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Antikapitalistin im Nerz: Mit der Werbung sorgte die Legende 1976 für einigen Wirbel. Foto picture alliance/The Advertising Archives

© SAM FALK /The New York Times/Red

Dashiell Hammett: Die freie Radikale

Lillian Hellman war Autorin, Linke, Säuferin und Gefährtin von Dashiell Hammett: gehasst und verehrt. 1939 hatte sie ihren größten Theatererfolg. Den inszeniert nun die Berliner Schaubühne.

Am Tag, an dem Lillian Hellman starb, wollte sie eigentlich fischen gehen. Knapp 80 war sie da, zerknittert und gebrechlich, seit zwei Jahren so gut wie blind, ununterbrochen von Schmerzen geplagt. Aber am Vortag hatte sie ihren Freund und Kapitän extra angerufen, um sicher zu gehen, dass das Boot, das sie sich auf Martha’s Vineyard teilten, startklar war. Wenn sie rausfuhren, hatte Jack Koontz jetzt oft Angst, dass eine Welle die Schriftstellerin in den Atlantik spülen könnte, so schwach, wie sie war. Stattdessen stand sie auf, wenn ihnen ein anderes Boot zu nahe kam und für heftiges Schaukeln sorgte, zeigte dem Feind den Stinkefinger und beschimpfte ihn mit ihrer Raucherstimme aufs Wüsteste.

„Lillian Hellman ist vieles gewesen“, schrieb Kapitän Koontz in seinem Nachruf auf die Freundin im Juli 1984, „unter anderem Fischer.“ Bei ihr bissen immer die größten Fische an.

Vieles – das ist noch untertrieben. Kommunistin und Hollywoodstar ist sie gewesen, Südstaatenkritikerin und -romantikerin, erbitterte Feindin und zärtliche Freundin, großzügige Gastgeberin und Bürgerrechtlerin, Jüdin und Israelkritikerin, Bohemien und Farmerin, Regisseurin, Lügnerin und Trinkerin, Heilige und Hassobjekt. Eine Legende im Pelz – und einer der wichtigsten Dramatiker der US-Moderne. Auf die männliche Form hat sie Wert gelegt, sie gehörte doch zu den Jungs. Als Schriftstellerin bezeichnet zu werden, empfand Hellman als Beleidigung, so setzte sie das Wort selber ein: „A lady writer“ hat sie Mary McCarthy genannt. Die Kollegin schlug später zurück.

Hellmans erfolgreichstes Drama wurde 1939 am Broadway uraufgeführt. 410 Mal liefen „Die kleinen Füchse“ am Stück, kommende Woche bringt Thomas Ostermeier sie an der Schaubühne neu heraus. Das Südstaatendrama, in dem eine Familie sich gierig zerfleischt, spukt Ostermeier schon seit Jahren im Kopf herum: seit er am Deutschen Theater immer wieder von der legendären Aufführung in den 50er Jahren mit Inge Keller erzählt bekam. Jetzt war die Zeit reif. Mit Nina Hoss hat er die passende Besetzung, eine starke Darstellerin für eine starke Hauptfigur. Mit ihrem ersten Auftritt an der Schaubühne tritt Hoss in die Fußstapfen von Liz Taylor und Bette Davis.

Hellmans Erfolg am Theater mag erstaunen angesichts der Tatsache, dass sie dieses eigentlich gar nicht leiden konnte, wie sie immer wieder gern erklärte. Nicht mal zur Zuschauerin taugte sie, oft stürmte sie nach dem ersten Akt aus dem Saal. Stillsitzen war nicht ihre Stärke.

Rastlos war schon ihre Kindheit gewesen. Die eine Hälfte des Jahres lebte die Familie in New York bei der wohlhabenden Familie der Mutter, die andere Hälfte in New Orleans in der Pension der unverheirateten Tanten – der Vater war als Vertreter viel unterwegs. Als (Einzel-)Kind war Lilly so zornig wie als alte Frau: Aus Wut ließ sie sich einmal von ihrem geliebten Feigenbaum fallen.

An ihrem Aussehen änderte die gebrochene Nase wenig, eine Schönheit ist sie nie gewesen, ihre Feinde überschlugen sich mit gehässigen Beschreibungen: „George Washington“ war eine der harmloseren. Ihre Attraktivität war anderer Art. Ihre Lebhaftigkeit und Präsenz, ihr Witz und Charme und ihre Lust am Flirt verliehen der Dramatikerin eine ungeheure Anziehungskraft.

