zum Hauptinhalt
Foto: Mike Wolff

© Mike Wolff

Winnetou und große Oper: Regisseur Philipp Stölzl: „Papa, lass die schlechten Perücken weg“

Philipp Stölzl wuchs mit Goethe, Wagner, Karl May und Tim und Struppi auf. Warum er Placido Domingo als Serienkiller sah und wie Madonna am Telefon war.

Von

Philipp Stölzl, 47, inszeniert große Opern, etwa bei den Salzburger Festspielen, und große Filme: zuletzt "Der Medicus". Gelernt hat er Bühnenbildner, einen ersten Namen machte er sich mit Musikvideos für Rammstein und Madonna. Am 19. Juni feiert Stölzl mit Gounods "Faust" an der Deutschen Oper Premiere

Herr Stölzl, Sie verfilmen demnächst Winnetou neu. Haben Sie dafür Karl May wieder gelesen?

Ja, klar. Die Romane lesen sich heute ziemlich zäh, man merkt einfach: Die sind mehr als 100 Jahre alt. Die Filme aus den 60er Jahren sind ganz anders, märchenhaft und überhöht, aber auch ein Spiegel ihrer Zeit. Da soll Winnetous Schwester Nscho-tschi eine Haushaltsschule besuchen, damit sie dem deutschen Old Shatterhand eine gute Ehefrau sein kann. Verrückt! Die beiden Helden wiederum kommen einem mit ihrem humorfreien Pathos und dem Aussparen alles Intimen heute ein bisschen vor wie zwei steife Landserkameraden ...

Man nahm Pathos noch ernst.

Der Krieg war noch präsent, als die Filme ins Kino kamen. Heute fühlt sich vieles eher unfreiwillig komisch an, kein Wunder, dass das einzig erfolgreiche Remake eine grelle Parodie ist, „Der Schuh des Manitou“. Aber die Mühe einer Neuverfilmung lohnt sich.

Warum?

Der Kern von „Winnetou“ ist wunderbar: Ein Indianer und ein Weißer werden die größten Freunde aller Zeiten. Zwei feindliche Kulturen versöhnen sich, das ist der Traum von Karl May. Man kann natürlich sagen, da schreibt einer im fernen Sachsen den Genozid an den Indianerstämmen schön. Aber für mich ist das Utopische an May gerade das Tolle.

Eine Männerfreundschaft stiftet den Weltfrieden.

Das kann man altmodisch finden, aber es ist aktuell, wo heute die Kulturen so hart aufeinanderprallen. Auf der einen Seite die Weißen, die sich mit ihrer stinkenden Eisenbahn ins Land fressen, während die Städte im Wochenrhythmus aus dem Boden schießen. Fast ein Zerrbild der auf Leistung und Profitsteigerung ausgerichteten Industriegesellschaft. Auf der anderen Seite die indianischen Nomaden, die quasi nachhaltig leben, die sagen, wir sitzen am Fluss, fangen so viele Fische, wie wir brauchen, um satt zu werden, die Sonne geht auf und unter, und wenn wir unsere Zelte abbauen, stehen die Grashalme bald wieder so da wie vorher.

Was war denn die Initialzündung, sich Karl May als TV-Dreiteiler vorzunehmen?

Der Stoff ist einer der großen Mythen der Deutschen. Pierre Brice hing als „Bravo“-Poster in jedem Jugendzimmer. Blöd gesagt: Wer Winnetou neu verfilmt, kann mit Aufmerksamkeit rechnen.

Wotan Wilke Möhring spielt Old Shatterhand, Doch wer übernimmt nun die Rolle von Winnetou?

Nur so viel: Winnetou und Nscho-tschi werden wohl nicht aus Deutschland kommen, weil wir Schauspieler mit einem glaubhaften indigenen Look suchen. Ansonsten haben wir mit Henry Hübchen, Jürgen Vogel, Milan Peschel, Fahri Yardim, Matthias Matschke, Michael Maertens etc. einen deutschen All-Star-Cast an Bord. Für viele ist es ein Jungstraum, so was mal zu spielen. Gojko Mitic, der bekannteste Indianer-Darsteller der DDR, ist auch dabei!

Auf dem Karl-May-Fest in Radebeul tritt Yakari auf, der Comic-Indianer. Weil die Kinder heute Winnetou eigentlich nicht mehr kennen.

