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Ost-West-Verbindung. Die Oberbaumbrücke verbindet die Party-Zonen in Friedrichshain und Kreuzberg 36.

© picture alliance / dpa

25 Jahre Deutsche Einheit (3): Vorglühen am Oberbaumeck

Zu Mauerzeiten hat sich Margit Greller gegruselt, wenn sie spät heim kam, so leer war es hier. Heute ist es ihr zu voll. Ihre Kneipe gibt es nun trotzdem nicht mehr. Der dritte Teil unserer Serie zur deutschen Einheit.

Neulich war der Enkel zu Besuch. „Oma, ich geh mal rüber und hol mir einen Burger“, hat er gesagt, „willst du auch einen?“ Margit Greller lacht. 27 Jahre lang hat sie in ihrer Kreuzberger Kneipe Oberbaumeck hausgemachte Bouletten serviert, und jetzt einen Burger? Na, so weit kommt’s noch, „ich kann dieses labbrige Weißbrot nicht leiden“.

Also ist der Enkel allein auf die Mittelinsel unter der Hochbahn zu dem grünen Pavillon, von dem Margit Greller noch gut weiß, dass er mal eine öffentliche Toilette war. Links für die Damen, rechts für die Herren. Heute stehen die Leute rund um die Uhr Schlange beim Burgermeister und vertreiben sich die Wartezeit mit dem Leeren von Bierflaschen. Die Leute sprechen Englisch, Italienisch, Spanisch und manchmal auch Deutsch, wenn sie denn zu verstehen sind beim Lärm der Musik aus den miteinander wetteifernden Mobiltelefonen. „Ist eine andere Welt geworden“, sagt Margit Greller, aber das sei auch ganz schön, „hier ist immer was los. Wenn ich früher spät nach Hause kam, war kein Mensch auf der Straße und ich hab’ mich schon ein bisschen gegruselt. Heute muss ich auf dem Bürgersteig Slalom laufen, so voll ist es hier.“

Es ist schwierig, eine schönere Brücke in Berlin zu finden

28 Jahre lang stand die Zeit am Schlesischen Tor still. Dann fiel die Mauer, und seitdem rast die Uhr hier mit einem Tempo, als plane sie mit ihren Zeigern eine Karriere als Ventilator auf der überhitzten und längsten Partymeile der wiedervereinigten Stadt. Am Schlesischen Tor stößt Friedrichshain auf Kreuzberg, alle feiern zusammen und wissen kaum mehr, dass es mal eine Zeit gab, in der sie nicht zusammengehörten. Hier der rebellische Teil Kreuzbergs namens SO 36, dort die Warschauer Straße mit angesagten Ausgehquartieren wie dem RAW-Gelände und der Simon-Dach-Straße. Und in der Mitte als Verbindungsstück eine Brücke aus rotem Backstein mit Türmen und Zinnen, es ist schwierig, eine schönere in Berlin zu finden.

Bis 1989 döste auf der südwestlichen Seite die alternative Szene, und auf der nordöstlichen standen die Grenzsoldaten. Auf der Fahrbahn der Oberbaumstraße im Westen spielten Kinder, am Ende der Brücke im Osten versperrte eine Grenzbaracke den Weg. Heute steht die Oberbaumbrücke im Wappen des Fusionsbezirks Friedrichshain-Kreuzberg und als Symbol für ein Berlin, das niemals schläft, jedenfalls nicht in der Nacht.

Margit Greller hat hier früher das Oberbaumeck geführt, schräg gegenüber vom Burgermeister an der Bevernstraße. Bis zum 9. November 1989 lief das Geschäft bescheiden. Um die 20 Stammgäste sicherten das Überleben, fast alles ältere Leute. Laufkundschaft gab es kaum, „denn es hat sich ja keiner hierher verirrt“, mal abgesehen von den Touristen, „die kamen in Bussen und trauten sich nicht auszusteigen, weil ihnen zu Hause eingetrichtert wurde, wie gefährlich das in Kreuzberg sei. Die haben uns aus dem Bus heraus fotografiert, und wir kamen uns vor wie im Zoo.“

Es kamen vor allem Rentner. Die wollten aufs Klo oder eine West-Zeitschrift

Farbtupfer eines Alltages, der im Rückblick trotz aller Idylle als so grau empfunden wird, wie damals die Brücke daherkam. Die filigranen Türmchen hatten im Krieg schweren Schaden erlitten. Die U-Bahn fuhr noch ein paar Jahre von der Warschauer Straße hinüber nach Kreuzberg, nach dem Mauerbau diente die Oberbaumbrücke nur noch als Grenzübergang. Es waren vor allem Rentner, die von Ost nach West kamen und in Margit Grellers Kneipe eine erste Anlaufstelle fanden, „aber die hatten ja kein Geld und wollten meist nur auf die Toilette gehen oder eine West-Zeitschrift haben“. Also rang die Wirtin sich dazu durch, das Oberbaumeck aufzugeben. Bis Günter Schabowski seinen Zettel aus der Tasche kramte.

