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Die  MITFAHRER: Harte Probe für die Liebe

Von: Berlin nach Wiesbaden Dauer: 7 Stunden Auto: VW Caddy, silber Insassen: 3.

Nazis erkennt man nicht am Kennzeichen. Unsere Fahrerin hat einen silberfarbenen VW Caddy, Nummernschild: WI für Wiesbaden. „Ich bin eine Mittsechzigerin auf der Suche nach netten Mitfahrern“, hat sie in der Anzeige geschrieben. Eine sichere Mitfahrgelegenheit, ist mein erster Gedanke. Mein Freund aber hat Bedenken. „Bei älteren Frauen weiß man nie“, sagt er auf dem Weg zum Zoo, wo wir sie treffen sollen. „Die haben manchmal komische Ansichten.“ Ich verdrehe die Augen. Mein Freund ist schwarz, er wurde in Brasilien geboren, dann adoptiert und ist in Mannheim aufgewachsen. Er spricht kein Wort Portugiesisch, dafür tiefstes Mannemerisch. Diskriminiert wurde er trotzdem oft. „Entspann’ dich“, sage ich, als wir uns dem Wagen nähern.

Auf dem Parkplatz am Zoo wartet die Frau, weiße Strähnen ziehen sich durch das schwarze Haar, um den Hals trägt sie ein Seidentuch, an den Fingern dicke Silberringe. Sie schüttelt uns beiden die Hand. Falls sie unser Anblick stört, merkt man es ihr nicht an. Wir sitzen beide hinten – „da können wir besser Händchen halten“. Die Fahrerin nickt. Die Gespräche plätschern dahin, von Wiesbaden zu ihrem Enkel in Berlin, von der zerbrochenen Ehe der Tochter zum bösen Ex-Schwiegersohn.

Die Frau hat viel zu erzählen, und wir, müde vom langen Berlinwochenende mit Konzert, Ausstellung, Freunde treffen, sind dankbare Zuhörer. Mit jedem Kilometer wirkt auch mein Freund entspannter. Wir schlafen beide fast ein.

„Die Juden zahlen ja alle keine Steuern.“ Der Satz der Frau reißt mich aus dem Halbschlaf. Sie plappert weiter. Davon, dass alle Juden mit Diamanten handelten, dass sie geizig seien und vom deutschen Staat den Urlaub bezahlt bekämen. Ich bin hellwach, mir ist plötzlich heiß. Mein Freund legt mir die Hand auf den Arm und sieht mich flehend an. Ich schüttle ihn weg. „Wenn ich das gewusst hätte“, sage ich, „wissen Sie, ich bin selbst Jüdin und meine Familie zahlt Steuern.“ Die Frau sieht mich durch den Rückspiegel an. „Das hat mir ein Jude erzählt“, erwidert sie schnell. An den Namen könne sie sich nicht erinnern, aber er sei Diamantenhändler gewesen. Sie habe ihn im Urlaub getroffen, er habe das so erzählt, aber vielleicht habe sie da etwas falsch verstanden.

Anfangs versuche ich, gegen sie anzureden. Irgendwann gebe ich auf. Die Stimmung ist während der restlichen Fahrt angespannt. In Wiesbaden verabschieden wir uns kurz und förmlich. „Musste das sein?“, fragt mein Freund, nachdem wir der Frau jeweils 25 Euro in die Hand gedrückt haben, „ich hatte echt Angst, dass sie uns raus wirft.“ Unsere Beziehung hat nicht gehalten. Sarah Levy

Sarah Levy

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