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Ein Schlafsack schläft.

© Danicek / Fotolia

Schlafsack-Erlebnisse: Wir machen den Sack zu

Er ist Inbegriff mobilen Lebens, er steht für Freiheit und Abenteuer. Den einen hält der Schlafsack schlank, andere traumatisiert er. Sieben Bekenntnisse.

WO FÜR DIE DEUTSCHEN DIE WILDNIS BEGINNT

Natalja war meine beste Russischlehrerin. Eines Tages verwendete sie in einem Übungssatz den Ausdruck „spalnyj meschok“, den ich damals noch nicht kannte. „Was ist das?“, fragte ich. Natalja sah mich erstaunt an. „Das musst du doch kennen!“, sagte sie. „Das ist das, was alle Deutschen haben. Alle!“ Ratlos überlegte ich, was sie meinen könnte. Natalja unterrichtete an einer Sprachschule in Kaliningrad, wo sie im Sommer oft mit jungen Gaststudenten aus Deutschland zu tun hatte. „Sandalen?“, riet ich. Natalja schüttelte den Kopf. „Nickelbrillen? Brustbeutel? Pali-Tücher? Umhängetaschen aus Lkw-Planen?“ Kopfschütteln. „Bei uns haben das nur Jäger und Angler“, sagte Natalja. „Man geht damit in die Wildnis. Aber die Deutschen benutzen es sogar, wenn sie im Studentenwohnheim übernachten.“ Es folgte einer jener philosophischen Sätze, die ich an Natalja so sehr mochte: „Für die Deutschen beginnt die Wildnis früher als für die Russen.“

Spálnyj meschók (m.): Schlafsack, der. Jens Mühling

IM GUMMISCHLAUCH

Der sogenannte „Bratschlauch“ empfiehlt sich für das fettarme Garen von Fleisch. Es handelt sich um eine durchsichtige, hitzeresistente Tüte, in die man ein Stück Braten und je nach Laune Gewürze und Gemüse steckt, zubinden, ab in den Backofen und fertig ist das Mahl samt Sauce. Diverse Koch-Portale sowie die Zeitschrift „Essen und Trinken“ loben die Bratschlauchmethode, das Fleisch bleibe, da quasi in der eigenen Feuchtigkeit geschmort, extrem saftig.

Der Bratschlauch meiner Jugend war der Bundeswehrschlafsack. Nicht durchsichtig, sondern olivgrün. Er war preisgünstig in einem „Store“ zu bekommen, der gegenüber einer US-Kaserne lag und Second-Hand-Ware aus Armeebeständen verkaufte. Diese Säcke waren nur dünn wattiert und außen gummiert. Man erzählte sich, mit ihnen könne man in flachen Bächen schlafen, auch in Sumpfgebieten oder feuchten Wiesen leiste der Schlafsack gute Dienste – es dringe kein Wasser nach innen.

Das war nicht gelogen. Nur garte der Körper durch die Gummierung im eigenen Saft. Da es geraten war, angekleidet in den Nachtschlauch zu schlüpfen („Ein echter Cowboy ist immer bereit“), klebten Hose und Hemd wie im subtropischen Monsun am Leib. Wenn man die Kapuze zuzog, schauten nur noch Nase und Äuglein heraus, es sah aus, als würde ein Maulwurf gerade die Erde durchbrechen. Ein längerer Urlaub war, als schlafe man wochenlang in einer indianischen Schwitzhütte. Immerhin, ich blieb dank dieser Methode saftig und gertenschlank.

Als ich Anfang der 70er Jahre nach Berlin zog, stellte ich die olivgrüne Rolle kurz vor dem Haus ab, um Gerätschaften in die Wohnung zu tragen. Fünf Minuten später war der Schlafsack gestohlen. Ich stieg auf Daune um und nahm 15 Kilo zu. Norbert Thomma

IN DER MENSA

Die Geschichte ist schon etliche Jahre her, ich hatte damals eine Freundin in Weingarten, das liegt nicht weit von Ravensburg, im Schwäbischen also. Eigentlich war sie noch nicht meine Freundin, das sollte erst noch kommen. Ich war mit einem Freund zusammen auf der Durchreise zurück nach Berlin und dachte, gute Gelegenheit für einen Abstecher nach Weingarten, um die Erinnerung an mich etwas aufzufrischen. Das Problem war nur, wo schlafen? Sie wohnte noch bei ihren Eltern, da ging es nicht, aber sie besorgte die Schlüssel für die Mensa der Pädagogischen Hochschule in Weingarten. Dort, meinte sie, könnten wir für eine Nacht locker unsere Schlafsäcke ausrollen, merkt keiner, kostet auch nichts.

