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Vietnamesische Küche: Kim Thúys Reise nach Lichtenberg

In Kanada ist sie eine gefeierte Schriftstellerin. Das Essen ihrer alten vietnamesischen Heimat hat sie nie vergessen – und für uns in Berlin verkostet.

Es ist alles ein bisschen verwirrend. Ihr Körper wisse gar nicht, in welcher Zeitzone er sich befinde, sagt Kim Thúy. Und ihr Kopf ist sich gerade auch nicht mehr so sicher. Eine Woche war sie auf Lesereise in Indien, morgens in Delhi und abends schon wieder in Mumbai, dann ging es für ein paar Tage heim nach Kanada, und jetzt ist sie also hier in Berlin – oder doch in Vietnam, dem Land, wo sie einst geboren wurde?

Die Schriftstellerin steht vor dem Eingangstor des Dong Xuan Centers in Lichtenberg und schaut auf die Werbung für ein Tattoostudio, die Inhaberin des Ladens heißt wie sie, Thúy. Ein paar Schritte weiter bietet ein Rechtsanwalt mit Namen Nguyen seine Dienste an. Das Gelände, benannt nach dem wichtigsten Markt von Hanoi (Dong Xuan bedeutet „Frühlingsfeld“), ist ein Zentrum vietnamesischen Lebens, an einem denkbar unscheinbaren Ort. Von Mitte dauert die Fahrt 20 Minuten mit der Straßenbahn, am Ziel angekommen sieht man zunächst nicht viel mehr als ein paar große Lagerhallen.

Kim Thúy betritt eine davon, links und rechts des Gangs wechseln sich Lebensmittelläden mit Nagelstudios und Bekleidungsgeschäften ab. Die 45-Jährige ist begeistert. Alles wie in Vietnam hier. In ihrer kanadischen Heimatstadt Montreal, einem multiethnischen Schmelztiegel mit 1,6 Millionen Einwohnern, gebe es zehntausende Vietnamesen, sagt sie: „Aber so etwas haben wir nicht.“

Man käme kaum auf die Idee, dass Thúy an diesem Tag unter Jetlag leidet. Die zierliche Frau wirkt hellwach und bester Laune. Ein Vulkan sei sie, mit endloser Energie, sagt ihre deutsche Lektorin. Aufgedreht beginnt Thúy mit einer Einführung in die vietnamesische Küche. „Zu der gehören vor allem Kräuter.“ Nicht bloß Koriander – und nicht bloß eine Sorte von Koriander! –, sondern auch Thaibasilikum, Zitronengras, chinesische Melisse, Thaischnittlauch, Dill, verschiedene Minzsorten … An einem Gemüsestand zeigt sie alle nacheinander („Riechen Sie mal, wie großartig das duftet!“) und deutet dann auf Bambussprossen von unterschiedlicher Reife: „Jede davon hat andere geschmackliche Nuancen.“ Und das in Bananenblättern verschnürte Päckchen dort? „Das ist ein Kuchen aus Klebreis, Mungobohnen und Schweinefleisch.“ Traditionell der nahrhafte Vorrat fürs Neujahrsfest Tet, wenn man nicht in der Küche arbeiten sollte: „Die Geister, die dort sonst auf einen achtgeben, sind zu dieser Zeit abwesend.“

Kim Thúy hat nicht nur zwei Romane veröffentlicht (auf Deutsch im Verlag Antje Kunstmann), in denen es immer wieder ums Essen geht. Sie hat in Montreal auch mal ein Restaurant geführt und dort vietnamesisch gekocht. Fünf Jahre lang. Der Laden war beliebt, Gewinn warf er kaum ab. „Kosten zu kalkulieren ist nicht meine Stärke“, sagt sie und lacht.

Thúy schreibt auf Französisch. In ihrem Debüt „Der Klang der Fremde“ von 2010 erzählt sie ihre eigene Geschichte. Aufgewachsen in einer bürgerlich-wohlhabenden Familie im Süden Vietnams floh sie Ende der 70er Jahre mit ihren Eltern vor den Kommunisten, die gerade den Bürgerkrieg gewonnen hatten. Zunächst mit dem Boot nach Malaysia, später nach Kanada, wo die Menschen die Flüchtlinge aus Asien offenherzig aufnahmen. Zehn Jahre war sie alt, als sie sich in einer völlig neuen Gesellschaft zurechtfinden musste.

Ihr vor kurzem erschienenes Buch „Der Geschmack der Sehnsucht“ ist weniger autobiografisch, auch wenn die Hauptfigur erneut eine nach Kanada entkommene Vietnamesin ist. Es handelt sich um eine Liebesgeschichte – wie das Debüt in Miniaturen erzählt, kunstvollen, leicht sentimentalen Episoden, die zwischen Zeiten und Orten wechseln.