Wir hoffen natürlich, dass sie sich neu begeistern lassen. Mit meinen Söhnen, sie sind acht und zwölf, habe ich letzten Winter die alten Filme geguckt, die sind reingekippt, haben nicht diese ironische Distanz. Sie sagen nur, Papa, wenn du das machst, musst du den Ton besser hinkriegen und die schlechten Perücken weglassen.

Ihr Vater ist der Historiker Christoph Stölzl. Waren Sie gut in Geschichte?

Ich bin quasi mit Geschichte groß geworden, mit Goethe, Richard Wagner, aber auch mit Comic-Heften, Prinz Eisenherz, Ivanhoe, Tim und Struppi, Asterix ... Es ist wie bei Karl May. Du sitzt in deinem Jugendzimmer und reist in eine Welt, die viel abenteuerlicher ist als die zwischen Haustür und Schule. Ich habe als Junge sogar Golo Manns „Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts“ gelesen, nur weil es Spaß machte. Dieses Nebeneinander von Tiefgründigem und Populärem hat mich sehr geprägt.

"Da wird der ,Faust' eigentlich zur Missbrauchsgeschichte"

Foto: Mike Wolff
Regisseur Philipp Stölzl

© Mike Wolff

Wie muss man sich Ihr Elternhaus vorstellen, hingen da Canalettos an der Wand?

Nee, meine Eltern waren eher unkonventionell. Keine klassischen 68er, aber so etwas wie die bürgerliche Variante davon. Den Canaletto gab’s höchstens als Poster über dem Klavier. Dazwischen selbst gemalte Pop-Art von meiner Mutter, jede Menge Katzen und Kinder, Cat-Stevens-Platten, Biedermeiermöbel vom Flohmarkt. Wir wohnten in Pasing, einem Vorort von München, im Haus meiner Großeltern, das war ein scheußliches Holzfertighaus im alpenländischen Stil. Mein Vater hat es in ein wunderschönes amerikanisches Ostküstenhaus umgebaut, jeden Sommer ein bisschen. Das hat sich mir als Bild eingeprägt: wie er auf der Leiter steht und Schindel für Schindel festnagelt.

Er war damals Direktor des Münchner Stadtmuseums, hat er Sie mitgenommen?

Ja, das war aufregend. Er war erst Mitte 30, alle Abteilungsleiter waren lockere, junge Typen. Es gab die Fotosammlung, die Spielzeugsammlung, Musikinstrumente, Jahrmarktsachen, und weil mein Vater bei neuen Ausstellungen nie rechtzeitig fertig wurde, waren wir Kinder öfter mal nachts im Museum und durften helfen. Ich erinnere mich an einen Besuch in der Asservatenkammer des Bayrischen Nationalmuseums in Ingolstadt. 50 Kürassier-Rüstungen aus dem Dreißigjährigen Krieg hingen dort, alles verstaubt, aber so, als könne man gleich damit losmarschieren.

Sie proben gerade Gounods „Faust“-Oper hier in Berlin. Gretchen, die verlorene Unschuld, ist das nicht auch eine verstaubte Geschichte?

Meinen Empfinden nach nicht. Gounod hat Goethes philosophischen Überbau weggelassen und es auf den Punkt gebracht: die Sehnsucht nach Jugend. Da ist dieser Faust, ein alter, kranker Mann, der als Erstes die Arie „Rien“ singt, „Nichts“. Er hat nichts mehr, ist nichts mehr, kann kaum noch einen Finger rühren, will nicht mehr leben. Und draußen die Ostergesänge, die Jugend, unerreichbar für ihn. Er verkauft seine Seele, kann alles haben, jeden Sex, jede Droge, jede Reise, jeden Reichtum. Er kauft sich dann dieses Mädchen, Gretchen, mit Juwelen, und als der Kick vorbei ist, wirft er sie weg. Da wird das Stück dann eigentlich zu einer Missbrauchsgeschichte.

Was man nicht sieht, weil dann Pause ist.

Im zweiten Teil folgt Margaretes Martyrium. Fast wie ein Lars-von-Trier-Film. Knast, Kindermord, Brudertod, Tod, total bedrückend, emotional so stark wie in kaum einer anderen Oper.

Sie inszenieren jetzt seit zehn Jahren auch Opern. Wurden Sie als Neuling 2005 mit „Freischütz“ in Meiningen eigentlich misstrauisch beäugt?

Klar, es war gerade die Zeit, als etliche Filmemacher Opern inszenierten ...

... Doris Dörrie, Bernd Eichinger ...