Toll. Wir rollten unsere Schlafsäcke im Speisesaal aus, anschließend zogen wir noch ein wenig um die Weingartener Häuser – was nicht lange dauerte, so viele waren es nicht. Dann zurück in die Mensa. Und dort, dort lag schon einer, und zwar in meinem Schlafsack. Der Kerl sah aus, als ob er schon länger kein Zuhause mehr hatte, trotzdem war ich nicht bereit, ihm meinen Schlafsack zu überlassen. Ich forderte ihn ultimativ auf, den Schlafsack zu räumen. Was er nach einigem Murren tat. Und was musste ich sehen? Er hatte keine Hosen an. Gar keine. Er hatte unten rum nackt in meinem Schlafsack gelegen. Ein nicht besonders gepflegt aussehender Kerl.

Ich muss sagen, das hat mir meinen Schlafsack nachhaltig verleidet. Irgendwie wollte sich da drinnen nie wieder so ein unbeschwertes Kuschelgefühl einstellen. Andreas Austilat

ÜBER DEN BERGEN, UNTER DEM STERNENHIMEL

In der Dämmerung gelangen wir zur Schutzhütte. Das kleine Steinhaus liegt auf 3050 Meter, knapp 500 Meter unterhalb des Gipfels Mulhacen. Es ist der höchste Berg der Sierra Nevada und unser Ziel für den nächsten Tag. Die 20 Holzpritschen in der Hütte sind fast alle belegt und jedem, der hereinkommt, fällt als Erstes auf, dass es keine Duschen gibt. „Lass uns draußen schlafen“, sagt meine Freundin leise und bestimmt. Es ist Juni, wir sind im T-Shirt und in kurzen Hosen gelaufen. Aber nachts sinkt die Temperatur auf fünf Grad. Ein paar Schneefelder halten sich.

Als wir eine windgeschützte, halbwegs ebene Stelle gefunden haben, geht die Sonne unter – und plötzlich ist es so kalt, dass wir sofort unsere Isomatten ausrollen und in unsere Schlafsäcke – Mumienform, Komforttemperatur fünf bis acht Grad – schlüpfen und dann in den Biwak, eine wind- und wasserabweisende Schutzhülle. Nur Mund, Nase und Augen bleiben frei. Wir liegen eng beieinander, teilen uns eine Tafel Schokolade und ein paar Nüsse, atmen die frische Nachtluft, blicken in den Nachthimmel, an dem immer mehr Sterne auftauchen.

„Wunderbar“, sagt meine Freundin. „Jetzt müssen wir nur unseren eigenen Gestank ertragen.“ Veronica Frenzel

UNTER DAHLEMER KATZEN 

Es war im Sommer 1986, mit einem Freund wollte ich in die Türkei, Billigflug ab Schönefeld. Für die Reise hatte ich mir von meinem Lehrlingsgehalt den allerersten Schlafsack meines Lebens gekauft. Da habe ich mir richtige Mühe gegeben, habe probegelegen, schön warm sollte er sein ... Per Mitfahrgelegenheit kamen wir aus Düsseldorf nach Berlin, konnten bei der Tante einer Freundin in Dahlem übernachten, im Wohnzimmer. Ich dachte: Was wohnen die fein! Im Garten haben wir zu Abend gegessen, wollten uns dann hinlegen – wir mussten ja früh raus – und: es stank! Die Katze des Hauses hatte in meinen nagelneuen Schlafsack gepinkelt. Vier Wochen lang musste ich darin schlafen, ich hatte ja sonst nichts. Den Schlafsack habe ich heute noch. Inzwischen ist er gelüftet. Ursula Dahmen

