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Nicht allein. Das Kleid gehört zur neuen Linie SchmidtTakahashi-Duplikat - es ist nachproduzierbar.

© promo

Mach mal selbst: Aus alt mach neu

Die Finanzkrise hat unser Kaufverhalten verändert – Handwerk und Selbstgemachtes wird wieder geschätzt. Berliner Designern könnte das helfen.

"Keine Angst, das hat bisher jeder hier geschafft." Rabea Rauer sitzt an einer Nähmaschine und erklärt fünf Frauen, wie man eine Naht ansetzt. Dann drückt sie allen ein Stück Stoff in die Hand. Unsichere Blicke, zaghaftes Drehen der Knöpfe, ein erster Tritt aufs Pedal, und es rattert los. Gemeinsam mit Yvonne Reidelbach hat Rauer im Februar 2010 die Friedrichshainer Kinkibox eröffnet: Ein kleines Atelier mit zehn Nähmaschinen, an denen jeden Abend Nähkurse stattfinden. Dass der Andrang so groß und die Kurse regelmäßig ausgebucht sein würden, damit hätten die beiden nicht gerechnet. „Die meisten unserer Kunden sitzen den ganzen Tag am Computer. Etwas mit den eigenen Händen herzustellen und nach zwei Stunden ein Ergebnis zu sehen - viele macht das glücklich.“

Der Erfolg der Kinkibox mag nur ein kleines Beispiel sein, doch er ist bezeichnend dafür, wie sich das Verhältnis zum Thema Mode in Berlin verändert hat: Der Gedanke von Handwerk steht wieder im Vordergrund. Man feiert private Näh- und Strickpartys, besucht DIY-Workshops oder Nähcafés, kauft und verkauft allerlei Selbstgemachtes wie Mützen oder Handschuhe auf den Internetplattformen „Etsy“ und „Dawanda“. Denn Handwerk, das bedeutet Beständigkeit, hohe Qualität und Einzigartigkeit. Etwas, wonach man sich nach Jahren des schnellen Konsums nun wieder sehnt. Ob die neue Denkweise ein Resultat der Finanzkrise ist? Sicher ist, dass sie sich positiv auf das Ansehen von Berlins Jungdesignern auswirkt. Ihre Mode erfährt eine größere Wertschätzung – schließlich ist Selbermachen gar nicht so einfach. Vielleicht hat sich nach fünf Jahren Fashion Week deswegen ein ganz erkennbarer Stil herauskristallisiert - der „Berliner Stil“, wie er neuerdings genannt wird: nüchtern und zeitlos, nachhaltig und möglichst handgefertigt. Vertreten von Labels wie Michael Sontag, Perret Schaad, Hien Le und in besonderer Weise auch von Schmidttakahashi.

„In Berlin war halt schon immer ein bisschen Krise.“ Mariko Takahashi, die mit Eugenie Schmidt das Label Schmidttakahashi gegründet hat, steht in ihrem Atelier in Kreuzberg und muss lachen bei diesem Satz. Seit der gemeinsamen Diplomarbeit an der Kunsthochschule Weißensee im Jahr 2009 sammeln die beiden Designerinnen abgelegte Kleidungsstücke, zerlegen sie in ihre Einzelteile und setzen sie zu neuen Unikaten zusammen. Themen wie Handwerk und Nachhaltigkeit greifen sie damit auf wie kein zweites Label in Berlin. Mittlerweile hat sich ihr Konzept herumgesprochen: Jacken, Hosen, Pullover – alle gewaschen und nach Farben sortiert – stapeln sich hinter Mariko Takahashi in einem Wandregal. Zwei bis drei Säcke mit je 20 Teilen werden im Monat gespendet, letzte Woche sogar per Post aus Süddeutschland.

