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Überdimensioniertes Wohnzimmer: Bei der WM 2014 organisierte Union im Stadion an der Alten Försterei ein Public Viewing auf Sofas.

© Reuters

1. FC Union vor Aufstieg: Was ein zweiter Bundesligist für Berlin bedeuten würde

Der etwas andere Fußballklub 1. FC Union könnte zum ersten Mal in die Erste Liga aufsteigen. Was bedeutet ein zweiter Bundesligist für die Stadt – und Hertha BSC?

Die Fans des ersten 1. FC Union haben seit einigen Wochen einen neuen Song: „Oh scheiße, wir steigen auf“. Tatsächlich steht der Verein aus Köpenick nach dem Erfolg vom Montagabend erstmals in dieser Saison auf Platz eins in der Zweiten Liga. Höchste Zeit für Fans, Verein und Stadt, sich mit dem Gedanken eines zweiten Berliner Fußbalklubs in der Ersten Bundesliga zu beschäftigen.

Wie wahrscheinlich ist es, dass Union aufsteigt?

Das Spiel gegen den 1. FC Nürnberg war kaum beendet, da wurde auf der Anzeigetafel im Stadion groß und gut sichtbar für alle Berliner die Tabelle der Zweiten Liga eingeblendet. Die Fans des 1. FC Union Berlin sangen dazu „Spitzenreiter, Spitzenreiter, hey, hey“ und hüpften im Takt auf und ab. Die Eroberung der Tabellenführung ist der vorläufige Höhepunkt eines fulminanten Berliner Frühlings. Union ist die Mannschaft der Stunde in der Zweiten Liga. Kein Klub hat in der Rückrunde mehr Punkte geholt, die Bilanz aus acht Spielen lautet sieben Siege und ein Unentschieden. Wer neun Spiele vor dem Ende so gut in Form ist, gilt automatisch als erster Aufstiegsanwärter.

Oh Mist, ich habe als bekennender (Gesamt)Berliner zwei Schals im Schrank, den von Union und den von Hertha. Wohin am Samstag, nach Charlottenburg oder nach Köpenick?

schreibt NutzerIn hotte_sommer

Seit 13 Jahren ist der Klub, der am 25. Spieltag Tabellenführer war, am Ende auch stets aufgestiegen. Allerdings muss Union in den nächsten Wochen noch bei den direkten Konkurrenten Hannover, Stuttgart und Braunschweig antreten. Immer auswärts, was ein Nachteil ist. Zu Recht erwartet Trainer Jens Keller ein Fotofinish, womöglich könnte am Ende sogar ein Tor über die Klassenzugehörigkeit entscheiden. Die ersten beiden steigen direkt auf, der Dritte muss in die Relegation gegen den Drittletzten der Bundesliga.

Warum wäre ein Bundesliga-Aufstieg des 1. FC Union etwas Besonderes?

Die Bundesliga wäre um ein reiselustiges Völkchen reicher, das wäre schon mal sicher. Einen ersten Ausblick gaben die Berliner schon beim DFB-Pokal-Spiel bei Borussia Dortmund. Im Oktober begleiteten 11.000 komplett in Rot gekleidete Unionfans ihren Klub an einem Mittwochabend nach Dortmund. Die Lust auf die höchste Spielklasse ist verständlich, nie konnte Union in seiner 51 Jahre langen Vereinsgeschichte den Sprung in die Bundesliga schaffen. Union verstand sich immer als Klub der kleinen Leute, der im Sportfördersystem der DDR benachteiligt wurde. So entstand eine Wir-gegen-den-Rest-der-Welt-Mentalität, die auch nach der Wende immer stärker kultiviert und gepflegt wurde.

Union gibt sich gerne anders, bei Fragen zur strategischen Ausrichtung werden nicht selten vorher die Mitglieder um ihr Einverständnis gebeten. Als der Klub vor Jahren kein Geld hatte, packten die Fans mit an und renovierten ihr Stadion in Eigenregie. In der Halbzeitpause wird Indierock gespielt und der Stadionsprecher liest letzte Grüße an verstorbene Fans vor, Pfiffe gegen die eigene Mannschaft sind verpönt und seit Jahren nicht zu hören. Mit „Fußball pur“ wirbt der Verein, das Stadion im Berliner Stadtteil Köpenick, die Alte Försterei, verfügt prozentual gesehen über die meisten Stehplätze unter Deutschlands Stadien. Weil der vorgeschriebene Anteil an Sitzplätzen für einen Bundesligisten zu gering ist, wird es ab der kommenden Saison ausgebaut. Aber natürlich nur so viel wie gerade nötig.

Was würde ein Aufstieg für die Stadt Berlin und den Stadtteil Köpenick bedeuten?

Union auf Augenhöhe mit Hertha, Köpenick ein Fußballrevier wie Schalke oder Leverkusen – „das wäre echt ein Hammer“, sagt Bezirksbürgermeister Oliver Igel (SPD). „Vor zehn Jahren hat Union auswärts gegen Falkensee-Finkenkrug in der Oberliga gespielt.“ Demnächst geht’s vielleicht nach München oder Dortmund. Igel hofft auf einen bundesweiten Werbeeffekt für den Berliner Südostbezirk und mehr politischen Einfluss im Senat. Der Einzug in die Bundesliga würde auch die Diskussion um die schlechte Verkehrsanbindung des Stadions auf Trab bringen. Während nach Heimspielen von Hertha die Fans bequem in wartende S-Bahn-Züge steigen, herrscht bei Union oft das Chaos.

