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Modefoto

© Kunstbibliothek

Modeberichterstattung im Berlin der Sechziger: Das Lied der Straße

Seit den sechziger Jahren hat die Jugend das Sagen in der Mode. Die Berichterstattung zeigt: Den Älteren ist der Wechsel nicht leichtgefallen.

Mode zeigt immer ein Abbild der Gesellschaft. Daran, dass heute jeder so aussehen kann, wie er will, haben wir uns längst gewöhnt. Von der Mode lässt sich kaum jemand mehr etwas vorschreiben.

Die Dekade, in der sich das grundlegend geändert hat, waren die sechziger Jahre. Die viel besungene Straße begann wichtiger zu werden als das, was in den Couturehäusern gezeigt wurde. Fast rührend mutet es an, wie sich alteingesessene Häuser bemühten, ihre Vorherrschaft aufrechtzuerhalten, indem sie das, was sie auf der Straße sahen, in ihre Entwürfe aufnahmen.

All das zeigt die Ausstellung „High Sixties“ anhand von mehr als 160 Fotografien. Da die Mehrzahl von ihnen auf den Modeseiten des Tagesspiegels erschienen ist, war es ein Leichtes, in den Archiven die Kommentare und Texte zu den Bildern zu finden.

Mit Händen und Füßen stemmte sich die damalige verantwortliche Redakteurin Cordula Moritz gegen die Zeitläufte, die das feste Gerüst des Modediktats bald mit sich reißen würden. Man konnte trotzig nach Paris schauen, dort die Vorbilder ausmachen und feststellen: „Die Röcke werden à la Paris noch ein bisschen kürzer sein, aber das ist Theorie und eine fröhliche Geschichte dazu. Jedermann weiß, dass nicht jede Frau die superkurzen Röcke tragen kann. Genauer: Es können sich recht eigentlich nur wenige Frauen erlauben.“ Die Zeichnungen von Gerd Hartung zeigen sehr deutlich, was die Moderedaktion davon hielt: Die Knie der Figurinen sind allesamt bedeckt. Nachmittagskostüme von Berliner Couturiers waren sittsam geschnitten.

Zum ersten Mal machte die Übermacht der Jugend den Älteren Angst. Sie war nicht mehr nur ein kurzer Abschnitt im Leben, bis die Flausen ausgetrieben waren – sie gab vor, was wirklich schick war. Mannequins sahen nicht mehr damenhaft aus, sondern seit dem Erscheinen der Engländerin Twiggy wie magere Kinder. Das andere Vorbild war die Schauspielerin Brigitte Bardot, die mit ihrer vitalen Körperlichkeit mal Bewunderung auslöste, mal Schrecken verbreitete.

„Wie weit das Kinderwesen von der Seine Vorbild auch für weniger fragile Damen aus anderen Gegenden Europas und der Welt sein soll“, fragte sich Cordula Moritz im April 1966. Und weiter: „Die Experimente wird sich Paris nicht mehr häufig leisten können, das Bild zu verzerren.“ Das Korrektiv war die Berliner Mode. Wurde zuerst aus Paris von den Neuigkeiten berichtet, wo es vor allem darum ging, festzustellen, wie kurz oder lang die Röcke waren, endet die Zusammenfassung mit einem hoffnungsfrohen: „Was wohl die Berliner Couturiers daraus machen?“

Noch 1963 demonstrierten die Chefs von Berliner Modehäusern wie Staebe-Seger, Gehringer & Glupp und Schwichtenberg auf einem Gruppenfoto von Helmut Newton für das Modemagazin „Constanze“ ihre Macht. Jede Saison zeigten sie Abwandlungen des Nachmittagskostüms oder aus Kleid und Mantel bestehenden Komplets für die „ältere“ Dame.

Als Mode galt die Haute Couture, die hohe Schneiderkunst. Wichtig war, wie und mit welchen Materialien gearbeitet wurde. Die Boutiquemode wurde nicht zuletzt von den Designern selbst eingeführt, um ihre aufwendigen Erstlinien weiter finanzieren zu können. Noch bevor der Pariser Yves Saint Laurent 1966 seine erschwinglichere Zweitlinie „Rive Gauche“ auf den Markt brachte, gründete Uli Richter 1962 seine günstiger produzierte Marke „Uli Richter Spezial“. Zu seinen treuesten Kundinnen gehörten Rut Brandt, Ignes Ponto, Ehefrau von Dresdner-Bank-Chef Jürgen Ponto, und Verlegerin Aenne Burda – alles elegante Damen jenseits der 35.

In den sechziger Jahren konnten sich die Alten plötzlich nicht mehr darauf verlassen, dass die Jungen ihnen nacheifern würden. Mehr noch, die Welt der Straße gewann dank einer neuen Zielgruppe die Oberhand, die heute in der Mode ganz selbstverständlich als Leitbild gilt: Teens und Twens, die sich nicht mehr mit dem Angebot in den Jugendabteilungen der Kaufhäuser zufriedengeben wollten. Bekleidung teilte sich in Mode für unter und für über Dreißigjährige. Natürlich wird diese Grenze heute noch gezogen, aber sie soll eher dazu animieren, möglichst lange dazuzugehören und an der Jugendlichkeit teilzuhaben. Im Berlin der sechziger Jahre wurde der Kreis der Couturiers immer kleiner – Anfang der Siebziger hatten acht Häuser aufgegeben.

Noch Mitte des Jahrzehnts versuchte man von beiden Seiten, die Grenzen zu verteidigen. Es ging um den Protest gegen überlieferte Normen, gegen Konventionen und Kapitalismus. Aber auch die Konsumwelt reagierte auf veränderte Werte. Boutiquen, die schicke und günstige Mode anboten, eröffneten zuerst in London, später überall.

Tagesspiegel-Redakteurin Cordula Moritz trennte noch scharf zwischen den verschiedenen Genres. Sie sah schon im Oktober 1967 die Vorherrschaft der Berliner Couturiers in Gefahr: „Es wäre sehr schade und es ginge der Berliner Mode etwas Entscheidendes verloren, wenn im Laufe der Zeit den Modellhäusern der Boden für ihre Arbeit entzogen würde. Gewiss, auch die Firmen des sogenannten Mittelgenres verstehen ihr Handwerk und ihr Geschäft, sie ziehen ja gemeinsam mit dem Massenverkaufsgenre die Frauen an.“

Doch selbst auf der Modeseite des Tagesspiegels musste man bereits 1964 feststellen, dass „die jungen Leute heute auch fast die Einzigen sind, die noch Mode machen und Mut haben, etwas Außergewöhnliches zu tragen“.

In der Ausstellung „High Sixties“ wird noch einmal die ganze Vielfalt dieser Umbruchszeit in Bildern dokumentiert.

"High Sixties Fashion: Modefotografie und -illustration", eine Ausstellung der Sammlung Modebild  Lipperheidesche Kostümbibliothek, Kunstbibliothek, Kulturforum Potsdamer Platz.
Bis zum 1. August 2010.
Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen, herausgegeben von der Aussstellungskuratorin Adelheid Rasche. "Sixties Fashion: Modefotografie & -illustration" hat 128 Seiten, 148 Abbildungen und kostet im Museum 12,80 Euro.

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