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Foto: ARD/Julia Terjung

© ARD/Julia Terjung

Schauspielerin Katrin Sass: „Mir war der Westen ein bisschen unheimlich“

Sie fand sich politisch naiv, aber Turnschuhe von der Stasi? Die wollte sie nicht. Katrin Sass über Zweifel, Ausreisen und Gregor Gysi.

Frau Sass, in Ihrer Stasi-Akte findet sich die Bemerkung, Sie wären ein eher naives Heimchen gewesen, das man ruhig zu einer Preisverleihung in den Westen reisen lassen dürfe. Sie würden so sehr an Ihrer Heimat hängen und auf jeden Fall zurückkehren.

Ach, das haben die Genossen aber schön formuliert. Was soll ich dazu sagen? Die DDR als Staat, als politisches System war nie meine Heimat. Dieser Staat ist jetzt seit 25 Jahren tot und das begrüße ich sehr. Aber selbstverständlich hatte ich in diesem Land Freunde und Familie, also Menschen, an denen ich auch in der damaligen Zeit hing. Und es ist ja nicht so, dass wir in der DDR keinen Spaß gehabt hätten. Im Gegenteil, wir hatten sogar sehr viel Spaß!

Die DDR mag 25 Jahre tot sein, aber im Fernsehen ist sie immer noch sehr präsent. In der preisgekrönten Serie „Weissensee“ spielen Sie die Liedermacherin Dunja Hausmann, die ihr Land eigentlich liebt und genau deshalb an ihm leidet. Wie viel von Katrin Sass steckt in dieser Figur?

Gute Frage. Wissen Sie, als ich das Skript zum ersten Mal gelesen habe, dachte ich ganz spontan: Diese Rolle haben die für dich geschrieben! Keine andere Figur in dieser Serie hätte ich spielen können oder wollen. Und ich glaube, niemand sonst im Ensemble ist mit seiner Rolle so sehr verwachsen wie ich.

Dunja Hausmann erträgt den Zwiespalt zwischen Liebe und Leiden nur mit Alkohol.

Ich weiß, was ich da spiele. Ich habe lange genug an meiner Alkoholkrankheit gelitten und erst spät, beinahe zu spät, die Kraft gefunden, dagegen aufzubegehren. Die Qualen, die Dunja mit dem Schnaps in „Weissensee“ durchmacht, habe ich alle selbst durchlitten. Diese Zeit wird nie vorbeigehen, ich denke jeden Tag daran zurück, auch wenn es jetzt mehr als 15 Jahre her ist. Für die praktische Arbeit am Set hatten meine Erfahrungen den Vorteil, dass ich dem Regisseur Friedemann Fromm schon ein paar Hinweise geben konnte. Ich glaube, dass einige Szenen dadurch sehr viel realistischer geworden sind. Friedemann hat ja sonst eine sehr feste Vorstellung von seiner Arbeit, aber in diesem Fall hat er meine Einwände gern angenommen.

Spielen Sie sich auch ansonsten selbst? Dunja Hausmann singt systemkritische Lieder und schließt sich einer kirchlichen Widerstandsgruppe an.

Nein, das nun wieder auch nicht. Ich spiele eine Frau, die ein Leben lebt, wie ich es im Rückblick als junge Frau gern gelebt hätte. Als eine Art weiblicher Wolf Biermann. So eine war ich nicht. Ich war kein politischer Mensch, ich war Schauspielerin und habe ganz lange nur für diesen Beruf gelebt. Frauen wie Bärbel Bohley haben wir damals belächelt. So ehrlich muss ich im Rückblick sein. Das hat sich erst später ein wenig geändert, sozusagen auf der letzten Etappe der DDR, als ich in Leipzig Theater gespielt habe und aus nächster Nähe sah, was dort bei den Montagsdemonstrationen abging. Der Mut der Demonstranten und die Brutalität der Stasi – das alles war schon beeindruckend. Die Dreharbeiten zu „Weissensee“ geben mir die Möglichkeit, diese sehr prägende Zeit im Abstand von 25 Jahren noch einmal neu zu erleben. Das ist schon spannend!

In „Weissensee“ lassen Sie sich auf einen Deal mit der Stasi ein, um Ihre Tochter aus dem Gefängnis zu bekommen. Standen Sie im wirklichen Leben auch einmal vor so einem Gewissenskonflikt?