IM SCHLAFZIMMER

Annette, ich muss Dir etwas beichten. Andere Brüder würden das womöglich telefonisch erledigen, aber an dieser Stelle passt es thematisch, und ich erspare mir Deine spontane Reaktion, Du weißt, Du neigst zu Emotionen. Dankenswerterweise hast Du mir Deinen Schlafsack geliehen, damit ich auf einem Rockfestival in Sachsen-Anhalt im Zelt übernachten konnte. Das war im Frühsommer 2011. Du hast nie gefragt, was aus ihm wurde, und ich habe aus Scham nichts gesagt, weil ich dachte, ein anständiger Bruder hätte ihn umgehend zurückgegeben.

Jedenfalls hat er mir seitdem gute Dienste erwiesen. Ich benutze ihn oft, nicht nur im Urlaub, sondern auch in der Wohnung, als Deckenersatz. Aufgeklappte Schlafsäcke sind ideal für den Hausgebrauch. Halten warm im Winter, stören nicht an Sommerabenden bei offenem Fenster. Lassen sich problemlos waschen, trocknen in Rekordzeit. Polyestertraum. Schokoladenflecken werden einfach abgekratzt. Auch an die Farbkombination Knallgelb-Knalllila habe ich mich bald gewöhnt. Wer behauptet, Schlafsäcke seien ungemütlich, der kennt Deinen Schlafsack nicht. Annette, ich wundere mich, warum sich dieses Textil nicht längst als Standardbettwäsche in deutschen Schlafzimmern durchgesetzt hat, vielleicht funkte die Daunenlobby dazwischen. Trotzdem wird es nun Zeit, meine Schuld zu begleichen. Du darfst ruhig ehrlich sein: Reicht es, wenn ich ihn wasche, oder soll ich Dir einen neuen kaufen? Sebastian Leber

IN DER TURNHALLE

Mein erster Schlafsack, aus dem Quelle-Katalog bestellt, war noch zu 100 Prozent aus Polyester. Er hatte mehrere katholische Zeltlager überlebt und die Brandwunden meiner selbstgedrehten Zigaretten. Sein größter Nachteil bestand allerdings nicht darin, dass ich in ihm über kurz oder lang einem quälenden Feuertod entgegensah, sondern dass er mich selbst in einer durchschnittlichen mitteleuropäische Frühsommernacht frösteln ließ.

Für meine erste große Deutschlandreise, gleich mit 18, musste schwereres Gerät her. Der polnische Reifenhändler mit angeschlossener Resterampe, von dem mir meine Mutter hin und wieder verhasste Imitationen von Jeans mitbrachte, verramschte neben Schuhen, Teppichfliesen und Wandfarben auch gebrauchte Bundeswehr-Schlafsäcke. Der angehende Kriegsdienstverweigerer in mir sträubte sich, aber ein Preis von 20 Mark und die Kapuze überzeugten mich.

Schon in der folgenden Nacht wurden wir Freunde. Bis zum Morgen. Der unmerkliche Muff, über den ich zunächst großzügig hinweggerochen hatte, war durch meine Körperwärme zu einem erstickenden Gestank erwacht. Die nächsten zwei Wochen verbrachte der Schlafsack zur Strafe auf der Teppichstange im Garten. Es half nichts. Auch gut ausgelüftet verströmte er nach kurzer Aufwärmzeit wieder seinen Duft. Ich wusch ihn in der Badewanne aus. Wieder half es nichts. Drei Tage vor meiner Reise brachte ich ihn die Reinigung – und investierte mindestens noch einmal den Kaufpreis. Guten Mutes fuhr ich zum Jazzfestival nach Moers und übernachtete wegen des zweifelhaften Wetters dann doch nicht im Freien, sondern in einer städtischen Turnhalle. Ich habe nie großzügiger logiert. Während die anderen auf Tuchfühlung nebeneinander lagen, klaffte um mich herum ein Raum von mehreren Metern.

Drei Tage lang habe ich diesen Luxus rücksichtslos genossen. Danach beschloss ich, ins normale Leben zurückzukehren. Ich glaube, wir haben uns irgendwo am Kölner Hauptbahnhof voneinander getrennt. Gregor Dotzauer

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