Ein T-Shirt des Labels kostet etwa 80 Euro, ein komplizierter Mantel 900 Euro – doch der Arbeitsaufwand steht weit über den Einnahmen und leben, das können sie davon tatsächlich noch nicht. „Zum Teil ein selbstgeschaffenes Problem“, wie Takahashi sagt. Die Einkäufer denken ans Geschäft und das lief bisher nun mal besser, wenn jedes Modell mehrfach vorhanden war. Die beiden haben sich davon nicht entmutigen lassen, sondern im Gegenteil, einfach weitergedacht und auf der letzten Fashion Week eine neue Linie vorgestellt: Schmidttakahashi- Duplikat. Teile, die aus den ersten Kollektionen gut ankamen, werden nun aus neuen Stoffen in größerer Auflage reproduziert. Ein kleines Andenken an ihre ursprüngliche Idee haben sich Schmidt und Takahashi aber erhalten: In jedes Duplikat-Modell ist ein kleines Stück Unikat genäht – ein Stück eines alten Kleidungsstücks. Nein, von Aufgeben war nie die Rede. „Dass wir so viele gute Reaktionen auf unsere Mode bekommen, ist eine große Motivation.“ Und ist es nicht auch normal, dass ein kleines Unternehmen Zeit zum Wachsen braucht? Muss ein Label nach seiner ersten Show gleich weltweiten Erfolg haben? Stehen die Erwartungen an Berlins Jungdesigner überhaupt im richtigen Verhältnis zu ihren Möglichkeiten? Der Nachwuchs nimmt zu, der Wettbewerb wird härter – und das in einer Stadt, in der Mode noch keine lange Tradition aufbauen konnte. Aber Berlin ist eben nicht nur Mode- sondern auch Kreativhauptstadt und hat in den letzten Jahren gelernt, aus begrenzten Mitteln das Beste zu machen. Dazu gehört zum Beispiel The Offer, ein Netzwerk mehrerer kleiner Labels, die sich gegenseitig unterstützen. Gegründet wurde das Projekt 2008 von der Designerin Nicole Roscher. Ihre Marke von Bardonitz stellte sie am Mittwoch zum ersten Mal auf der Mercedes-Benz Fashion Week vor. Sie überlegt: Doch, Berlin habe sich in den letzten Jahren schon extrem entwickelt. Aber was die Förderung angeht, könnte tatsächlich noch mehr passieren. Ein klassischer Catwalk kostet 10.000 Euro, eine Studiopräsentation 3.500 Euro – Fotografen, Models und Technik inbegriffen. „An sich ist das günstig, aber als junger Designer muss man erstmal schlucken.“ Durch The Offer sei vieles einfacher geworden. Die Labels reisen gemeinsam auf Messen, teilen sich die Kosten von Showrooms oder Fotoproduktionen und tauschen Erfahrungen aus. Woanders zu leben kommt für Nicole Roscher nicht infrage. „Ich habe es in London versucht: eine Katastrophe. Wenn man ein paar Jahre durchhält, kann man in Berlin als junges Label mit sehr wenig sehr viel mehr erreichen.“ Michael Sontag ist einer, dem das gelungen ist. Seitdem er seine erste Kollektion im Sommer 2009 auf der Fashion Week zeigte, hat er mehrere Modepreise gewonnen, wurde von Suzy Menkes, Modekritikerin der Herald Tribune, gelobt und von Christiane Arp von der deutschen Vogue unter ihre Fittiche genommen. Sontag grinst verlegen, wenn man seine Erfolge aufzählt. Ja, er habe Glück gehabt und statt einer Krise vielmehr einen Aufschwung in der Stadt gespürt. „Ich glaube, ganz wichtig ist, einfach immer wieder Neues auszuprobieren und keine Angst davor zu haben.“

Entspannt, hoffnungsvoll und selbstsicher – die Stimmen aus Berlin klingen positiv. Aber keine Angst vor Neuem zu haben, das ist an dieser Stelle vielleicht ein sinnvoller Vorsatz für die nächsten Jahre. Denn so schön und zeitlos und nachhaltig die Mode in Berlin auch geworden ist – lauter Klassiker im Schrank zu haben, ist irgendwie auch langweilig. Notfalls bleibt die Kinkibox. Der nächste Anfängerkurs beginnt am zweiten Februar und laut Rabea Rauer kann man nach zehn Stunden einen Rock nähen.

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