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Verbindung halten. Anna Maria Mühe gehört zu den zwölf jungen Schauspielerinnen und Schauspielern, die für den Kalender Modell standen. Das Kleid ist mit Goldfarbe handbemalt. Auch ein Model und ein Musiker machten mit.

© Jim Rakete

Jim Rakete und Kilian Kerner: „Wir haben nur unser Talent“

Der Kalender „Ikonen“ entstand, um Geld für ein Hilfsprojekt in Mosambik zu sammeln. Jim Rakete fotografierte junge Schauspieler in Kleidern des Initiators Kilian Kerner, zum Videoclip steuerte Sänger und Kalendermodel Max Prosa den Titelsong bei.

Herr Kerner, wie ist die Zusammenarbeit zwischen Ihnen und Jim Rakete entstanden?

KILIAN KERNER: Das ist eine lange Geschichte. Ich habe mal bei einer Modenschau in Afrika mitgemacht. Ich wurde nach Mosambik eingeladen und wollte mir unbedingt ein Kinderheim anschauen. Das hat mein Leben verändert.

Was ist passiert?

KERNER: Da waren keine schönen Zustände. Manchmal leben dort 70 Kinder, aber es gibt nur 30 Betten, ohne Decken und Kopfkissen. Jeden Tag gab es Fischsuppe und Wasser aus einer kaputten Plastiktonne. Man kennt das aus dem Fernsehen – plötzlich standen ganz viele Kinder um mich herum und zerrten an mir. Ich war heillos überfordert. Ab diesem Moment habe ich mich gefragt: Warum helfen nicht alle? Zu Hause wollte ich sofort eine Stiftung gründen. Ich habe alle Leute wahnsinnig genervt, aber mit der Stiftung hat es nicht geklappt.

Sie haben aber weitergemacht?

KERNER: Wir sind sehr oft nach Afrika gereist. Als Erstes haben eine Freundin und ich uns darum gekümmert, dass dort eine Wasserpumpe gebaut wurde. Wir haben Feste organisiert, jemanden angestellt, der sich um die Kinder kümmert.

Das klingt nach einem dauerhaften Engagement.

KERNER: Wir haben das knapp drei Jahre gemacht. Einigen Kindern konnten wir helfen, ins SOS-Kinderdorf umzuziehen. Trotzdem sind die Häuser dort zum Teil marode, die Schulen werden nicht ausreichend bespielt. Da ist mir auf meiner Couch die Idee gekommen, mit einem Kalender Geld zu sammeln. Ich habe ein paar Leute gefragt, ob sie mitmachen wollen. Mir war klar, dass es kein Modefotograf sein sollte. Ich wollte ja, dass Persönlichkeiten fotografiert werden, die Mode sollte nur Beiwerk sein. Ich wollte Jim Rakete für das Projekt gewinnen.

Es sollte kein Lookbook werden?

KERNER: Um Gottes Willen, nein! Ich habe bei Jims Agentin angerufen und rumgestottert. Und gefragt, ob er drei, vier Fotos machen könnte. Ich dachte: Das dauert jetzt. Aber nach einer halbe Stunde hat er sich selber gemeldet.

Und was hat es mit dem Film auf sich?

KERNER: Jim fragte mich, ob wir nicht auch einen Clip dazu machen wollen. Klar wollte ich, der unterstützt das Ganze noch mal emotional.

Wie waren die Aufnahmen?

JIM RAKETE: Kalt, unbeheizt, vier Grad.

KERNER: Die ersten vier Aufnahmen haben wir im Oktober gemacht, die anderen an drei Tagen im November. Jim hat sich so gute Geschichten ausgedacht!

JIM RAKETE: Ich habe lange überlegt, wie man wann was machen kann. Wir hatten kein professionelles Filmteam von dreißig Leuten, Requisiten gab es auch nicht, es war eine leere Halle.

Max Riemelt, Paula Beer, Karoline Herfurth: Das sind junge Künstler, die auf dem Sprung sind. Sie haben mal gesagt, dass Sie das besonders spannend finden.

RAKETE: Ja. Wir haben nach etwas gesucht, das normalerweise gar nicht abrufbar ist, die Momente sind so emotional. Karoline hat eine Geschichte erzählt, die man nicht hört, weil es ja ein Stummfilm ist. Am Ende haben alle geheult, nur ich durfte nicht, weil ich gedreht habe.

Was der Zuschauer sieht, ist das Gefühl?

RAKETE: Wir haben eine Verabredung getroffen, mit jedem eine andere. Sonst könnte man es nicht ertragen, wenn du zwölf Leute einen Seelenstriptease machen lässt. Wir hatten uns als Oberbegriff den „toten Punkt“ genommen, den jeder hat, wo er über sein Leben nachdenkt. Bei jedem ist es etwas anderes.

