zum Hauptinhalt
Klipp

© Andreas Klaer

20 Jahre Mauerfall: Revolution gegen den Abriss

Matthias Klipp engagierte sich vor der Wende in der Opposition gegen die SED 1990 wurde er Baustadtrat in Prenzlauer Berg. Heute arbeitet er für Potsdam.

Irgendwie hatte er vor 20 Jahren ein mulmiges Gefühl: Als am Abend des 9. November 1989 die Mauer aufging, fuhr Matthias Klipp mit Freunden zur Chausseestraße, passierte den Grenzübergang, trank ein Bier in der neuen Freiheit – und machte sich dann sicherheitshalber doch gegen zwei Uhr morgens auf den Weg zurück. Weil er Angst hatte, dass die Mauer wieder zugemacht würde. „Ich wollte nicht weg aus Prenzlauer Berg und der Oderberger Straße“, sagt der Diplomingenieur, der damals Ende 20 war: „Denn auf diesen Prozess hatten wir jahrelang hingearbeitet.“

Wenn Klipp Politik gemacht hat, dann hatte das immer etwas mit den Themen Wohnen, Bau und Stadtentwicklung zu tun. Und mit der Frage, wie Menschen leben wollen. Vor der Wende hat er sich deshalb in der Bürgerinitiative Oderberger Straße engagiert – gegen die Abrisspläne, mit denen in Prenzlauer Berg die alte Bausubstanz beseitigt werden sollte.

Auch in seinem neuen Büro hängen Baupläne – und Fotos von Potsdams Mitte. Seit September ist Klipp dort Beigeordneter für Stadtentwicklung und Bauen, in Berlin hieße die Funktion also Stadtrat. „Ich habe mich gezielt auf diese Stelle beworben“, sagt der 48-Jährige, „weil sich in keiner anderen Stadt in den nächsten Jahren so faszinierende Aufgaben stellen.“ Der neue Beigeordnete sieht etwas müde aus, vor allem in den Augen – das Einarbeiten kostet Kraft.

Aber unbequemen Aufgaben ist Klipp noch nie aus dem Weg gegangen, auch nicht in den Monaten vor der Wende, in denen er viel gelesen hat – vor allem in den Gesetzen der DDR. Und dabei zusammen mit seinen Mitstreitern von der Arbeitsgruppe des Friedenskreises der Gethsemanekirche auf „ein paar Lücken“ im DDR-Wahlgesetz stieß, die er für sich nutzte: Denn laut Wahlgesetz konnten die sogenannten Wohnbezirksausschüsse (WBA) der Nationalen Front, die es in jedem Viertel gab, eigene Kandidaten für die Kommunalwahlen aufstellen. In der Nationalen Front saßen unter Führung der SED die anderen Parteien und Massenorganisationen der DDR. „Die beste Provokation war immer, die alten Genossen beim Wort zu nehmen“, sagt Klipp. Dann seien die „völlig von der Rolle gewesen“. Den damaligen Wohnbezirksausschuss muss man sich als eine Ansammlung von älteren Männern vorstellen, die erstaunt zusahen, wie Klipp und seine Mitstreiter den WBA übernahmen: „Das war ja auch ein Generationenkonflikt.“ Im WBA aktiv zu werden, habe ihm damals viel Spaß gemacht. Und die Frauen seien die schönsten Prenzlauer Bergs gewesen, scherzt er heute.

Obwohl die SED ihm mit Repressionen und sogar mit fünf Jahren Gefängnis wegen staatsfeindlicher Hetze drohte, ließ sich Klipp von seinem WBA für die Kommunalwahlen am 7. Mai 1989 aufstellen: „Ich habe die Sache eben penetrant durchgezogen.“ „So nicht“, stand damals auf seinem Wahlplakat. Darüber waren die drei Affen abgebildet, die nichts sehen, nichts hören und nichts sagen. Der Oppositionskandidat war erfolgreich, wurde in die Stadtbezirksversammlung Prenzlauer Bergs gewählt und engagierte sich – natürlich – in der ständigen Kommission Bauwesen. Zwei Ziele hatte er damals: die Themen Sanierung und Stadterneuerung auf die Tagesordnung zu bringen. Und die Wahlfälschungen bei den Kommunalwahlen aufzudecken – wofür er in der Stadtverordnetenversammlung teilweise niedergebrüllt wurde. Dem Oppositionsabgeordneten gelang es, den Abriss in Prenzlauer Berg zu stoppen. „Obwohl das sicher auch mit der ökonomischen Schwäche der DDR zu tun hatte“, sagt Klipp heute.

Nach der Wende hat er sich weiter politisch engagiert – und auch das Kürzel WBA blieb erhalten. Und stand nun für die Initiative: Wir bleiben alle. Als nunmehr bündnisgrüner Baustadtrat setzte Klipp in Prenzlauer Berg in den neunziger Jahren Ziele der behutsamen Stadterneuerung durch: Zu dieser Zeit wurden die ersten Häuser instandgesetzt. „Es war ein Stück weit auch mein Verdienst, Konsens über die Ziele der behutsamen Stadterneuerung herzustellen“, sagt Klipp, also die Abwägung zwischen städtebaulichen und sozialen Zielen.

Baustadtrat in Prenzlauer Berg war Klipp bis 1996 – dann wechselte er zur Landesbank Berlin, später in die privateWirtschaft. In Potsdam will Klipp nun jedes Jahr 1000 neue Wohnungen bauen lassen. Und damit auch in seiner neuen Position eine Balance zwischen städtebaulichen und sozialen Zielen hinbekommen. Für seinen Traumjob ist er aus Prenzlauer Berg weggezogen, nach Potsdam. Das städtische Leben in seinem alten Kiez und die Infrastruktur fehlen ihm – und auch, dass dort um 23 Uhr noch nicht die Stühle hochgeklappt werden: Einen neuen Lieblingsort hat Klipp in Potsdam aber schon: „Ich setze mich gerne vor das Schloss Babelsberg und schaue auf die Glienicker Brücke.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false