zum Hauptinhalt
Die Rückkehr des alten Europa: Dänische Polizisten an der deutsch-dänischen Grenze

© Palle Peter Skov/dpa

Flüchtlinge: Europa braucht wieder Grenzen

Europa ist überdehnt, es braucht Selbstbehauptung. Vor allem muss wieder unterschieden werden, wer und wie viele hereinkommen. Ein Gastkommentar.

Die westliche Politik, sich offensiv in die Angelegenheiten des Orients einzumischen und umgekehrt in Europa auf schützende Grenzen zu verzichten, hat zu einer doppelten Überdehnung nach außen und innen geführt. Von den Interventionen in Afghanistan, im Irak und in Libyen bis zu Lockangeboten an die Ukraine hatte der Westen zu Destabilisierungen beigetragen, sich heillos in unlösbare Konflikte verstrickt, die vormalige Sicherheitspartnerschaft mit Russland ruiniert und den Kampf der Islamisten gegen den Westen angefeuert. Mit den Flüchtlingsströmen, aber auch mit dem Terrorismus fallen die Interventionen direkt auf uns zurück.

Die permanente Entgrenzung verliert an Akzeptanz. Ein europäisches Land nach dem anderen setzt auf neue Grenzkontrollen, mit denen zumindest eine Differenzierung zwischen Schutzsuchenden und potenziellen Gefährdern erreicht wird.

Die Befürworter des „offenen Europas“ flüchten sich in die Moralisierung. In analytischer Monotonie werden alle Kritiker als „populistisch“ entlarvt, ob die angeblich „geschürten“ Ängste berechtigt sind oder nicht. Zu allen Problemen ist Deutschland auch noch ideologisch zwiegespalten, die politischen Lager von Links und Rechts erleben eine Wiederauferstehung. Aber es handelt sich bei ihren Begriffen um Wiedergänger, die in den Köpfen rumgeistern, ohne dass sie noch zu begreifen helfen.

Die erste Schwelle läge in der Abschaffung von Migrationsanreize

Aus den erkannten Grenzen der Grenzenlosigkeit ergäbe sich im Umkehrschluss die Therapie: Der Westen und zumal das offene Europa müssen zunächst den seinerseits universalistischen Islamismus eindämmen, dann ihr eigenes Streben nach politischer Universalität gegen eine Koexistenz der Kulturen eintauschen und sich schließlich selbst funktionsfähige Grenzen geben, an denen unterschieden wird, wer und wie viele hineinkommen.

Schwellen wären gewiss besser als Zäune und Mauern, die wie in der spanischen Enklave Ceuta nur eine Ultima Ratio sein sollten. Die erste Schwelle läge in der Abschaffung von Migrationsanreizen, die zweite in einer Differenzierung der Flüchtlinge in Aufnahmezentren, die dritte in einer konsequenteren Rückführung, die vierte in einer besseren Sicherung der EU-Außengrenzen und die fünfte in Flüchtlingshilfe für „Pufferstatten“ wie die Türkei, Libanon und Jordanien. Die letzte Schwelle wäre die militärische Sicherung. In Australien wurde die Grenzsicherung der Marine übertragen, woraufhin die Zahl der Schleuserboote von 2013 bis 2014 von 2000 auf eins zurückging.

Schengen erlaubt die zeitweilige Wiedereinführung von nationalen Grenzen. Wann, wenn nicht jetzt? Doch auch das wird nicht reichen. Angesichts des Andrangs von Flüchtlingen und der Bedrohung durch Dschihadisten kann keine politische Ebene die Grenzsicherung mehr alleine leisten. Nationalstaaten und EU müssten sich gegenseitig ergänzen. Die meisten europäischen Nationalstaaten sind auch für die globalen Migrationsprozesse zu klein, aber ohne starke Nationalstaaten kann es keine erfolgreiche inter- oder supranationale Kooperation geben.

In Zukunft soll Frontex in die Rolle einer operativ arbeitenden Grenzschutzbehörde hineinwachsen. Neben einer Aufstockung des eigenen Personalbestandes auf 1000 sollen zusätzlich mindestens 1500 Grenzbeamte aus den Mitgliedsstaaten als schnelle Eingreiftruppe auch gegen den Widerstand des Nationalstaats eingesetzt werden können. Wenn ein Staat überfordert ist, soll Frontex federführend für den Grenzschutz zuständig sein. Damit würde die Souveränität von Staaten in einem wesentlichen Punkt eingeschränkt. Anderenfalls drohen die Konflikte des zerfallenden Nahen Osten nach Europa zu kommen.

Wichtigste gesamteuropäische Aufgabe wäre eine gemeinsame Grenz- und Asylpolitik. Im Mehrebenensystem der EU wird die gegenseitige Ergänzung nur gelingen, sofern sie einer konsensfähigen Strategie folgt. Aus der Strategie „Selbstbehauptung durch Selbstbegrenzung“ könnten die jeweiligen Aufgaben einsichtiger werden.

Der Autor unterrichtet Politikwissenschaften an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen in Köln.

Heinz Theisen

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false