Es gibt also einen Subtext, den man nicht hören wird.

RAKETE: Das Ding heißt ja Ikonen, weil zufällig der tollste Song, den Max Prosa uns geschickt hat, „Ikonen“ heißt. Ikonen sind aber auch sehr abgehoben. Dadurch, dass sie schöne Sachen von Kilian anhaben, ist die Fallhöhe so hoch. Man hat immer das Gefühl, die kommen gerade vom Thron. Dann schlägt der Blitz in eine Nussschale, die man Leben nennt. Alle haben was ausgepackt: Eine bekommt einen Brief, der sie erst euphorisch macht, dann tödlich verletzt. Eine Sehnsuchtsgeschichte, eine Dreiecksgeschichte, die schiefgeht, alles zusammengehalten von diesem Song. Wir haben erst gedreht, und wenn wir das Foto machten, waren sie noch ganz aufgeregt mit dem jeweiligen Gefühl.

Wird es zu einer Verpflichtung, so etwas zu machen, wenn man einen bekannten Namen hat?

RAKETE: Kilian beschäftigt das sowieso schon länger, und ich mache so etwas dauernd, es merkt nur keiner. Zu Afrika habe ich eine besondere Beziehung, weil ich vor vielen Jahren das deutsche Band Aid organisiert habe. Da habe ich 23 Bands zusammengeschraubt.

War das Medium Film neu für Sie?

RAKETE: Nein, ich habe immer schon kleine Clips gedreht. Das war Notwehr. Wenn du eine Band oder einen Schauspieler gut findest, stößt du mit Fotografie an Grenzen. Damit bekommst du nicht jede Tür auf. Beim Film stehen die Türen noch halb offen.

Was bedeutet das?

RAKETE: Das fängt damit an, dass du in die gedruckten Medien gar nicht mehr reinkommst. Ich wundere mich, dass es mich noch gibt. Aber ich bin ja auch breiter aufgestellt als die anderen. Es geht immer mehr um die Kombination von Namen. Gestern wurde unser Projekt mit einem Kate-Moss-Kalender von Bryan Adams in einen Topf geworfen. Da wird die Arbeit eines Multimillionärs mit etwas verglichen, das umsonst entstand. Wir haben diese Mittel nicht, wir haben nur unser Talent. Wer mitmacht, ist uns willkommen. Aber mit einem Investment eines Karl Lagerfeld hat es nichts zu tun.

Welche Ähnlichkeiten gibt es zwischen Mode und Fotografie?

KERNER: Beides ist schnell und bildet die Veränderung der Gesellschaft ab.

RAKETE: In der Modefotografie ist es tatsächlich so, dass die Protagonisten zu den wenigen Konstanten gehören. Mode muss sich jeden Tag verändern. Es gibt einige Chronisten dieser Entwicklung wie Irving Pen, Peter Lindbergh oder Steven Meisel. Die sind sicher kreativ, aber sie haben eine ganz bestimmte Haltung zur Mode. Steven Meisel ist ein Fashion Victim, der zieht schon mal den Lidstrich nach. Lindbergh arbeitet wie ein Zirkusdirektor. Die Konstanten sind Marken, Designer und Fotografen. Alles andere muss sich verändern.

Das ist vielleicht auch der Grund, warum es Sie noch gibt?

RAKETE: Ja. Die „Denkmalisierung“ von Menschen geht uns doch allen auf den Wecker. Helmut Schmidt ist ein Merchandising-Artikel des Zeit-Magazins, der wird sogar nach dem Wetter gefragt. So möchte ich nicht enden.

Wird man in Deutschland besonders schnell auf einen Sockel gestellt?

RAKETE: Ja, das ist dann sehr passiv, da muss man aufpassen. Wenn irgendwo ein „Lifetime Award“ vergeben wird, muss man ganz schnell wegrennen.

Das Projekt scheint aber auch über den Charity-Gedanken hinaus Spaß gemacht zu haben.

RAKETE: Wir wollten nicht die beste Zensur für die geilste Idee bekommen. Wir wollten die Leute mit etwas anderem berühren als Geld. Wenn es so etwas gäbe, würde ich sagen, dass dieses Projekt eine gewisse Ehrlichkeit in sich trägt. Es ist einfach toll, den Protagonisten beim Denken zuzugucken.

Das Gespräch führte Grit Thönnissen. Die Bilder sind bis zum 18.12. in der

Galerie Münzing Classen, Holsteinische Str. 29, Wilmersdorf zu sehen. Kalender unter www.ebay.de/ebayfuercharity/

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