Das Feuer der Wut hält der Journalist John Hersey für die Triebfeder ihres Lebens, ihrer Leidenschaften wie ihres Engagements gegen Ungerechtigkeiten aller Art. Zu denen gehörten ihrer Meinung nach auch Alter und Tod. Nur die Liebe, das Geld und das Meer, so Hersey auf der Trauerfeier der Freundin, konnten sie besänftigen. „Jeder, der ihr auch nur den kleinsten Funken Liebe schenkte, bekam dafür ein strahlendes Lachen und unglaubliches Vergnügen.“

Lillian Hellman tat, wozu sie entschlossen war, und wenn es noch so weh tat: vom Baum fallen, ins Meer steigen, Hollywoodstudiobossen oder den Hexenjägern Kontra geben. 1952 hatte die erklärte Linke die Vorladung vor das berüchtigte House Un-American Activities Committee erhalten und den selbst ernannten Patrioten erklärt, dass sie ihre politische Meinung nicht nach der jeweiligen Mode zurechtschneidern würde. Für diesen Auftritt, der in die Geschichte einging, hatte sie sich ein neues Designer-Kleid von Balmain angezogen.

Wie viele Gleichgesinnte, die sich weigerten, als Denunzianten aufzutreten und sich die Meinungsfreiheit nehmen zu lassen, landete die Drehbuchautorin auf Hollywoods schwarzer Liste. Der US-Diplomat, mit dem sie während des Zweiten Weltkriegs auf einer Moskaureise eine Affaire begonnen hatte, wurde gar gefeuert. Hellman musste ihre geliebte Farm verkaufen, aber, immerhin, nicht fünf Monate ins Gefängnis wie Dashiell Hammett, der sich weigerte, Namen von Leuten rauszurücken, die eine KP-nahe Bürgerrechtsorganisation unterstützten (von denen Hellman behauptete, dass er sie nicht mal kannte). Geschwächt von Krankheiten, Suff und zwei Weltkriegen, starb der Autor des „Malteser Falken“ 1961 völlig verarmt – die Steuerbehörde konfiszierte praktisch alle Einnahmen, die er überhaupt noch hatte. Nicht nur finanziell hat Hellman ihn unterstützt.

Die Liebe ihres Lebens hatte sie sich auf dem Weg zum Klo geschnappt: In einem Club soll sie Dashiell Hammett 1931 am Arm gepackt haben. Zumindest in einer Version ihrer Geschichte, der eines Freundes. Hellman selbst erzählte, dass sie die Nacht damit verbrachten, über den Lyriker T. S. Eliot zu diskutieren.

30 Jahre lang waren die beiden Mann und Frau, auch wenn sie nicht immer unter einem Dach lebten und nie verheiratet waren. Das hatte Hellman schon hinter sich: Mit 20 hatte sie den Schriftsteller Arthur Kober geehelicht, von dem sie sich ein paar Jahre später in Freundschaft wieder scheiden ließ. Mit Hammett führte sie eine wilde Ehe, in jeder Beziehung. Der Krimiautor soff noch mehr als sie, beide gingen mit wechselnden Partnern ins Bett, konnten verdammt garstig zueinander sein. Sie haben einander geliebt.

Nora, die schlagfertige Ehefrau in seinem letzten Roman, „Der dünne Mann“, erklärte Hammett zur Hommage an Hellman, der er das Buch auch widmete und deren literarischer Mentor er nun wurde: Er trieb sie an zum Schreiben und erklärte ihr dann, dass das, was sie ihm vorlegte, nichts taugte. Oft hätte sie ihn am liebsten umgebracht. Aber dann fing sie doch immer wieder von vorne an: Von den „Kleinen Füchsen“ legte sie ihm neun verschiedene Fassungen vor.

Hellmans ganzes Leben, ihr persönliches wie ihr berufliches, war ein rasantes Auf und Ab. Nach dem abgebrochenen Studium heuerte sie als 19-Jährige beim damals angesagten Verlag New Yorks an, begutachtete und schrieb Drehbücher in Hollywood, feierte die Nächte durch, freundete sich mit der scharfzüngigen Schriftstellerin Dorothy Parker an, deren Nachlassverwalterin sie später wurde, verkehrte in Paris in den Kreisen von Fitzgerald und Hemingway...

Als sie 1934 mit „The Children’s Hour“ gleich einen Hit landete (gefolgt von einem Flop), war Hellman 29 Jahre alt. In dem Stück zerstört ein Schulmädchen das Leben zweier Lehrerinnen, indem sie das Gerücht streut, sie hätten ein lesbisches Verhältnis. Ein Skandal! Wegen des gewagten Themas wurde das Drama an einigen Orten verboten. Auch für Hollywood war es zu heiß: In der Verfilmung sollen die beiden Frauen ein Verhältnis mit demselben Mann haben. Mit der Änderung hatte die Autorin kein Problem, ging es ihrer Meinung nach doch eh nicht um Homosexualität, sondern um Lügen und Verleumdungen.

Politisiert während der Großen Depression der 30er Jahre, zog Lillian Hellman als Journalistin in den Spanischen Bürgerkrieg, reiste nach Moskau und schrieb ein antifaschistisches Stück, das für den Krieg gegen Deutschland warb: „Die Wacht am Rhein“.

