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Armando Verissimo parkt in Michendorf.

© Björn Kietzmann

Zuhause im Lkw: Kabinen-Personal

In ihrem Lkw verbringen sie mehr Zeit als daheim. Aber wie richten sich Trucker in dieser Enge ein? Ein Besuch auf dem Rastplatz.

Gerd Stahlmann hat heute schon geputzt. Muss er jeden Tag, denn Staub gibt’s immer. Auf dem Lenkrad, am Armaturenbrett, auf den Seitenablagen. Soll der Staub weg, greift Stahlmann ins Fach rechts in der Mittelkonsole, dort liegt eintürkis-gelbes Plastikpäckchen, und darin befinden sich befeuchtete Reinigungstücher der Marke „Hello Baby“. Die seien die allerbesten, sagt er. Mit denen komme er in jede Ritze rein. Irgendwie hat man sich das Innere einer Lastwagenkabine anders vorgestellt. Bisschen mehr durcheinander vielleicht, mit Postern an der Wand, die Frauen mitgigantischen Brüsten zeigen. Zumindest aber Stofftiere hinter der Windschutzscheibe. Nee, sagt Gerd Stahlmann, was solle er denn mitso etwas anfangen. „Ich bin doch erwachsen.“ Es ist nicht so, dass Stahlmann vorher Zeit gehabt hätte, aufzuräumen und Poster abzuhängen. Wir standen plötzlich vor seiner Fahrertür, letzten Sonntag auf dem Lkw-Rastplatz an der Avus. Autofahrer nehmen das Areal kaum wahr, obwohl es weitläufiger istals ein Fußballfeld. Es liegt zur Hälfte hinter einer Heckeverborgen, schräg gegenüber einem Großbordell. Wir wollten wissen, wie es sich in der Enge einer Kabine lebt. Und ob man von den Liegen nicht Rückenschmerzen bekommt. Gerd Stahlmann sitzt hinterm Lenkrad. Er hat nicht vor, gleich loszufahren, er muss noch fünf Stunden hier warten, um die gesetzlich vorgeschriebene Ruhephaseeinzuhalten. Am liebsten wartet er auf dem Fahrersitz. Viele Alternativen gäbe es sowieso nicht. Stahlmann fährt einen ScaniaR560, schwedische Marke, eines der längsten Modelle auf dem Markt. Wobei lang eigentlichbloß die Ladefläche ist: Die Kabine selbst misst 2,5 Meter in der Breite und 2,35Meter in der Tiefe. Das sind Euromaße. Gerd Stahlmann ist Österreicher und heißt eigentlich anders. Ein Freund hat ihm erzählt, die österreichischen Zollhunde lebten vorschriftsgemäß in geräumigeren Hütten. Da stimmt doch was nicht, sagt Stahlmann. Immerhin: Die Kabinendecke ist über zwei Meter hoch, das stelle einen enormen Fortschritt dar. Als er vor 42Jahren die ersten Strecken fuhr, gab es noch welche mitbloß 1,60 Metern Höhe. Damals konnten sich die Fahrer nur im Sitzen umziehen. „Damals“ wird Stahlmann an diesem Tag noch häufiger sagen. Unter dem Beifahrersitz hat er Wasserflaschen und drei Pakete Weintrauben übereinander gestapelt. Die sind übrig geblieben vom letzten Auftrag, als er Trauben geladen hatte, und nein, die hat Stahlmann nicht mitgehen lassen –die bekam er als Reiseproviant geschenkt. Alte Truckertradition. Wenn er die Ruhezeit abgesessen hat, fährt er weiter nach Magdeburg. Morgen früh um fünf soll er dort eine Ladung aufnehmen, halbierte Schweineköpfe, müssen nach Österreich. Dann geht es weiter nach Italien.

Stahlmann hat auch eine Parterrewohnung in Kufstein. Bloß sieht er die kaum. Alle vier Wochen fährt er hin, immer Freitagabend bis Montagmorgen. Weil dort keiner auf ihn wartet, die Kinder sind längst groß, die Ehe ist geschieden, hat er es nicht eilig, nach Kufstein zu fahren. Man würde ihm jetzt gern entlocken, warum er sich das antut. Vielleicht das gute Gefühl, rumzukommen, heute hier, morgen da? Vielleicht der weite Blick bis zum Horizont, bei Sonnenuntergang auf der A24?Willie-Nelson-Romantik? Gerd Stahlmann sagt bloß:„Andere Berufe haben doch auch Nachteile.“

Er vermisst die Holländer

Die Raststätte an der Avus.
Die Raststätte an der Avus.

