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Von TISCH zu TISCH: Alt Luxemburg

Rehrückenfilet und Pastinaken

Wird die feine Küche immer komplizierter? Es ist sehr lange her, dass ein Topkoch wie Josef Viehhauser stilbildend wirkte mit seiner Auffassung, drei Elemente auf einem Teller seien genug. Heute scheint es eher, als seien 20 immer noch zu wenig, jedenfalls, wenn Theoretiker wie der Kritiker Jürgen Dollase die Diskurshoheit über die Drei-Sterne-Herde an sich reißen und abstruse Tellerlandschaften heraufbeschwören, die ohne mehrseitige Anleitung praktisch nicht mehr unfallfrei zu genießen sind.

Ich mag so was nicht besonders, und ich finde auch andere Modeerscheinungen fragwürdig, die Mikroelemente, die Saucentropfen, all die Bastelarbeiten, die heute in den Vordergrund drängen, wenn es um den zweiten Stern oder mehr geht. In Berlin hält sich all das noch in Grenzen – dennoch gehe ich gern mal zu einem Koch, der so stark aus der Tradition schöpft, dass er auf jeden vordergründigen Effekt verzichten kann.

Ein solcher Koch ist Karl Wannemacher im „Alt Luxemburg“. Niemand ist auch nur entfernt so lange im gehobenen Geschäft wie er; das Restaurant feiert im nächsten Jahr 30. Geburtstag, eine Ewigkeit im schnell drehenden Berlin.

Irgendwann vor langer Zeit hat der Michelin Wannemacher den Stern weggenommen, der Gault-Millau reduzierte sein anhaltendes Lob mit Bedauern von 17 auf 16 Punkte, doch das muss niemanden bekümmern, der auf Geschmack und Harmonie mehr Wert legt als auf Luxus und Moden. Zumal es kaum möglich sein dürfte, auf diesem Niveau in Berlin preisgünstiger zu essen: Es gibt ein Vier-Gang-Menü schon für 49 Euro, ein weiteres für 64 Euro. Auch die Weine kosten nicht die Welt.

Wannemacher ist einer der letzten Spitzenköche, die es sich leisten, die Dinge manchmal einfach nebeneinander auf den Teller zu legen – und die Teller sind auch noch konventionell rund und nicht eigens angefertigt. Schwarzfederhuhn geschmort, Sauce, Spargel, leicht angebratene neue Kartoffeln, fertig. Aber die Sorgfalt im Detail macht den Unterschied. Wenn es hier Rehrückenfilet gibt, ist es nicht mit modernster Kochtechnik auf weich und homogen rosa getrimmt, sondern kommt aus der Pfanne, angebraten, kernig, aromatisch. Dazu Pastinaken als Püree und in Streifen, Gewürzsoße und – Knöpfle. Herrlich.

Der Witz dieser Küche liegt darin, dass exakt das auf den Teller kommt, was in der Speisekarte steht – und dass doch keine Langeweile aufkommt, sondern das Wohlgefühl dominiert, dass die Sachen so gut sind. Spargel, fluffig gewölbter Blätterteig, Morcheln, etwas Rahmsauce. Gänseleber, in dünnen Scheiben gerollt, mit Rhabarber und einem kleinen, gerade nicht dominierenden Hauch Vanille. Terrine aus Ziegenfrischkäse mit Mittelmeergemüsen und Basilikumpesto. Schollenfilet mit Speck und Spitzkohl. Nichts eignet sich zu kulinarischen Diskursen, nichts wirft die Frage auf, ob nicht vielleicht doch dies und das anders besser zu machen gewesen wäre, es ist einfach so, wie es ist, makellos gewürzt und gegart – Wannemacher arbeitet wie ein souveräner Eiskunstläufer, der sich die Drei- und Vierfachsprünge spart, weil andere das besser können.

Ich gestehe, dass ich hier – kein Wunder nach 30 Jahren – bekannt bin, und deshalb das Haus nie verlasse, ohne alle vier Desserts probiert zu haben. Diesmal waren es: Vollmilch-Kürbiskernparfait mit Mango, Sablé mit gebrannter Zitronencreme, Himbeeren und Himbeersorbet, Shake und Gratin von Erdbeeren mit Joghurteis sowie ein Rhabarber-Baiser-Tartelette mit Waldmeistergötterspeise und Erdbeersorbet. Götterspeise – das trifft es ziemlich genau. Es sind keine unerhörten Neuigkeiten, die man sofort in die ganze Welt twittern möchte. Sondern einfach, na, Sie haben’s ja kapiert.

Der Service durch Ingrid Wannemacher und ihren langjährigen Mitstreiter Oliver Körber setzt auf berlinisches Understatement. Die Weine sind gut und preisgünstig, und nach oben wäre sicher noch Luft. Aber so ist wenigstens klar, dass das Essen die Hauptrolle spielt.

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