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Berlin: 280 Hipp-Hipp-Hurras auf die neue Freundschaft

Heute empfängt der Kanzler die letzte Gruppe von Jugendlichen aus New York, die von den Anschlägen des 11. September betroffen sind. Sponsoren wollen weitermachen

Deutschland? Dass man dort deutsch spricht, war alles, was der 17-jährige David aus Brooklyn, New York, vor einem Monat von diesem Land wusste. Jetzt steht er im Roten Rathaus und strahlt: „Ich fühle mich wie ein hoch geehrter Gast“, sagt er. David ist einer von 280 New Yorker Jugendlichen, die in diesen Tagen auf Einladung des Bundeskanzlers in der Stadt sind. Bei seinem ersten Besuch in New York nach den Anschlägen vom 11. September hatte Gerhard Schröder spontan 1000 Jugendliche nach Deutschland eingeladen. Viele große Unternehmen, wie Daimler- Chrysler, Lufthansa und Telekom unterstützen ihn bei der Aktion „The Bridge New York-Berlin“. Die 280 Schüler, die heute im Bundeskanzleramt empfangen werden, bilden die vorerst letzte Gruppe und sprühen nur so vor Lebenslust. In ihren Gastfamilien haben sie über Ostern in verschiedenen deutschen Regionen Erfahrungen gemacht, mit denen sie nie gerechnet hatten.

Allison hatte erst Angst, in dieses fremde Land zu kommen und sich auch vor den Gastgebern etwas gefürchtet. Und dann das: ein Osterfeuer im Garten. Ein Barbecue. Eine gigantische Eiersuche. Am Ende musste die 17-Jährige, die Tierärztin werden will, weinen, als sie sich verabschieden sollte.

Bill Salzman, Direktor der Central Park Prep School in East Harlem, hat auch frühere Gruppen schon als Chef-Betreuer begleitet und kennt das Phänomen: „Am Anfang sind sie eher furchtsam und dann löst sich alles in Begeisterung auf, neue Freundschaften entstehen, bleibende Verbindungen. Diese Erfahrung hat ihn immer wieder besonders berührt. Er hat eine Botschaft vom New Yorker Bürgermeister Michael Bloomberg für den Bundeskanzler mitgebracht. Das Programm war ein solcher Erfolg, dass die New Yorker nun ihrerseits deutsche Schüler einladen wollen. Die Sponsorensuche ist bereits voll im Gang.

Matthias Kleinert, Berater des Daimler- Chrysler-Vorstandsvorsitzenden, hat die Gruppen von Anfang an begleitet und ähnliche Erfahrungen gemacht. Der gebürtige Berliner hat auch manche lustige Situation mit den Kids erlebt, zum Beispiel in München, als er bei einem Empfang seine Jodelkünste vorführte und junge New Yorker mit bayerischen Vorfahren plötzlich anfingen, Schuhplattler zu tanzen. Das ist das Anekdotische. Das Wichtige sind die dauerhaften persönlichen Freundschaften, die die tiefe Verwurzelung der deutsch-amerikanischen Freundschaft wieder stabilisieren. Angesichts der Anfälligkeiten, denen diese Freundschaft in der jüngeren Vergangenheit ausgesetzt war, kann man aus Sicht seines Unternehmens die Bedeutung von Kommunikation und Verständigungsbrücken zwischen den nachwachsenden Generationen überhaupt nicht hoch genug einschätzen. Deshalb will Kleinert heute beim Kanzler unbedingt für eine Fortsetzung des Programms werben: „Die Welt kann nur sicherer werden, wenn wir junge Menschen zusammenbringen.“

Könnte sie sich vorstellen, so auch mal in ein arabisches Land zu reisen? Die 17-jährige Kawauna aus Staten Island schüttelt den Kopf. „Nein, da hätte ich Angst.“ Deutschland war für sie eine schöne Erfahrung, aber, was den Terrorismus betrifft, fürchtet sie, „der wird immer schlimmer werden“. „Aber er kann minimiert werden“, glaubt die 17-jährige Daphne aus Harlem, die mit eigenen Augen die Türme hat zusammenstürzen sehen und zuerst an einen gigantischen Scherz glaubte, eine Sinnestäuschung. Aus ihrer Sicht krankt vieles daran, dass die Medien nicht die Wahrheit sagen und die Politiker auch nicht: „Politiker sagen immer nur Sachen, die gut klingen. Das muss sich ändern.“ Nur durch eine Verpflichtung zur Wahrheit durch eigenes Nachforschen und Sehen können Unwissenheit und Vorurteile überwunden werden, glaubt das ernsthafte junge Mädchen, das Ärztin werden will. Wie die meisten Kids ist sie zum ersten Mal in Deutschland und fand alles viel schöner, als sie gedacht hatte: „Die Schlösser, die Hügel, die alten Klöster, das ganze Grün…“

„Und dass alles so sauber und ruhig ist“, ergänzt Joseph. Der 17-Jährige geht in Manhattan zur High School, 15th Street, Ecke 6th Avenue. Seine Schule wurde hart getroffen am 11. September 2001, allein neun Ehemalige sind unter den Opfern, viele Familienmitglieder von Mitschülern. Von seinen Altersgenossen ist er am optimistischsten. Ja, er glaubt, dass Terrorismus überwunden werden kann: „Ich sehe schon jetzt Verbesserungen.“ Bei den nächsten Wahlen wird er 18 sein und einen neuen Präsidenten mitwählen. Er ärgert sich über alle Panikmache, „wenn die Medien uns einreden wollen, nicht rauszugehen. Das wollen die Terroristen doch nur erreichen.“ Er ist zum ersten Mal außerhalb seines eigenen Landes, und die Erfahrung ist für ihn beeindruckend: „Ich fühle mich hier so gut wie zu Hause. Fast noch sicherer.“ Sein Vater ist 50 Jahre alt und hat es nie geschafft, in ein anderes Land zu kommen. Das nächste Mal will er ihn mitbringen. Und ja, anders als viele seiner Gefährten könnte er sich vorstellen, eine solche Jugendbrücke auch mal in ein arabisches Land mitzumachen.

„Jetzt ist es vielleicht noch zu früh“, sagt Bill Salzman, der Chefbetreuer, dessen Vorfahren 1880 aus Süddeutschland in die USA aufbrachen. „Aber wir werden weitere Austauschprogramme brauchen, um Vertrauen, Kommunikation und Solidarität zwischen Jugendlichen zu schaffen.“ Er kann sich gut vorstellen, spätestens in fünf Jahren so etwas mit Afghanistan zu machen. „Wenn wir nur Sponsoren finden.“ Viele seiner Schüler sind Muslime. Die mit jungen Menschen aus der arabischen Welt zusammenzubringen, könnte ein erster Start sein.

Das Büfett mit deutschen Spezialitäten aus dem Restaurant „Oma Mina“ ist vertilgt, Wirtschaftssenator Harald Wolf hat in Vertretung des Regierenden Bürgermeisters an die Luftbrücke erinnert und an den Kennedy-Besuch. Matthias Kleinert dirigiert noch einmal ein kräftiges „Hipp Hipp Hurra“, das die Kronleuchter ernsthaft zum Klirren bringt. Kleine Schülergruppen drücken jedem externen Gast ihre Kameras in die Hand, um Erinnerungsfotos zu bekommen. „Es ist alles so großartig hier“, seufzt Damilola aus der Bronx. Die 16-Jährige ist ebenfalls davon überzeugt, dass der Terrorismus überwunden werden kann. „Es braucht eine Menge Hoffnung“, sagt sie. „Aber damit kann man alles überwinden.“

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