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Starkes Team. Lucky Luke und sein Pferd Jolly Jumper, hier auf einem Wandbild in Angoulême.

©  Lars von Törne

Zum 100. Geburtstag von Lucky-Luke-Zeichner Morris: Aus Brüssel in den Wilden Westen

Vor 100 Jahren wurde der Comiczeichner Morris geboren. In Belgien zeugen vergilbte Hefte von der Leidenschaft, mit der sich der Künstler seinem Werk widmete.

Von Niklas Hlawitschka, epd

In Philippe Caparts Comicladen „La Crypte Tonique“ im Zentrum Brüssels türmen sich Kisten voller Bücher. Vom Fenster aus ist schwer zu erkennen, ob es sich um ein Geschäft, ein Atelier oder ein Lager handelt. Der 50-Jährige bahnt sich einen Weg in den Nebenraum und kommt mit einer Kiste voll vergilbter, bräunlicher Hefte zurück. „Morris“ steht mit dickem Filzstift auf dem Karton, und auf dem obersten Heft ist handschriftlich notiert, was er beinhaltet: „De éénarmige bandiet“.

Es sind Ausgaben von Lucky Lukes Comicabenteuer „Der einarmige Bandit“ auf Niederländisch, einer von mehr als 30 Sprachen, in die die Reihe übersetzt wurde. Und die Beschriftung stamme vom Lucky-Luke-Schöpfer Morris (1923-2001) selbst, sagt Capart.

1998 besuchte Maurice de Bevere alias Morris das Wilhelm-Busch-Museum in Hannover, dabei entstand dieses Foto.

© dpa/Fabian Matzerath

Seit 1946 durchstreifen Cowboy Lucky Luke und sein Pferd Jolly Jumper die Prärie: Damals erschien im belgischen Magazin Spirou das erste Abenteuer „Arizona 1880“. Erfinder Morris wurde vor 100 Jahren, am 1. Dezember 1923, als Maurice De Bevere, im belgischen Kortrijk geboren.

Und er hat genau verfolgt, wie sein einsamer Westernheld die Zeitungsspalten, Bücherläden und Kinderzimmer auf der ganzen Welt eroberte. Abdrucke seiner Zeichnungen sammelte Morris und band sie selbst - fein säuberlich sortiert und mit Datum versehen - zu kleinen Heften wie das über den „Einarmigen Banditen“, wie der belgische Comicexperte Erwin Dejasse berichtet.

In bester Gesellschaft

Morris besuchte eine Jesuitenschule, an der sich sowohl sein Zeichentalent als auch sein Humor schon früh in Karikaturen seiner Lehrer gezeigt haben soll. Ab 1944 arbeitete er in dem kleinen Brüsseler Animationsstudio CBA. Zu seinen Kollegen dort zählten Franquin, der später als Zeichner von Gaston und dem Marsupilami bekannt wurde, und Peyo, der die Schlümpfe erfand.

Asterix-Autor Goscinny (links) und Morris auf einem Archivfoto von 1971.

© Nationaal Archief, CC0/Fotocollectie Anefo

Capart ist nicht nur Verleger und Besitzer des Ladens „La Crypte Tonique“, er beschäftigt sich auch als Historiker und Theoretiker mit Comics und Animationsfilmen. Gemeinsam mit Erwin Dejasse hat er 2005 ein Buch über das Studio CBA geschrieben („Morris, Franquin, Peyo et le Dessin Animé“). Die Herangehensweise, die Morris in dem Trickfilmstudio gelernt habe, sagt Dejasse, könne man auch bei Lucky Luke sehen: „Morris wusste sehr genau, wie Filme funktionieren.“ Davon zeugten Nahaufnahmen und Panorama-Einstellungen in den Western-Comics.

Vor allem aber findet sich die Bewegung der Filme auch in den Zeichnungen wieder. „Animation ist lebendig und Morris hat das Leben in die Comics übertragen“, sagt Capart. Der Witz und die Dynamik Lucky Lukes leben von schnellen Bildfolgen und durchdachten Zeichnungen. Das Motiv des Cowboys, der seine Waffe schneller zieht als sein Schatten, zeigt einen ganzen Bewegungsablauf in einem Bild.

Rund ein Jahr bevor Morris 2001 in Brüssel starb, traf Capart den Zeichner. Er wollte ihm Animationsfilme aus den 1940er Jahren zeigen, die er zusammengetragen hatte, wie er erzählt. „Da sind Sie ja auf eine echte Goldmine gestoßen“, habe Morris beim gemeinsamen Ansehen der Filme gesagt, halb sarkastisch, halb anerkennend, erinnert sich Capart.

Sammler und Rechercheur

Auch Morris selbst war ein Sammler und Rechercheur. 1948 zog es den Comic-Künstler in die USA, die ihn schon immer fasziniert hatten. Er blieb sechs Jahre, in denen er ein umfangreiches Archiv der amerikanischen Geschichte zusammentrug, das ihm immer wieder auch zur Vorlage für seine Comics dienen sollte. Zahlreiche reale Persönlichkeiten tauchen in den Lucky-Luke-Geschichten auf, von Billy the Kid über Alfred Hitchcock bis zum französischen Sänger Serge Gainsbourg. Auch für die Dalton-Brüder gibt es eine historische Vorlage.

Jedes Buch, das Morris über die sogenannte Pionierzeit habe bekommen können, habe der Zeichner gekauft, erzählt Capart: „Er hat alles gesammelt, sogar seine Zugtickets von 1947.“ In New York traf er den Franzosen und Asterix-Schöpfer René Goscinny, der von 1955 bis zu seinem Tod 1977 der Texter der Lucky-Luke-Reihe wurde.

Wie sein Cowboy aber, der am Ende jeder Geschichte in den Sonnenuntergang reitet und die Romantik der Einsamkeit in der weiten Prärie besingt („I'm a poor lonesome cowboy ...“), sei Morris ein Einzelgänger gewesen. Er zeichnete für sich selbst und weil er sich nicht erinnern konnte, „je etwas anderes getan zu haben“, wie er einmal sagte. Seine Originale gab er nie aus der Hand. Noch heute lagern sie wohl in einem Safe irgendwo in Brüssel, vermutet Capart.

Morris Interesse galt nicht nur dem Wilden Westen, sondern auch dem Medium Comic. „Von den 1940er Jahren bis in die 1970er Jahre war er meines Erachtens der weltweit wichtigste Theoretiker des Comics“, sagt Capart. Und er habe nicht nur die eigenen Werke, sondern auch die Arbeiten anderer Comiczeichner gesammelt - in genauso säuberlich kuratierten und selbst gebundenen Heften.

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