Immer wieder erfand die Schriftstellerin sich neu. In den 60er Jahren begann sie mit Begeisterung an Unis wie Harvard und Yale zu unterrichten, wurde zu unzähligen Vorträgen und Talkshows eingeladen, vor allem nachdem sie 1969 „An Unfinished Woman“, ausgezeichnet mit dem National Book Award, veröffentlichte. Dem ersten ihrer drei autobiografischen Bücher folgten „Pentimento“ und „Scoundrel Time“ („Zeit der Schurken“) über die McCarthy-Zeit, die sie zum Idol einer neuen, studenten- und antivietnamkriegsbewegten Generation machten.

Zu ihren vielen vor allem weiblichen Fans gehörte auch Nora Ephron, später bekannt geworden mit Filmen wie „Harry und Sally“ und „E-Mail für Dich“. Die beiden wurden Freundinnen. Bis, so Ephron in einem sehr berührenden Text aus dem Abstand von Jahrzehnten, die Jüngere feststellen musste, dass ihre Göttin doch nur ein Mensch war und sie sich wegschlich.

Mit ihrer Enttäuschung befand Nora Ephron sich in großer Gesellschaft. Die Ikone wurde vom Podest gestoßen. Denn Lillian Hellman hatte ihre Erinnerungen nicht nur ausgeschmückt und verkürzt, hatte die einen heroisiert und sentimentalisiert, andere scharf verurteilt – sie hatte einiges auch ganz erfunden. Besonders drastisch offenbar in „Julia“, der Geschichte einer Jugendfreundin, die in Wien im Widerstand gegen die Nazis kämpfte und Hellman, so Hellman, als Geldkurier einsetzte. In der Oscar-gekrönten Verfilmung wird Hellman von der jungen Jane Fonda gespielt. Und dann tauchte eine Psychoanalytikerin auf, deren Leben praktisch identisch war mit dem Julias im Buch, nur dass die Frau Hellman nie getroffen hatte. Sie hatten nur denselben Anwalt. Mary McCarthy („the lady writer“) erklärte 1979 in einer populären Talkshow, dass alles, was Mill Hellman von sich gebe, gelogen sei. Einschließlich des „und“ und des „der, die, das“.

Warren Beatty konnte die ganze Aufregung nicht verstehen. Hellman war Dramatikerin, meinte der Schauspieler, und hat eben ihr eigenes Leben dramatisiert, was soll’s. Hätte sie nur auf Hammett gehört! Immer wieder hatte er sie bedrängt, doch Romane zu schreiben. Hätte sie ihre Memoiren Romane genannt, hätte sie alle Freiheiten gehabt. Stattdessen verklagte sie nun McCarthy auf Millionen Schadenersatz. Die Fehde, von der ihr die Freunde dringend abrieten und aus der Nora Ephron ein Musical machte, „Imaginary Friends“, endete mit ihrem Tod.

Es gibt verschiedene Erklärungen für die Wucht des Hasses gegen sie. Neid, enttäuschte Liebe, die Tatsache, dass sie sich als Frau die Freiheiten eines Mannes nahm, ehrgeizig war und tough. Dass sie so gnadenlos war, ihren Figuren, sich selbst, aber auch anderen gegenüber, gern selbstgefällig moralisch, sich zu spät und nicht entschieden genug vom Stalinismus distanziert haben soll.

„A Difficult Woman“ heißt eine der Biografien über sie, eine von einem halben Dutzend. Wie schwierig sie war, wussten ihre Freunde am besten. Streitsüchtig, rechthaberisch, herrschsüchtig. Aber eben auch lustig und liebevoll, großzügig und couragiert. Mit dieser Komplexität kam nicht jeder zurecht: dass die Kapitalismuskritikerin in einem Haus auf New Yorks Upper East Side residierte und für Pelze Reklame machte. Auch dass sie sich weiter als Linke für Bürgerrechte und Meinungsfreiheit engagierte, gegen die Schnüffelei von CIA und FBI und Watergate protestierte, passte nicht jedem.

Lillian Hellman war immer für eine Überraschung gut. Die elegante Greisin, die aussah, als würde sie sich ausschließlich von Whisky und Marlboros ernähren, brachte als letztes Werk – ein Kochbuch heraus. Zusammen mit Peter Feibleman, ihrer letzten Liebe, ein Vierteljahrhundert jünger als sie. Für jemanden, der einen so scharfen Blick, eine so scharfe Zunge hatte und es auch beim Essen gern feurig mochte, ist es ein verblüffend mildes Buch geworden, gespeist aus ihrer Nostalgie für die Südstaaten.

Diesen Lokalkolorit hat Thomas Ostermeier aus seiner Schaubühnen-Fassung der „Kleinen Füchse“ gestrichen, überhaupt: das Melodrama entschlackt. Die Inszenierung könnte der Auftakt einer kritischen Wiederentdeckung sein. Denn Lillian Hellman mochte „eine pathologische Lügnerin“ sein, wie Nora Ephron sie nannte – aber da ist zugleich eine Wahrhaftigkeit in ihrem Leben wie ihrer Literatur, die beeindruckend ist. Susan Sontag schwor sich in den 60er Jahren, kein Interview mehr zu geben, bevor sie dabei nicht so klar, entschieden und direkt wie Lillian Hellman klänge.

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