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Bundeskanzlerin Angela Merkel mit dem bulgarischen Ministerpräsidenten Bojko Borissow.

© imago/CommonLens

Flüchtlingskrise: Bulgarien will keine Hotspots

Aussagen von Angela Merkel lösen Verstimmung mit Sofia aus. Bulgarien beklagt sich über Deutschland und die EU.

Als hätte er geahnt, dass ihm auf dem Sondergipfel des Europäischen Rats zur Flüchtlingskrise Unheil erwarten würde: Vor seiner Abreise nach Brüssel klagte Bulgariens Ministerpräsident Bojko Borissov am vergangenen Mittwoch, er reise mit Unbehagen zum Treffen der europäischen Staats- und Regierungschefs. Und tatsächlich bereiteten ihm die Nachrichten vom Gipfel nach seiner Rückkehr nach Sofia Unannehmlichkeiten. „Kanzlerin Merkel sagt, Bulgarien will Hot Spots für Flüchtlinge einrichten“, meldeten die bulgarischen Medien. „Um solch eine Frage ist es überhaupt nicht gegangen“, dementierte umgehend die bulgarische EU-Abgeordnete Eva Paunova. Sie müsste es eigentlich wissen, diente sie dem des Englischen nicht mächtigen Borissov während des Gipfels doch als Dolmetscherin.
Aus dem Protokoll der Pressekonferenz im Anschluss an den Gipfel geht hervor, dass Angela Merkel Bulgarien zwei Mal im Zusammenhang mit der für November 2015 geplanten Einrichtung von Lagern zur Registrierung, Anerkennung und Quoten-Verteilung von Flüchtlingen in EU-Grenzstaaten, den sogenannten Hot Spots, erwähnt hat. In einer Passage heißt es, „es geht um Hot Spots in Griechenland und Italien. Bulgarien hat darauf hingewiesen, dass es auch eine Außengrenze mit der Türkei hat und dass es auch unter einem starken Druck der Flüchtlingsbewegung steht. Wir waren offen dafür: Wenn Bulgarien so einen Hot Spot bilden möchte, dann wird es genau die gleiche Unterstützung und genau die gleiche Hilfe von den europäischen Institutionen und Agenturen bekommen, wie sie Italien und Griechenland bekommen. Aber es war jetzt nicht so, dass wir Bulgarien etwas aufdrängen wollten, sondern Bulgarien hat selbst gesagt ,Wir haben hier ein Problem. Warum wir nicht auch?’, und das leuchtet ja auch ein.“
Auf Anfrage teilte das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung zu den widersprüchlichen Äußerungen mit: „Die Worte von Bundeskanzlerin Merkel stehen für sich. Die Äußerung von Frau Paunova kommentieren wir nicht.“
Ob er wirklich die Einrichtung von Hot Spots in Bulgarien vorgeschlagen habe, musste sich Borissov am Donnerstagvormittag am Rande einer Konferenz fragen lassen. „Was überrascht euch so, dass dies die Neuigkeit des Tages ist, bei allem was ich als Position beim Gipfel zum Ausdruck gebracht habe“, antwortete er genervt und fügte hinzu: „Ich habe nicht gewollt, dass Bulgarien zum Hot Spot zur Aufnahme von Flüchtlingen wird.“ Er habe auf dem Gipfel drei Mal das Thema angesprochen, dass Bulgarien ein Grenzstaat sei und „die Hilfe nicht auf Italien, Griechenland, Mazedonien und Serbien beschränkt werden darf“.

Ist alles nur ein sprachliches Missverständnis?

Möglicherweise handelt es sich bei der Hot-Spot-Debatte auch um ein Missverständnis, das auch auf dem Gipfel die Rund emachte. Das englische Wort „Hotspot“ bezeichnet eigentlich einen Krisenherd oder einen Ort, an dem sich eine bestimmte Entwicklung konzentriert – in diesem Zusammenhang also, wo die meisten Asylbewerber erstmals europäischen Boden betreten. Inzwischen werden im EU-Jargon aber auch jene europäisch organisierten und finanzierten Zentren als „Hotspots“ bezeichnet, die nun eingerichtet werden sollen, um den überforderten Mitgliedstaaten beizuspringen.

Regierungschef Borissov kritisierte zudem, dass die Europäische Kommission wegen den Bedingungen in den bulgarischen Flüchtlingslagern und der Nicht- Umsetzung einschlägiger EU-Direktiven Sanktionsverfahren gegen Bulgarien eingeleitet hat. Bulgarien habe bereits 100 bis 150 Millionen Euro außerplanmäßig für die Flüchtlingskrise ausgegeben. „Ich habe ihnen erklärt, dass die Rente bei uns 2,50 Euro am Tag beträgt, wir aber den Flüchtlingen mehr geben. Es ist einfach nicht recht, dass sie uns bestrafen.“
In der Vergangenheit hat Borissov die EU mehrfach zu verstärkter materieller Unterstützung aufgefordert. Dabei ist der Migrationsdruck auf das Balkanland im Vergleich zu anderen Ländern schwach. Nach Angaben der Staatlichen Agentur für Flüchtlinge (DAB) leben derzeit 2581 Flüchtlinge in bulgarischen Flüchtlingslagern, deren Kapazität nur zu 50 Prozent ausgeschöpft ist. In den ersten acht Monaten dieses Jahres haben in Bulgarien 10 664 Menschen um Asyl angefragt, 3763 von ihnen haben den Flüchtlingsstatus erhalten. In 6132 Fällen wurde das Flüchtlingsanerkennungsverfahren aber abgebrochen, offenbar weil sich die Antragssteller bereits auf dem Weg in Richtung Westeuropa waren. (mit chz)

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