© Björn Kietzmann

Während der Ruhepausen unterhält er sich kaum, auch nicht mit den anderen Truckfahrern. Die meisten verstünden nämlich kein Deutsch – er wiederum kein Bulgarisch, Rumänisch, Polnisch, Russisch. Damals seien wenigstens noch die Holländer dagewesen, mit denen konnte er sich verständigen. Er sagt: „Ich bin wie ein Polarforscher.“ Immerhin einer mit Internetverbindung. Seinen Laptop braucht er, um neue Aufträge entgegenzunehmen. Praktisch wäre ein Laserdrucker, wegen der Frachtpapiere. Vielleicht lässt er sich bald einen oben ins Fach überm Lenkrad einbauen, dafür müssten allerdings die T-Shirts ins Nachbarfach wandern, und dort sind gerade die Handtücher verstaut. Bei dieser Enge sei es existenziell, alles an seinem Ort zu wissen. Im Fach der linken Tür: Fensterreiniger. Im Fach der rechten: Flüssigseife mit Maracujaduft. Unter der Schlafliege: zwei Kühlschrankfächer. Zwischen den Sitzen steht ein Stapel Plastikteller auf dem Boden, daneben die Papiertuchrolle. Bekommt Stahlmann Hunger, legt er sich Käse oder Fleischwurst aufs Weißbrot. Die Raststättenrestaurants meidet er, da kriege man Essen serviert, das seit Stunden in der Vitrine stehe und trotzdem zwölf Euro koste. „Die Mampfe spare ich mir. “

Was Truckerfahrer im Lkw wirklich nervt

Und dann das Übernachten. Im Bett schlafe es sich grundsätzlich ausgezeichnet. Wenn da nicht ... Sagt’s und steigt aus dem Wagen. Klappt eine Trennwand zurück, zeigt aufeinen metallenen Kasten. Das Hauptproblem also sei der fehlende Abstand zwischen Fahrerhaus und Kühlsystem. Das Gerät schaltet sich nachts automatisch ein, alle halbe Stunde für etwa zehn Minuten. Und es mache üble Geräusche. Als Stahlmann es vorführen will und die Kühlung testweise einschaltet, dröhnt es unangenehm. Wer ihn bittet, das Ding wieder auszustellen, man habe schließlich noch andere Fragen, bekommt zur Antwort:„Wollen wir nicht noch ein bisschen abwarten, das wird gleich noch viel lauter!“

35 Kilometer weiter, die A115runter und dann westwärts, liegt die Autobahnraststätte Michendorf. Hier fällt es sonntags oft schwer, einen freien Parkplatz zu finden, überall stehen Lkw. Hinter den Windschutzscheiben sieht man Fanschals und Wimpel: Czarni Lemberg, Lewski Sofia, Lokomotive Plowdiw. Ein Wagen parkt direkt vor McDonald’s, hinter der Scheibe hängt ein regenbogenfarbenes Nummernschild mit den Buchstaben„Herrmann“ drauf. „Das ist mein Fahrername“, sagt der Mann im Innern. Eigentlich heißt er Armando Verissimo, ist Portugiese, lebt in Bautzen. Zuerst will er nicht die Tür öffnen– und schon gar nicht, dass Fremde einen Blick in sein Fahrerhaus werfen, das sei doch Intimsphäre. Später wird er sich dafür entschuldigen und sagen, auf der Straße lerne man halt, nicht allen Menschengleich zu vertrauen.

Kaffeemaschine an Bord

Fensterreiniger im Seitenfach - bei Lkw-Fahrern Standard.
Fensterreiniger im Seitenfach - bei Lkw-Fahrern Standard.

© Björn Kietzmann

An Berlin kommt Armando Verissimo alle paar Wochen vorbei. Auf dem Rastplatz Michendorf sind die Fernfahrerduschenganz gut. Die Benutzung kostet drei Euro, das Wasser läuft, bis man genug hat. Die meisten Trucker haben einen Campingkocher dabei, außerdem eine Kaffeemaschine oder einen Wasserkocher für Pulverkaffee. Armando Verissimo liest nicht gern Bücher, aber jeden Morgen eine Zeitung. Und „Trucker“, das Monatsmagazin für Lastwagenfahrer. Die aktuelle Ausgabe liegt aufgeschlagen auf dem Beifahrersitz. Topthemen:„Vorsicht Kamera – Die Messungen der Polizei sind oft falsch“ sowie „Frachtdiebstahl – Die Methoden werden immer dreister“. Auf seinem Armaturenbrett steht auch ein kleines Fernsehgerät, und wenn er warten muss, guckt er Sport. Am liebsten Fußball, ansonsten alles, was gerade läuft. Heute Leichtathletik. Drei Mal am Tag telefonierter mit seiner Frau. Es gab Zeiten, da wollte sie ihn bei Touren begleiten. Inzwischen schmerzt ihr die Wirbelsäule, sie muss sich zwischendurch bewegen, doch das geht nicht im Fahrerhaus, und für unnötige Pausen bleibt keine Zeit.

Der europäische Lastwagenmarkt wird von wenigen großen Herstellern dominiert: Daimler, MAN, Scania, DAF, Iveco, Volvo, Renault. Armando Verissimo hat in den vergangenen Jahrzehnten die meisten ausprobiert. Vom Komfort hernehmen die sich nicht viel, sagt er. Gerade fährt ereinen Mercedes Actros 2548, ganz altes Baujahr, das Modell gibt’s schon gar nicht mehr zukaufen. Noch dieses Jahr wird er sich einen neuen zulegen. Der wird zwar nicht geräumiger, hat aber frische Polster. Außerdem will sich Verissimo gerade eh nicht beklagen. Seinenächste Lieferung sind Konserven. Da wird ihn abends kein Kühlsystem nerven.

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