Überfüllte Züge, zugeparkte Nebenstraßen, lange Fußmärsche zum nächsten S-Bahnhof. „Es gibt keine zusätzlichen Busse oder Bahnen“, sagt Igel. Auch die Verknüpfung von Eintrittskarte und Nahverkehrsticket sei bislang am Widerstand der Beteiligten gescheitert. Die lang ersehnte Straßenverbindung nach Marzahn, die Tangentialverbindung Ost, könnte einen Schub erfahren, ebenso wie der Plan, den S-Bahnhof Köpenick zum Regionalbahnhof auszubauen. „Das wäre eine enorme Entlastung, gerade für Fans aus dem Umland.“ Igel wünscht sich auch, dass Union sein Image als Arbeiterverein nicht dem nächstbesten Großsponsor opfert. Bei den Sitzplätzen im Stadion sollte der Verein nur die Mindestanforderungen der Liga erfüllen. „Es passt zu Union, im Stehen zu jubeln“, findet er.

Welche Folgen hätte ein Aufstieg für den Fußball in Berlin?

Berlin leidet traditionell darunter, dass sein Fußball weder nach außen noch nach innen größere Strahlkraft besitzt. In Hamburg, Köln oder München erwärmt sich das Publikum nur bedingt für in Berlin fliegende Fußbälle, und dummerweise bringen die vielen zugereisten Hamburger, Kölner oder Münchner auch noch alle ihren eigenen Herzensklub nach Berlin mit. Ein Derby auf höchstem Niveau aber gäbe Berlin, was sonst nur der schwarz-gelb-blaue Ruhrpott hat und München und Hamburg gerne wieder hätten.

Solange Hertha und Union in unterschiedlichen Liegen spielen, gibt es zwischen ihnen nur virtuelle Konkurrenz. Beide Klubs interessieren jeweils nur spezfische Schichten mit einer zu vernachlässigenden Schnittmenge. Umso größer ist die Faszination, wenn diese beiden völlig unterschiedlichen Fußballkulturen aufeinanderprallen. Klein gegen Groß, Ost gegen West, Sentimentalität gegen Kommerz – das mögen Klischees sein, aber sie heben die sportliche Auseinandersetzung auf ein anderes Niveau, auf dem auch andere Interessenten angesprochen werden. Schon zu Zweitligazeiten stand das Derby im Fokus deutschlandweiter Aufmerksamkeit. Alle vier Spiele waren über die sportliche Bedeutung hinaus Stadtgespräch, die Stadien in Köpenick und Westend jeweils ausverkauft.

Was bedeutet es für Hertha BSC, wenn Union aufsteigt?

Auf den ersten Blick gar nicht so viel – mit der angenehmen Ausnahme vielleicht, ein weiteres Bundesligaheimspiel ausverkauft zu bekommen, was sonst ja nur beim Gastspiel des FC Bayern und Dortmunds der Fall ist. Als Neuling und als der etwas andere Verein dürfte Union in der Stadt vielleicht als das spannendere Ding wahrgenommen werden. Wie lange freilich, das hinge auch vom sportlichen Abschneiden der Köpenicker ab. Da ein Durchmarsch à la RB Leipzig für die Unioner eher unwahrscheinlich ist, dürfte Hertha den Status als Nummer eins in der Stadt aufrechterhalten können. Dafür spricht auch der aktuelle Tabellenplatz fünf der Herthaner in der Ersten Liga. Und wenn es um die Talentgewinnung in der Region geht, sind RB Leipzig und der VfL Wolfsburg für Hertha die größeren Konkurrenten.

Vermutlich könnte Hertha sogar profitieren von einem Aufstieg der Unioner, da sich in der Stadt viele Fußballfreunde ohne echte Klubzugehörigkeit aufgefordert fühlen könnten, sich zu bekennen. So war es zuvor auch in München, Hamburg, Stuttgart und Köln, als diese Städte jeweils zwei Mannschaften zeitgleich in der Bundesliga hatten. Und diese Abgrenzungen haben sich dort auch zum Teil bis heute gehalten.

Welche Perspektive hätte Union in der Bundesliga?

Die Verantwortlichen betonen seit Jahren, dass sich der Klub eigentlich in der Zweiten Liga verankert sieht. Ein möglicher Aufstieg wird als eine Art Abenteuerausflug deklariert. Strategisch gesehen macht das Sinn, so soll die Erwartungshaltung von vorneherein gedämpft werden. Nach dem Motto: Wenn wir wieder absteigen, ist das auch nicht schlimm. Aber natürlich ist das nur die halbe Wahrheit. In den vergangenen Jahren wurden Schritt für Schritt Vorkehrungen getroffen, um Union dauerhaft im Kreis der Bundesligisten zu etablieren.

Die wirtschaftliche Situation ist nach dem Chaos der Nullerjahre inzwischen solide. Schulden sind größtenteils abgetragen und ein Pool an kleineren und mittelgroßen Unternehmen gibt dem Verein einen festen Unterbau. Im Falle eines Aufstiegs würden wohl 17 bis 20 Millionen Euro Etat zur Verfügung stehen. Sportlich gesehen würde Union mit diesen Mitteln als Abstiegskandidat gelten. Die Mannschaft müsste auch dringend verstärkt werden, fünf bis sechs gestandene Fußballer sollten es mindestens sein. Denn kaum ein Spieler des aktuellen Kaders verfügt über Erfahrung in der Bundesliga.

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