Das Essen ist dieses Mal besonders präsent. Es beschwört Erinnerungen an die ferne Heimat herauf, es verbindet die Menschen in der Fremde, es ist fast eine Art der Kommunikation. Da ist der Duft, von dem die Kinder wissen, dass Mutter ihn am liebsten mag: der von Fischsauce in Kombination mit Kohl oder Gurken. Da ist das Gericht für den erkrankten Ehemann: Huhn gegart mit Ginkgonüssen, getrockneten Beeren und Lotussamen („Dem Glauben nach enthält Lotus eine Portion Ewigkeit“). Und da sind die Schweinefleischfrikadellen, die das chinesische Viertel von Saigon ins Gedächtnis rufen. „Leise flüsternd“, heißt es zu Beginn, „lehrten die Mütter ihre Töchter kochen, damit nicht Nachbarinnen die Rezepte stahlen und womöglich mit den gleichen Gerichten deren Männer verführten.“

Kim Thúy kann solche Geschichten auch aus ihrer eigenen Familie erzählen, kann berichten, wie groß die Bedeutung von Essen für Vietnamesen ist. „Nach ein paar Jahren in Kanada konnte mein Vater zum ersten Mal wieder eine teure Guave kaufen. Wir saßen alle um den Tisch herum, während er sie in dünne Scheiben schnitt“, sagt sie. „Als er sah, dass wir die Frucht nach wie vor mochten, war er überglücklich. Wir hatten den Geschmack der Heimat nicht vergessen.“ Nicht nur an ein sehr viel bescheideneres Leben mussten sich Thúys Eltern in Kanada gewöhnen, Anfang der 80er gab es dort auch kaum Möglichkeiten, Zutaten für asiatische Rezepte zu kaufen.

„Im Unterschied zur leicht indisch beeinflussten Thai-Küche geht es in der vietnamesischen weniger um Gewürze und Schärfe, und anders als in China wird Gemüse oft roh oder nur sanft gegart gegessen“, sagt Thúy. Frische zeichnet das Essen in Vietnam aus, Suppen spielen eine große Rolle, ebenso wie die erwähnte Fischsauce, mit der alles gewürzt und die auch als Dip verwendet wird. „Vietnam ist vom Schicksal begünstigt.“ Besonders im Süden, wo es keinen Winter gibt, gedeihen eine Unmenge Pflanzen: „Die Auswahl an Obst ist fantastisch.“

Umso unverständlicher findet die Schriftstellerin, wie wenig die Vietnamesen den Rest der Welt mit dieser Vielfalt vertraut gemacht haben. Was Thúy über vietnamesische Restaurants in Nordamerika erzählt, erinnert an die in Deutschland (siehe Kasten unten). Viele Jahre hätten sich die Lokale unter Wert verkauft, vietnamesisches Essen galt als billig – jedenfalls im Vergleich zur thailändischen, chinesischen oder japanischen Küche. Die Köche hätten nur eine extrem vereinfachte, vermeintlich auf den westlichen Geschmack abgestellte Variante typischer Gerichte serviert. „Statt sechs Kräutern gab es in der Frühlingsrolle bloß Minze.“ Von Hause aus ist Thúy Juristin, ihr kurzer Ausflug in die Welt der Gastronomie hatte auch damit zu tun, dass sie den Kanadiern endlich die echten Speisen ihrer Heimat nahebringen wollte.

Im Dong Xuan Center ist sie in der Zwischenzeit in einem Restaurant eingekehrt. Dort probiert Thúy Bananenblütensalat, Rindfleischsuppe und Frühlingsrollen. Alles authentisch, findet sie – einschließlich der ruppigen Kellnerin. „In Vietnam entwickelt sich die Idee von Service gerade erst.“

Kim Thúy hat zwischendurch fast vier Jahre in der alten Heimat gelebt, sowohl in der Hauptstadt Hanoi, im Norden, als auch in Saigon, dem heutigen Ho-Chi-Minh-Stadt. „Unter den Kommunisten sind viele kulinarische Traditionen verloren gegangen, unter anderem weil Nahrungsmittel knapp waren“, sagt sie. „Große Hochzeitspartys, bei denen früher raffinierte Speisen aufgetischt wurden, durfte es nicht mehr geben.“

Seit der wirtschaftlichen Öffnung des Landes werde die Küche nun anspruchsvoller, was Auswüchse mit einschließt. Karamellisiertes Schweinefleisch mit Coca-Cola zum Beispiel. Zwar wird das Schwein traditionell mit Kokoswasser zubereitet, aber Cola hatte zwischenzeitlich den Ruf, edler zu sein.

Vietnambesuchern empfiehlt Kim Thúy das Essen an Straßenständen. „Die Standbetreiber sind hochspezialisiert, und wenn man 20 Jahre immer das gleiche Gericht zubereitet, wird man automatisch zum Meister.“ Sie selbst aß in Hanoi wieder und wieder die gleiche Hühner-Nudelsuppe. „Das ging so weit, dass die Köchin mir irgendwann sagte: Gehen Sie doch mal woanders hin!“

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