... also gab es das Klischee vom Filmregisseur, der mit dem CD-Booklet ankommt, keine Noten lesen kann und in die Partitur eingreifen möchte. Jürgen Flimm gab mir dann 2007 in Salzburg diese Riesenoper, „Benvenuto Cellini“ von Berlioz. Das war echt mutig von ihm. Ich dachte, Salzburg, großes Festspielhaus, das muss bombastisch werden, ein Feuerwerk, keine Sekunde ohne einen Regie-Einfall. Die Zeitungen haben es gehasst, aber das Publikum mochte das. Mittlerweile habe ich ein ganz gutes Gefühl entwickelt, wann es zu viel ist. Musiktheater braucht auch Ruhepunkte.

Ihren eigenen Kindern, versuchen Sie denen einen Filmkanon näherzubringen, oder bestimmte Musik?

Bei Musik gibt es oft Streit. Wenn ich die Jungs morgens in die Schule fahre, wollen sie am liebsten tiefe Bässe, RTL Radio, Jam, solche Sachen. Und ich will Klassikradio hören. Leider setzen sie sich meistens durch. Was das Kino betrifft, ist der Älteste gern am Set mit dabei, es ist ja auch ein toller Zirkus. Und wir freuen uns schon auf den neuen „Star Wars“-Film. Der Trailer sieht toll aus, J. J. Abrams führt Regie, der wird super! Als ich zehn war, hat mein Vater mich in „Star Wars“ mitgenommen…

… Christoph Stölzl, ein „Star Wars“-Fan? Wegen der Vater-Sohn-Geschichte?

(senkt die Stimme) „Ich bin dein Vater“, ach nein, es war vor allem mein erstes richtiges Kinoerlebnis! Mit meinen Kindern streite ich mich jetzt darüber, was besser ist. Sie mögen die zweiten drei Filme lieber, ich die ersten drei. Die zweiten drei sind so aseptisch und computergeneriert, da gibt es sieben, acht Akte, noch ein Abenteuer, noch eine Actionszene, noch eine Jagd. Mir wird schnell langweilig bei diesen Rummelplatzfilmen. Wo ist die Geschichte, die Figur?

"Madonna war dann doch easy und lustig"

Foto: Mike Wolff
Regisseur Philipp Stölzl

© Mike Wolff

Sie haben Bühnenbildner gelernt. Als Film- wie als Opernregisseur sind Sie Autodidakt.

Anfang der 90er Jahre wohnte ich in Berlin am Hackeschen Markt, da war noch alles kaputt. Die Nutten standen an der Oranienburger Straße, man ging in Kellerdiscos, irgendwo machten Bars auf, die am nächsten Tag wieder weg waren, im Hinterhof produzierten lustige Leute Musikvideos. Also fing ich auch damit an. Das Muffige am Staatstheater nervte mich ein bisschen, dieses Beamtenmäßige. Hier war plötzlich eine tolle Energie. Das Tacheles, die Dead Chickens, der Eimer – kann man sich heute kaum noch vorstellen, so „posh“, wie das jetzt dort ist.

Sie waren zur richtigen Zeit am richtigen Ort.

Ich hatte Riesenglück. Alle wollten Musikvideos, die Plattenfirmen, die Musiksender, es gab einen unfassbaren Bedarf, auch Geld war genug da. Man konnte einfach loslegen. Ich leitete dann schnell eine Produktionsfirma. Jede Woche drehen, das ist wie Filmschule im Fast-Forward-Modus.

Musikclips mit Rammstein, Marius Müller-Westernhagen oder Madonna zu drehen, ist das eine gute Opernschule?

Oh ja, du versuchst zu begreifen, worum es in dem Song geht und wie man eine Geschichte dazu bauen kann. Wie funktioniert die Musik in Bildern? Auch Oper und Musikvideo sind sich da sehr ähnlich.

Seltsamerweise sind die Klassik- und die Filmszene komplett voneinander getrennt.

Ja, die Welten begegnen sich wirklich nicht. Die Opernleute verstehen nicht, dass ich weiter Filme mache, wo ich doch genügend Opern-Anfragen habe. Bei den Filmleuten ist es noch schlimmer. Für sie ist Oper oft nur schreckliche Musik mit dicken Sängerinnen.

Sie haben mit Anna Netrebko, Placido Domingo, Jonas Kaufmann und anderen Opernstars gearbeitet. Sagen die schon mal Nein zu ungewöhnlichen Regieanweisungen?

