alternativ auch zu „Tomatensauce und Basilikum, Knoblauch und Öl, Carbonara, wütend“, das Leser L. auf der Karte des La Pergola in Castiglione Della Pescaia in der Toskana sah. Möglich drittens: „Motzarella“, dies auf einer Karte, die in Kopie hier vor mir liegt. Aber woher ich sie habe, weiß ich nicht mehr.

Leser K. erzählte mir nach einer Lesung in Leipzig die Geschichte seines Sohnes August. Der rezitierte den Song „Ich bin stark“ von Gitte Haenning immer so: „Und ich spür’ wie nie zuvor die Pizza kalt in mir.“ Es heißt aber in Wahrheit: „Und ich fühl wie nie zuvor die Bitterkeit in mir.“

Der Text ist ein gekürzter Auszug aus Axel Hackes Buch „Oberst von Huhn bittet zu Tisch. Speisedeutsch für Anfänger“ (Kunstmann, 128 Seiten, 14 Euro), das kommenden Mittwoch erscheint.

Axel Hacke, 56, lebt als Autor in München. Bis 2007 schrieb er für den Tagesspiegel jeden Sonntag eine Kolumne. Bekannt wurde er 1992 mit dem Buch „Der kleine Erziehungsberater“.

Axel Hacke

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