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Ist der Ruf erst ruiniert... Ukrainer in Frankfurt demonstrieren gegen die russische Politik.

© dpa

Deutschland, Russland und die Ukraine: Gesicht zeigen gegen Putin

Sie haben Angst vor Krieg und bezweifeln die Wirksamkeit von Sanktionen. Dennoch unterstützt das Gros der Deutschen die Politik des Westens gegenüber Wladimir Putin. Dessen Ansehen ist auf einem Tiefpunkt angelangt.

Im Internetzeitalter ist es leicht, den Realitätssinn zu verlieren. Man hört und liest, was einem gefällt, richtet es sich bequem in parallelen Wahrnehmungswelten ein. Zu jeder These findet sich eine Gegenthese, selbst abstruse und verschwörungstheoretische Annahmen werden gezielt gestreut und möglichst weit verbreitet. Das schlichte Zurkenntnisnehmen von Sachverhalten muss sich ständig neu geschürter Zweifel erwehren.

Insofern überrascht es wenig, dass auch zum Thema Ukraine die Standpunkte heftig aufeinanderprallen. Überraschender ist vielmehr, wie groß die Kongruenz von öffentlicher und veröffentlichter Meinung sind. Die Behauptung jedenfalls, eine übergroße Koalition aus Union, SPD, Grünen und Restliberalen beherrsche die öffentlich- rechtlichen Medien, die wiederum maßgeblich das Weltbild der privaten Medien prägten und alle zusammen sich im Konflikt mit der Mehrheit der Deutschen befänden, ist falsch. Politik und Medien auf der einen, große Teile der Öffentlichkeit auf der anderen Seite: Der Keil, der durch dieses Argument in die Debatte getrieben werden soll, existiert nicht.

Natürlich haben viele Deutsche Angst – aufgrund ihrer Geschichte und nach den Erfahrungen von Balkan-, Afghanistan- und Irakkrieg –, in eine kriegerische Auseinandersetzung hineingezogen zu werden. Den Einsatz von Militär lehnen sie strikt ab. Wirtschaftliche Sanktionen wiederum halten viele für wirkungslos, überdies werden negative Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft und Arbeitsplätze sowie Engpässe bei der Energieversorgung befürchtet. Im jüngsten Politbarometer glaubten 51 Prozent der Befragten, dass der Westen keine effizienten Mittel habe, um dem Machtstreben des russischen Präsidenten Wladimir Putin Einhalt zu gebieten.

Aus solchen Zahlen jedoch eine Ablehnung der westlichen Politik oder gar Verständnis für Putin abzuleiten, wäre verkehrt. Laut ARD-Deutschlandtrend (Infratest dimap) befürworten mehr als zwei Drittel der Deutschen wirtschaftliche und finanzielle Hilfen für Kiew, 62 Prozent halten politischen Druck seitens Amerika und der EU auf Moskau für sinnvoll, drei Viertel stimmen dem Satz zu, Putin sei ein Politiker, „dem man nicht über den Weg trauen kann“.

Emnid wiederum hat aktuell ermittelt, dass 70 Prozent der Bundesbürger kein Verständnis für das Vorgehen Putins haben. Das deckt sich mit den Ergebnissen einer Allensbach-Umfrage von Mitte April, der zufolge 55 Prozent der Deutschen Russland mit Gefahren verbinden und 76 Prozent das deutsch-russische Verhältnis für gestört halten. Russland werde zunehmend assoziiert mit Begriffen wie Korruption, Missachtung von Menschenrechten und Meinungsfreiheit, großen sozialen Unterschieden und unzureichender Rechtssicherheit. In Ostdeutschland fallen die Urteile milder aus als in Westdeutschland.

Nicht der Streit über die Ukraine erstaunt also, sondern das hohe Maß an Übereinstimmung in Deutschland. Die Abweichler – von Helmut Schmidt bis Peter Gauweiler, Gerhard Schröder bis Peter Scholl-Latour, Helmut Kohl bis Erhard Eppler – beherrschen zwar gelegentlich die Schlagzeilen und Talkshows, verfügen aber über keine Basis. Und wer aggressive Onlinekommentare zum Maßstab nimmt, verwechselt einen „shitstorm“ mit der Wirklichkeit.

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