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Gegen die Flüchtlingspolitik der Regierung. Anhänger der AfD demonstrierten am Samstag in Freilassing. Foto: Michaela Rehle/Reuters

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Flüchtlingskrise: Die AfD drängt auf die Straße

Die AfD-Spitze um Frauke Petry bemüht sich in der Flüchtlingskrise um einen moderaten Ton. Gleichzeitig will die Partei den Protest auf die Straße tragen - eine Doppelstrategie.

Frauke Petry klingt entspannt am Telefon, als sie sagt: Sie mache sich Sorgen um eine „weitere Radikalisierung der Gesellschaft“. Die AfD-Chefin spielt auf die aufgeheizte Stimmung in der Migrationsdebatte an, fordert ein entschlossenes Handeln der Bundesregierung, um die Zahl der nach Deutschland kommenden Flüchtlinge zu senken.

Was Petry nicht sagt, ist, dass die Alternative für Deutschland auch der große Nutznießer der Flüchtlingskrise ist. Nach dem Austritt von Ex-Parteichef Bernd Lucke und der Spaltung im Juli schon fast totgesagt, erklimmt sie im Moment mit jeder Woche neue Umfragehöhen. Bei sechs bis sieben Prozent wird die AfD bundesweit gehandelt. Hält sie dieses Niveau, dann wird ihr im März in Baden-Württemberg wohl zum ersten Mal der Einzug in den Landtag eines westdeutschen Flächenlandes gelingen. Nach AfD-Angaben stellen zurzeit jeden Tag 40 Menschen einen Mitgliedsantrag. Ihre alte Stärke von rund 20.000 Mitgliedern, die sie vor dem Lucke-Abgang hatte, hat die AfD schon wieder erreicht.

In Thüringen führt Björn Höcke vom völkischen Flügel die Regie

Petrys vorgetragene „Sorge“ ist auch Teil einer bewussten Doppelstrategie. Wie so oft bemühen ihre Spitzen sich um einen mehr oder weniger zivilisierten Ton, damit die AfD für bürgerliche Schichten wählbar erscheint. Gleichzeitig aber – und das ist neu – drängt die rechtspopulistische Partei vermehrt auf die Straße. Zum ersten Mal soll am 7. November auch Berlin Schauplatz einer „Massenkundgebung“ werden. Unter dem Motto „Asyl braucht Grenzen – rote Karte für Merkel“ wurde eine Demonstration vor dem Roten Rathaus angemeldet, bis zu 10.000 Menschen erwartet die Partei. „Wir sind ein Stück weit Bürgerbewegung. Da gibt es die Erwartung, dass wir auch in der Öffentlichkeit präsent sind“, sagt Götz Frömming, AfD-Vizechef in Berlin.

Ohne Risiko ist diese neue Strategie nicht: In Erfurt, wo unter der Regie von Björn Höcke, dem Repräsentanten des völkisch-nationalen Flügels, seit Wochen bis zu 9000 Menschen auf die Straße gehen, marschierten auch Neonazis mit. Höcke, der sogar vielen in der AfD zu weit rechts steht, schwadronierte von einem „Sturm auf Deutschland“ und einer „Invasion“ der Flüchtlinge. In Thüringen, wo die Pegida-Bewegung schwach blieb, versucht jetzt die AfD unter Fraktionschef Höcke, den Unmut auf die Straße zu tragen.

Petry ficht das nicht an. Dem Tagesspiegel sagte sie: „Björn Höcke und ich pflegen eine unterschiedliche Rhetorik. Ich halte seine Forderungen aber überwiegend für in Ordnung.“ Während man im Berliner Landesverband von „Bauchgrimmen“ im Hinblick auf die angemeldete Demonstration spricht und vorsorglich die Ächtung „extremistischer Äußerungen und Verhaltensweisen“ ankündigt, sagt Petry: „Ich glaube, dass man Pegida nicht zu negativ werten sollte. Es ist legitim, wenn Bürger auf die Straße gehen und versuchen, die Politik aufzurütteln.“ Parteiintern allerdings heißt es, dass die Doppelstrategie, die zumindest in Ostdeutschland eine ohnehin schon aufgeheizte Stimmung bedient, auch kontraproduktiv sein könne. Jeder Prozentpunkt mehr im Osten könne zu einem Prozentpunkt weniger im Westen führen, weil die AfD als zu radikal wahrgenommen werde.

Nicht nur in Erfurt und Berlin demonstriert die AfD, auch in Magdeburg brachte sie schon Tausende auf die Straße, im bayerischen Freilassing an der Grenze zu Österreich wurde ebenfalls protestiert. In Rostock nahmen am 1800 Menschen an einer AfD-Demo teil. Friedlich blieb es dabei nicht: Nach Polizeiangaben wurden auch aus dem Lager von AfD-Anhängern Flaschen, Steine sowie Pyrotechnik geworfen. Dabei seien fünf Beamte leicht verletzt worden. Nach dem Ende des Aufzuges seien Polizisten von rund 60 Personen angegriffen worden. Demnach wurden Ermittlungsverfahren wegen Landfriedensbruchs, Körperverletzung und Beleidigung eingeleitet. Sieben Tatverdächtige wurden vorläufig festgenommen.

Petrys Mann tritt in die CDU ein

Innerparteilich steht Petry ohnehin unter Druck, dem Flügel um Höcke nachzugeben, auf dessen Unterstützung sie bei der Abwahl Luckes angewiesen war. Konkret fordert die AfD-Chefin nun Obergrenzen und Kontingente, wenn es um die Aufnahme von Flüchtlingen geht, sowie eine Änderung des Asylrechts: „Das individuell einklagbare Asylrecht ist 1949 unter ganz anderen Voraussetzungen geschaffen worden, nämlich politisch Verfolgten Schutz zu gewähren.“

Völlig anders sieht das offenbar Sven Petry, mit dem Frauke Petry seit 1998 verheiratet ist. Der Pfarrer aus Trautenhain bei Leipzig empfiehlt bei Twitter flüchtlingsfreundliche Medienberichte und ist in die CDU eingetreten. Das Ehepaar lebt seit Kurzem getrennt – eine eigentlich rein private Angelegenheit, die aber eine wichtige politische Komponente besitzt: Mit ihrem engsten Verbündeten Marcus Pretzell, AfD-Chef in NRW, verbinde sie „inzwischen sehr viel mehr als nur freundschaftliche Gefühle“, hatte Petry vor zwei Wochen in einer Mail an alle AfD-Mitglieder mitgeteilt. Diese Verbindung zwischen Politischem und Privaten schwäche Petry gegenüber Höcke, ist aus der Partei zu hören. Andererseits ist auch Pretzell nicht gerade für gemäßigte Töne bekannt: Er hatte die AfD schon mal als „Pegida-Partei“ bezeichnet und der österreichischen FPÖ zu deren Wahlsiegen gratuliert.

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