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Berlin: 75 Tagesspiegel-Leser erlebten in der Westend-Villa des Mosaik-Verlages, wie die Abenteuer von Abrax, Brabax und Califax entstehen

Comiczeichner haben Geheimnisse. Jörg Reuter beispielsweise will partout nicht verraten, weshalb sich die Ratte mit der kessen Schnauze zu den Abrafaxen gesellt hat.

Comiczeichner haben Geheimnisse. Jörg Reuter beispielsweise will partout nicht verraten, weshalb sich die Ratte mit der kessen Schnauze zu den Abrafaxen gesellt hat. "Im Heft 200 war sie plötzlich da", sagt er und überlegt. "Oder war es vielleicht Nummer 201?" Und es kann sich auch niemand in der Westend-Villa des Mosaik-Verlages an der Lindenallee 5 erinnern, woher sie kam. Seither nimmt die graue Weggefährtin an jedem Abenteuer der drei pfiffigen Gesellen Abrax, Brabax und Califax teil, aber selbst den eifrigsten Lesern ist es bisher nicht gelungen, das Rätsel zu lösen. Obwohl Fanklubs regelmäßig den Verlag durchstöbern. Dann suchen sie in den Papierkörben der Zeichner nach Skizzen, um den Werdegang einer neuen Figur zu erforschen.

Dieser Tage bekamen die Comic-Zeichner und Autoren ungewohnten Besuch: 75 Tagesspiegel-Leser erlebten im Rahmen unserer Serie "Berlins geheime Orte" aus erster Hand, wie Comicgeschichten entstehen. Redaktionschef Jörg Reuter führte sie durch den Verlag. Ein Mann mit Erfahrung, schließlich arbeitet er seit zwei Jahrzehnten für die Abrafaxe - jene Cartoon-Serie, die in der DDR die Nummer 1 war. "Mosaik" heißt das Heft, dessen Helden mit den Knubbelnasen schon in den 50er Jahren als Alternative zur Disneyworld geboren wurden. Digedags nannte man das Trio bis 1976 - danach Abrafaxe. Als solche bestanden sie als einzige ostdeutsche Comic-Serie das Abenteuer Marktwirtschaft. Heute gelten sie als beliebteste deutsche Serie.

Ein Erfolg, der aus dem Computer kommt? Ganz und gar nicht, die Reisen der Abrafaxe rund um die Welt werden in Handarbeit gezeichnet. Nur die Farbe bringen Graphiker mit einem Kolorierungsprogramm elektronisch aufs Papier. Die Zeichner sitzen also in einer Stube und gestalten jedes Bild mit Pinsel und Tusche. Dabei wandert es reihum, denn es gibt Spezialisten für Landschaften und solche für bestimmte Figuren. Das macht Sinn, denn wer beispielsweise den cholerischen Chef de cuisine im "Orient-Express" fortlaufend darstellt, wird sein engster Vertrauer. Thomas Schiewer hat den Part in diesem neuesten Abenteuer übernommen. Er weiß, wie seinem wütenden Koch die Mütze hochgeht und bewahrt so den Charakter der Figur in unterschiedlichsten Situationen, zumal sie für jede Sequenz neu gezeichnet wird. Hätte Schiewer nicht den Walkman auf, während er Tusche über vorgezeichnete Bleistiftlinien zieht, es wäre ein Bild wie vor vierzig Jahren.

"Alle Szenen sind Teamarbeit", erklärt Reuter. Manche Doppelseite braucht drei Tage, bis die Mannschaft zufrieden ist, denn Comiczeichner haben ihre Leidenschaft zum Beruf gemacht. Zuvor allerdings brauchen sie ein Drehbuch und die Regie - wie beim Film. Und für beides ist ein guter Autor nötig. Er denkt sich die Story aus und schreibt die Texte. Zum Beispiel Yousif-Al-Chalabi, zuständig für die Reise im Orient-Express. Er setzt seine Ideen in Scribbles um und gibt vieles vor: die Straße - in der Totale, im Ausschnitt? Die Figur - aus der Frosch- oder Vogelperspektive betrachtet?

Und natürlich müssen die Fakten stimmen. Denn Fans sind kritisch. Jüngst raste der Express ins Unglück, weil ein Verbrecher die Bremsschläuche kappte. Wie sollte die Lok anhalten? Doch der Autor hat sich getäuscht. "Ein solcher Anschlag löste schon damals automatisch die Bremse aus", schrieb ein kundiger Leser.Übrigens: Unsere Serie ist auch als Taschenbuch erschienen: "Geheime Orte - ein ungewöhnlicher Führer", Nicolai-Verlag, 19,80 DM.

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