Das Blöde an Klischees ist, dass sie oft wahr sind

Margit Greller führte mehr als 20 Jahre lang das Oberbaumeck am Schlesischen Tor.
Margit Greller führte mehr als 20 Jahre lang das Oberbaumeck am Schlesischen Tor.

© Fabiana Zander

Margit Grellers Erinnerungen aus diesen Tagen nach dem 9. November 1989 gleichen denen vieler Berliner. Die zahllosen Männer und Frauen und Kinder, die auf einmal da waren. Bevor sie mit der U-Bahn vom Schlesischen Tor Richtung Zoo fuhren, kamen sie erst mal ins Oberbaumeck und verjubelten ein bisschen von dem Begrüßungsgeld, das sie nebenan ausgezahlt bekamen – „da, wo jetzt das Internetcafé ist, war früher eine Bank, da haben die angestanden, also ich hab’ noch nie so viele Menschen gesehen.“ Bouletten, Bier und Schnaps gingen großartig, „vor allem Jägermeister und Kümmerling, so was gab’s drüben ja nicht“. Margit Greller öffnete jeden Tag früh um neu und schloss erst nach Mitternacht. Wenn sie mal vor die Tür ging, sah sie die Karawanen von Ost und West marschieren, aber auch von West nach Ost, „alle beladen mit Elektrogeräten und Obst, vor allem Bananen“. Das Blöde an Klischees ist, dass sie oft wahr sind.

Wie lange der Boom anhielt? „Schon ein paar Jahre“, sagt Margit Greller, es gab auch ein paar neue Stammgäste, aber irgendwann war der Reiz des Neuen verblasst. Die Brücke bekam ihre Türme zurück, die U-Bahn wurde wieder zur Warschauer Straße verlängert. Wer aus Friedrichshain Richtung Zoo wollte, musste nicht zu Fuß und vorbei am Oberbaumeck zum Schlesischen Tor laufen. Bald fuhren auch die Autos wieder über die Oberbaumbrücke, gegen den erbitterten Widerstand vieler Anwohner, die keine Lust auf Abgase hatten und ihre lieb gewonnene Ruhe bedroht sahen. Margit Greller schüttelt den Kopf. „Ich hab’ gesagt: Kinder, freut euch doch, dass hier mal ein paar Leute vorbeikommen!“

Wie heißt das noch mal? Ach ja: vorglühen

Die Leute kamen und mit ihnen eine neue Geschäftswelt. Designer, Second- Hand-Läden, Cafés. Die Gegend wurde bunt und bunter und irgendwann zu bunt für die alte Kneipe. Auf beiden Seiten der Oberbaumbrücke öffneten beinahe täglich neue Clubs, und sie zogen ein Publikum an, das wenig Wert legte auf hausgemachte Bouletten und frisch gezapftes Schultheiss. Immer häufiger stand Margit Greller allein im Oberbaumeck. „Heutzutage ziehen die jungen Leute ja oft erst um Mitternacht los. Und … wie nennt man das noch mal, wenn sie sich schon zu Hause betrinken, bevor sie in die Clubs gehen? Ach ja, vorglühen!“

Vor zehn Jahren ist Margit Greller ausgestiegen, ihr Sohn hat die Kneipe noch bis 2008 weitergeführt, aber irgendwann lohnte es einfach nicht mehr. Vor ein paar Wochen hat sie ihren 83. Geburtstag gefeiert und wohnt immer noch am Schlesischen Tor. „Bitte nicht falsch verstehen, aber das ist nicht mehr meine Welt.“ Das Oberbaumeck ist jetzt eine Fußballkneipe, sie hat noch nie einen Fuß reingesetzt. „Warum auch, ich würde ja doch keinen kennen. Es gibt ja hier in der Gegend kaum noch Leute von früher, dafür unglaublich viele junge Leute aus allen Gegenden der Welt. Und diese Restaurants überall, so viel kann doch kein Mensch essen: vietnamesisch, türkisch, italienisch, spanisch und wieder vietnamesisch.“

Der größte Andrang aber herrscht beim Burgermeister. Auf der Mittelinsel unter der Hochbahn in dem grünen Pavillon, der früher mal eine öffentliche Toilette war, wo Margit Grellers Enkel so gern hingeht, wenn er zu Besuch kommt. Beim letzten Mal stand er schon nach fünf Minuten wieder vor ihrer Tür. Ohne Burger. „Was denn, hast du keinen Hunger?“, hat sie gefragt. „Doch, aber ich hab’ eine Wartemarke gezogen. Ich bin in einer Viertelstunde dran.“

Den ersten Teil der Serie über den Savignyplatz lesen Sie hier.

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