Es gab in der Tat mal einen ganz schüchternen Versuch der Stasi, mich für ihre Zwecke einzuspannen. Im Nachhinein finde ich diese Episode sogar ganz lustig. Das war in den 80er Jahren, ich hatte ein Engagement in Halle und wir saßen in einer Kneipe, neben den Kollegen vom Theater waren auch ein paar Fußballspieler. Ich habe ein bisschen gesungen, alle hatten ihren Spaß. Ein paar Tage später stand dann ein Mann vor meiner Wohnungstür. Er käme im Auftrag der Fußballspieler und wollte sich bei mir für das schöne Konzert bedanken. Mit einem Fußball mit lauter Unterschriften, das konnte ich überhaupt nicht richtig wertschätzen, ich interessiere mich doch gar nicht für Fußball. Aber er hatte auch einen ganz modernen Trainingsanzug, irgendwas für schlechtes Wetter. Und ganz schicke weiße Turnschuhe, Westware, Adidas …

… und ganz zufällig in Ihrer Größe?

"Mit jeder Minute kam mir das Gespräch seltsamer vor"

Foto: ARD/Julia Terjung
Die Schauspielerin Katrin Sass

© ARD/Julia Terjung

Genau! Da habe ich mich schon geschmeichelt gefühlt und ein bisschen mit ihm geplaudert. Der Mann hat sich sehr für meine Arbeit am Theater interessiert, für meine Kollegen und vor allem für Peter Sodann, der war damals Intendant in Halle. Mit jeder Minute kam mir das seltsamer vor. Irgendwann fragt der Mann, wie denn der Sodann politisch sei, ob er mit dem Westen sympathisiere und wieder zurückkommen würde, wenn er denn mal auf eine Gastspielreise gehen würde. Darauf habe ich das Gespräch sehr schnell und sehr unhöflich beendet.

Und dabei blieb es?

Ein paar Wochen später habe ich diesen Mann dann auf dem Markt getroffen. Er war wohl mit seiner Frau unterwegs, ich winkte zu ihm rüber, aber er drehte sich schnell zur Seite und tat so, als würde er mich nicht sehen. Spätestens da war mir klar, von welcher Firma dieser Herr war. Die Frauen der Stasi-Leute durften ja nie etwas wissen, deshalb konnte er sich in ihrer Gegenwart nichts anmerken lassen. Wie hätte er seiner Frau denn erklären sollen, woher er mich kennt? Und was hätte die wohl gesagt, wenn ich mich bei ihm für die schönen weißen Turnschuhe aus dem Westen bedankt hätte?

Kam es noch zu einem zweiten Versuch einer Anwerbung?

Glücklicherweise nicht. Ging ja eigentlich auch gar nicht. Die Stasileute konnten kein Interesse an mir haben, weil sie sich ziemlich gut vorstellen konnten, wie ich auf so einen Kontakt reagiert hätte.

Wie denn?

Ich wäre sofort ins Theater gerannt oder in die Kantine und hätte den Kollegen erzählt: „Wisst ihr, wer gerade bei mir war? Die Stasi! Lustig, was?“ Genauso wäre das abgelaufen, und das wussten die. Die hatten doch ihre Erfahrung mit mir. Einmal bin ich nach ein paar Gläsern zum Roten Ochsen

… dem berüchtigten Stasi-Gefängnis von Halle.

Ich bin da also hin und habe gebrüllt: „Ich will hier rein! Lasst die Leute raus!“ Da ist aus einem unsichtbaren Lautsprecher eine Stimme gekommen, die mir befiehlt: „Gehen Sie weiter!“ Ich suchte die Gefängnismauer ab und fand tatsächlich so eine kleine Kamera. Natürlich musste ich reingucken und ein paar Grimassen schneiden, und da war dann wieder diese Stimme: „Schauen Sie nicht in die Kamera!“ Ich brüllte zurück: „Ich habe schon in ganz andere Kameras geschaut, das ist mein Beruf!“ Dann hat mich eine Freundin weggezerrt. Eine Freundin, von der ich später in meiner Akte gelesen habe, dass sie alles, aber auch wirklich alles über mich an die Stasi weitergetragen hat. Über Jahre! Das war eine furchtbare und schmerzhafte Erfahrung. Dennoch bin ich froh, dass ich diese Akte gelesen habe. Ich weiß jetzt, woran ich bin und woran ich damals war.

