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Der Kurfürstendamm ist Berlins bekanntester Boulevard. Der Tagesspiegel wirft einen Blick hinter die Fassaden. Wir stellen die Bewohner des Hauses Nummer 73 vor.

© Kitty Kleist-Heinrich, Thilo Rückeis, Mike Wolff

125 Jahre Ku'damm (5): Dreieinhalb Kilometer pures Vergnügen

Der Ku'damm: Glanzvolle Amüsiermeile oder anrüchiges Pflaster? Schon vor 100 Jahren war man sich da nicht einig. Wir werfen einen Blick hinter die Fassaden, heute hinter die des Hauses Nummer 73.

Attraktionen hatte der Lunapark viele: die Berg- und Talbahn, die Wasserrutsche, das Spiegelkabinett, ein Karussell. Doch dieses metallene Ding, das sie 1926 in Betrieb nahmen, gleich hinterm Eingangsbereich zum See runter, das war eine Sensation. Bewegte sich und kam doch nicht vom Fleck. Transportierte Menschen von einem Ort zum anderen. Rolltreppe nannten sie es. Die allein schon lohnte den Eintritt.

Drei Jahrzehnte lang war der Lunapark der Vergnügungspark Berlins. Am westlichen Ende des Kurfürstendamms gelegen, Hausnummer 124a, selbst unter der Woche kamen 50 000 Besucher pro Tag. 1909 gegründet, lockten zunächst Fahrgeschäfte, Restaurants, Revuen, später kam ein Wellenbad hinzu, Max Schmeling boxte hier seinen ersten Titelkampf.

Ständig beschwerten sich Anwohner. Zum Beispiel über Lärm

Wer heute an den Kurfürstendamm des frühen 20. Jahrhunderts denkt, dem kommen Bilder von Glanz und Glamour in den Sinn. Auch von Ausschweifungen, aber die hatten Niveau. Und so schwingt oft der Vorwurf mit, dass es inzwischen leider nicht mehr so sei und dass sich das Nachtleben rund um den Boulevard in Saufdiskos und Striplokale verlagert habe. „Dabei wurde schon vor 100 Jahren darüber gestritten, ob das Gebotene nun gehaltvolles Vergnügen sei oder billiger Nepp“, sagt Johanna Niedbalski. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsprojekt „Metropole und Vergnügungskultur“ an der Freien Universität und hat sich intensiv mit dem Lunapark beschäftigt.

Dessen Betreiber hatte ständig mit Anwohnerbeschwerden zu kämpfen. Zum Beispiel über den Lärm: Motoren der Fahrgeschäfte mussten schallisoliert werden, neben der Berg- und Talbahn wurde eine Lärmschutzwand hochgezogen und das sogenannte „Negerdorf“, in dem mehrere Dutzend Somalis Stammesleben in der Wildnis nachspielten, sollte auf die großen Pauken verzichten. Das Wellenbad wurde zwar für seine innovative Schaufelradtechnik gefeiert, aber von Sittenwächtern als „Nuttenaquarium“ geschmäht. Als ein Kilometer östlich am Kurfürstendamm, auf einer Freiluftbühne mit riesigem Wasserbecken, „Der Untergang von Pompeji“ aufgeführt und der Ausbruch des Vesuvs allabendlich mit spektakulärem Feuerwerk dargestellt wurde, lautete die vorherrschende Kritikermeinung: Das nervt die Nachbarn!

Unterhaltungsangeboten breitete sich auch die Prostitution aus

Die Ansiedlung der Musikpavillons, Tanzpaläste und Kegelbahnen entlang des Kurfürstendamms hatte kurz nach der Jahrhundertwende eingesetzt, die Meile trat damit in direkte Konkurrenz zur Friedrichstraße, der bis dahin unangefochtenen Vergnügungsadresse der Stadt. Mit den Unterhaltungsangeboten breitete sich auch die Prostitution aus. Frauen warteten in Salons, Männer eher auf dem Bürgersteig.

Noch stärker prägten aber die neuen Lichtspielhäuser den Charakter der Straße. 1913 eröffnete der „Union-Palast“ an der Hausnummer 26 mit seiner säulenbestückten Tempelfassade, 850 Besucher fanden Platz. Erst später benannte sich das Haus in „Filmbühne Wien“ um. Im selben Jahr begann auch das Marmorhaus mit ersten Vorführungen, später kamen Astor und Gloria-Palast hinzu. 1922 wurde im gerade eröffneten Alhambra der weltweit erste Tonfilm gezeigt – und vom Feuilleton überwiegend verrissen. Man fürchtete, die moderne Technik könne das Ende des Mediums Film einläuten. Die Stars der Ufa-Zeit waren ständig auf dem Kurfürstendamm zu Gast: Die Uraufführungen hier entschieden darüber, ob eine neue Produktion es überhaupt in die kleineren Städte schaffte.

Aus der Distanz eines Jahrhunderts wirkt vieles skurril

Die meisten Lichtspielhäuser sind längst verschwunden, teilweise zerstört im Weltkrieg, teilweise pleitegegangen, von Jeansketten übernommen, als Hotelrestaurants umgenutzt. In der ehemaligen Filmbühne Wien soll noch dieses Jahr ein Apple-Store eröffnen. Die heutige Astor-Filmlounge, das Luxuskino mit verstellbaren Sitzen und Beinfreiheit, liegt einige Meter neben dem alten Astor. Der Lunapark musste schon 1933 schließen, aber nicht, wie oft behauptet, auf Anordnung der Nazis. Dem Inhaber war schlicht das Geld ausgegangen, es fanden sich nicht mehr genug Neugierige ein, deren Eintritt dieses Monster von Vergnügungspark am Leben erhalten hätte. Wer Überbleibsel des Geländes sucht, wird enttäuscht: Die Halenseestraße wurde darübergebaut, die Stadtautobahn ebenfalls, alle Häuser ringsum sind Neubauten.

Aus der Distanz eines Jahrhunderts wirkt vieles skurril: die Völkerschauen, die Hungerkünstler, die körperverbiegenden Artisten, sicher auch die Beliebtheit der Militärkapellen. Doch manches kommt einem seltsam vertraut, ja fast aktuell vor. Schon damals beschwerten sich einige, dass Vergnügungsangebote vor allem Touristen anlockten – und diese dann das Stadtbild dominierten. „Berlin gehört den Fremden“, schrieb Alfred Kerr, und die Skeptiker konnten sich nicht einigen, welche Fremden mehr störten – die aus anderen Ländern oder die aus der Provinz. Selbst die Inhalte der aufgeführten Revuen klängen für heutige Ohren gar nicht so fremd, sagt der Berliner Historiker Tobias Becker. Ein beliebtes Thema waren die zahllosen Baustellen der Zeit: In der Innenstadt gebe es so viele Löcher und Schutthalden, hieß es in einem Lied, da könne man einen Spaziergang durch Berlin praktisch nur mit alpiner Kletterausrüstung bestehen.

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