Singen ist eine große Handwerkskunst, es gibt physisch extrem schwere Partien. Auch das Publikum kommt letztlich wegen der Stimme einer Krassimira Stoyanova. Also versuche ich, dass sich jeder Sänger gut aufgehoben fühlt, da muss man manchmal Abstriche im Szenischen machen. Wenn Stoyanova im „Faust“ die Ballade „Es war ein König in Thule“ wieder drin haben will, dann tue ich das. Die Ballade ist toll, aber ein ziemlicher Show-Stopper.

Nie Probleme mit Sängern?

Ich hasse es, wenn die Sänger überhaupt nicht an Figurenarbeit interessiert sind und lediglich fragen, zu welcher Note sie sich wo hinstellen sollen. Manchmal trifft man gottseidank Ausnahmekünstler wie Jonas Kaufmann, mit dem ich diese Ostern bei der „Cavalleria Rusticana“ in Salzburg arbeiten konnte. Ein Wahnsinnssänger, gleichzeitig ein intensiver Schauspieler. Wenn ich mit ihm über seine Figur diskutiere, legt er nicht nur die Szene anders an, sondern auch seine Stimme ändert sich, er nimmt das Spiel mit in den Gesang!

Und wann kommt der Dirigent ins Spiel?

Oft schon sehr früh. Beim „Trovatore“ gibt es eine Massen-Chorszene mit viel Gerassel auf der Bühne. Also haben Daniel Barenboim und ich besprochen, wie viel Tohuwabohu die Musik hier verträgt, zumal es ja Affektmusik ist, die nach vorne ins Publikum drängt. Ich hatte anfangs ein komplett anderes Konzept. Ich wollte die Oper, die ja einen sehr wirren Plot hat, als psychedelische Serienkiller-Story anlegen und das Geschehen aus der Perspektive des Frauenmörders Graf Luna zeigen. Aber als ich die Idee Placido Domingo vorstellte, merkte ich, das ist absolut nicht seins. Ich dachte, jetzt habe ich die einmalige Gelegenheit, mit diesem großartigen Welt-Künstler zusammenzuarbeiten, da gibt es Wichtigeres als meine Idee.

Ihren Filmschauspielern verlangen Sie viel ab. Benno Fürmann musste für „Nordwand“ im Kühlhaus am Seil hängen und stundenlang sterben.

Elemente wie Kälte und Eisregen helfen, diesen Kampf ums Überleben glaubhaft darzustellen!

Dem echten Bergsteiger Toni Kurz, den Fürmann spielt, erfriert die linke Hand, im Film ist es die rechte. Absicht?

Zufall, wie vieles beim Filmemachen. Es passieren einfach auch Fehler. Zum Beispiel der dramatische Höhepunkt von „Nordwand“: Benno Fürmann hängt sterbend wie ein Käfer auf dem Rücken im Seil, seine große Liebe Johanna Wokalek schaut zu ihm hoch und guckt immer auf seinen Hintern. Ich dachte, blöd, sie muss zu ihm hoch, damit das Liebespaar auf Augenhöhe ist. Das war Unsinn. Die ganze Zeit wird erzählt, wie schwierig es selbst für erfahrenste Bergsteiger ist, sich in dieser Wand zu bewegen. Und sie klettert da einfach herum. In Bergsteiger-Kreisen war der Film ganz gut angekommen, auch bei Reinhold Messner. Aber bei diesem Ende sind sie alle ausgestiegen. Im Moment bekomme ich übrigens ständig Mails von Karl-May-Fans, die mich vor möglichen Fehlern beim Remake warnen.

Wo wir gerade bei Fehlern sind: Wann in Ihrer Laufbahn hatten Sie denn das größte Muffensausen?

Das war bei Madonna, der Dreh für das „American Pie“-Video in London. Ein Super-Weltstar, sie war schwanger, galt als schwierig, aber die Arbeit war dann doch easy und lustig.

Es heißt, Madonna hätte Sie einfach angerufen.

So einfach war es nicht. Madonna machte irre viele Videos und arbeitete aus Prinzip mit neuen Regisseuren. Sie hatte mein Rammstein-Video gesehen und wollte mich, nur für dieses eine Video. Das Management und die Produktionsfirma wurden eingeschaltet, die fragten, wann ich erreichbar bin. Also sitzt du zu Hause am Telefon, schmeißt andere Leute aus der Wohnung und bibberst. Sie sagte dann tatsächlich „Hi, I’m Madonna“. Ich war 34. Das Gute war: Danach hatte ich vor keinem Star mehr Angst.

Zur Startseite