Haben Sie später noch mal Kontakt aufgenommen zu den Leuten, die über Sie berichtet hatten?

Jeden Einzelnen habe ich angerufen. Sie glauben ja gar nicht, was Sie da alles an Ausflüchten und Entschuldigungen zu hören bekommen. Diese eine Freundin damals aus Halle, die hat doch tatsächlich gesagt, sie hätte das alles nur getan, um mir zu helfen. Später hat sie sich der „Bild“-Zeitung angedient, in ganz weinerlichem Ton, von wegen: Sie könne doch nicht ihr Leben zu Ende leben mit dieser Schuld, und deshalb müsse sie unbedingt noch mal mit mir reden und alles klarstellen. Da gibt es nichts mehr zu bereden und nichts klarzustellen. Glaubt diese Person wirklich, ich könnte ihr diesen Verrat verzeihen? Egal, lassen Sie uns bitte nicht so viel über sie reden, diese Beachtung ist sie einfach nicht wert.

Als Künstlerin waren Sie zweimal zu Preisverleihungen in West-Berlin. Ist Ihnen nie der Gedanke geblieben, einfach dort zu bleiben?

Darauf gibt es keine einfache, keine einheitliche Antwort. Als ich 1982 bei der Berlinale den Silbernen Bären für den Film „Bürgschaft für ein Jahr“ bekam, war ich ganz bestimmt nicht reif für diesen Schritt. Sie müssen sich die junge Katrin Sass als einen politisch sehr naiven Mensch vorstellen. Ich war jung, gerade 27, und der Beruf das Wichtigste für mich. Ich habe wirklich nur für die Schauspielerei gelebt. Dazu kam, dass mir der Westen auch ein bisschen unheimlich war. Ich hatte Angst vor einem Leben unter der Brücke, die ganze Situation überforderte mich, ich bin ja auch gleich krank geworden. Sie sehen schon, die DDR-Propaganda hatte ihre Wirkung nicht verfehlt. Nein, damals habe ich keine Sekunde an so einen Schritt gedacht.

Später schon?

Natürlich. Ich erinnere mich an lange Diskussionen mit meinem damaligen Lebensgefährten …

… dem Filmregisseur Siegfried Kühn.

Einmal wollten wir nach Algerien fliegen, zu einem Filmfest, mit unserem gemeinsamen Film. Aber plötzlich hieß es: „Katrin, du musst ganz dringend zu Theaterproben nach Leipzig und kannst den Flug nicht antreten.“ Diese Proben waren so was von unwichtig, aber ich musste nun mal hin. Also ist der Mann allein geflogen, und neben ihm im Flugzeug saß dann so ein unauffälliger Herr in einem unauffälligen Anzug, der hatte das Ticket, das noch auf meinen Namen ausgestellt war. Na, da haben wir uns unseren Teil gedacht.

Sie durften noch ein zweites Mal zur Berlinale.

"Ich dachte ernsthaft daran, nicht mehr zurückzukehren"

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Die Schauspielerin Katrin Sass

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Das war 1987, kurz bevor der ganze Laden in sich zusammengefallen ist. Bei diesem Besuch dachte ich schon sehr ernsthaft daran, nicht mehr zurückzukehren. Eine ganze Nacht lang habe ich mit Sylvester Groth geredet, der war nach einem Gastspiel in Salzburg einfach dageblieben. Ich wollte wissen: „Sylvester, was soll ich machen? Gib mir doch bitte einen Rat!“

Was hat er Ihnen geraten?

Gar nichts. Er hat gesagt: „Katrin, ich war immer ein Einzelgänger und bin gut damit gefahren. Wenn ich dir jetzt empfehle, hierzubleiben, und später geht irgendetwas schief – was wirst du mir dann in ein paar Jahren sagen?“ Am Ende habe ich es sein gelassen, auch weil ja mein Lebensgefährte zu Hause geblieben war, und den hätten sie ganz bestimmt nicht zu mir nachreisen lassen. Hätte ich damals gewusst, dass die DDR so bald zusammenbricht … Wäre ich natürlich schon mal deshalb zurückgegangen, um dieses schöne Ereignis mit allen zu feiern.

Wie und wo haben Sie den Mauerfall erlebt?

Ich habe damals in Babelsberg gewohnt und mir alles im Fernsehen angeschaut. Nie im Leben hätte ich gedacht, dass die Mauer einmal fällt. Man durfte sie nicht angucken und nicht über sie reden, aber jeder wusste Bescheid. Ich bin in Mecklenburg groß geworden, da wussten wir alle von der Existenz dieses Bauwerks, es gehörte für uns in der Provinz so selbstverständlich zu Berlin wie der Fernsehturm. Und plötzlich war sie weg! Ich danke heute noch dem Herrgott für dieses Wunder und dass ich es erleben durfte. Ich wohne heute am Müggelsee, auf einem Wassergrundstück, wie es die DDR-Bonzen früher so sehr schätzten. Manchmal fahre ich mit dem Boot aufs Wasser, schaue auf den Himmel und sage: Siehste Erich, jetzt bin ich hier, und du bist tot. Geschieht dir recht!

Verraten Sie uns, wie Dunja Hausmann in der dritten Staffel von „Weissensee“, die gerade gedreht wird, das Ende der DDR erleben wird?

Sehr zögerlich und ein bisschen ängstlich, weil sie nicht weiß, was da auf sie zukommt. Immerhin hat sie sich mit dem MfS eingelassen, und das prägt ihre Rolle bei den Diskussionen innerhalb der kirchlichen Gruppen um die Öffnung der Stasi-Archive. Sie ist natürlich dagegen, andere sind dafür, da gibt es noch einiges zu erzählen.

Genug, damit es für eine vierte Staffel reicht?

Man munkelt so. Die dritte Staffel umfasst einen sehr kurzen Zeitraum vom 9. November 1989 bis zum Sturm auf die Stasi-Zentrale am 15. Januar 1990. Das kann es noch nicht sein. Irgendwann müssen wir ja mal in der Jetztzeit ankommen.

Bei Leuten wie Ihrem ganz speziellen Freund Gregor Gysi!

Richtig! Ich finde es unglaublich, dass so jemand immer noch etwas zu sagen hat in der Politik. Jeder weiß doch, was Gysi früher gemacht hat und wie nah er der Stasi stand. Nageln Sie mich jetzt bitte nicht fest auf eine genaue Formulierung, sonst rückt der gleich wieder mit seinen Anwälten an. Ich finde es jedenfalls ganz großartig, dass der Mann gerade so viel Ärger hat, weil er sich in Sachen Unrechtsstaat verrannt hat. Selbstverständlich war die DDR ein Unrechtsstaat, was denn sonst?

Gregor Gysi sagt, er spreche nur aus, was viele andere denken.

Viele? Das glaube und hoffe ich nicht. Aber natürlich gibt es immer noch zu viele, die in einer Parallelwelt leben. Ich war mal bei einer Diskussionsveranstaltung der „Jungen Welt“, da sind lauter alte Stasi-Offiziere aufmarschiert und haben erzählt, was für tolle Arbeit sie damals geleistet haben. Na, das hat mir so gut gefallen, dass ich gleich noch mal hin bin. Da wollten sie mich nicht reinlassen. Ich war wohl ein bisschen zu laut beim ersten Mal – mein altes Problem, ich kann nun mal meine Klappe schwer halten. Egal. Ich habe mir das nicht gefallen lassen und den Leuten am Eingang gesagt: Moment mal, ich habe bezahlt, also darf ich auch rein.

Durften Sie?

Ja, unter einer Bedingung, sie lautete: „Keine Provokationen, sonst fliegst du raus!“ Das habe ich sogar ein paar Minuten durchgehalten, bis es irgendwann nicht mehr ging. Wie soll man denn diesen Blödsinn auf Dauer ertragen? Also habe ich meine Meinung gesagt, und dann kam so ein tätowierter junger Bursche auf mich zu, packte mich am Arm und sagte: „Raus mit dir, du C-Schauspielerin!“ Das war schon bedrohlich. Glücklicherweise hatte ich ein paar Unterstützer dabei, alles Leute, die damals im Stasi-Knast saßen. Die haben einen Kreis um mich gebildet, und wir sind alle zusammen bis zum Schluss geblieben.

Vielleicht sollten Sie die Herrschaften mal zu einem „Weissensee“-Fernsehabend einladen?

Ich glaube schon, dass die das alle gucken. Und wenn sie sich alle nur selig erinnern an die Zeit, in der sie so viel Macht hatten.

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