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775 Jahre Berlin: Vermessen mit militärischer Genauigkeit

Für den "Grundriss von Berlin mit naechster Umgegend" von 1827 wurde die Stadt erstmals exakt vermessen.

Die letzte Folge dieser Serie erscheint am Samstag, 10. November.

Ziemlich genau 600 Jahre nach der Ersterwähnung Cöllns sollte das Mittelalter in Berlin eigentlich Geschichte sein. Nicht an diesem 2. März 1837, als auf dem heutigen Gartenplatz in Wedding die Witwe Charlotte Sophie Henriette Meyer hingerichtet wird. Es ist die letzte öffentliche Vollstreckung der Todesstrafe in Berlin. Das Leben der Angeklagten nahm ein besonders grausames Ende: Erst wurde die verurteilte Mörderin – sie hatte ihrem Ehemann die Kehle durchgeschnitten, um mit ihrem Liebhaber zusammenzuleben – auf einer Kuhhaut zur Richtstätte geschleift, dann gerädert, wobei der Henker ihr von den Füßen aufwärts alle Gliedmaßen zertrümmerte. Auch solche blutigen Geschichten sind mit einem Stadtplan wie dem aus dem Jahr 1827 verbunden: Der „Galgen B.“, korrekt am oberen Rand links der Mitte eingezeichnet, hieß nicht nur so, sondern war noch in Gebrauch – offiziell bis 1842, nur hat man den Galgen zuletzt nicht mehr genutzt. Der Volksfestcharakter, den Hinrichtungen angenommen hatten, widersprach der erhofften abschreckenden Wirkung.

Überhaupt zeichnet sich der „Grundriss von Berlin mit naechster Umgegend“ durch eine zuvor ungewohnte Genauigkeit aus, was jeder feststellen wird, der einen aktuellen Plan daneben legt und Straßenverläufe, Orte und ähnliche Fixpunkte vergleicht. Dahinter steckt militärische Präzision, denn bearbeitet wurde der Plan von den entsprechenden Abteilungen des Königlich-Preußischen großen Generalstabes und danach herausgegeben vom Königlich Preußischen Lithographischen Institut. Waren frühere, und besonders die ganz frühen Stadtpläne durch mangelhafte Methoden oder gar die allzu freie Fantasie des Kartografen verfälscht, so war diesmal exakt gemessen worden, nach dem neuesten Stadt der Technik.

Die Zeichner hatten sogar versucht, die Dreidimensionalität der Stadtlandschaft durch „Bergstriche“ nachzuahmen. Das war eine im 19. Jahrhundert gebräuchliche Methode der Geländedarstellung, auch Schraffen genannt. Besonders der Dresdner Geodät und Kartograf Johann Georg Lehmann (1765–1811) hat es darin zu großer Kunstfertigkeit gebracht. Heute ist dieses kartografische Verfahren längst abgelöst durch das der Höhenlinien.

Der militärisch-amtliche Hintergrund der Karte deutet sich bereits darin an, dass öffentliche Gebäude besonders markant eingezeichnet sind. Der Plan zeigt eine Stadt, die in den vergangenen Jahren erheblich zugelegt hat, der das explosionsartige Aufblähen durch Industrialisierung und Reichsgründung aber noch bevorsteht. Stadtteile wie Luisenstadt, Stralauer Vorstadt und Spandauer Vorstadt sind dazugekommen, die Bevölkerungszahl ist auf etwa 230 000 Menschen gestiegen. Die Millionengrenze wird nur 50 Jahre später übersprungen.

Noch als Relikt aus dem späten 17. Jahrhundert ist die barocke Festungsanlage zu erkennen, die ihre Verteidigungsfähigkeit allerdings nie unter Beweis stellen musste und jetzt allmählich abgebaut wird. Im Westen ist sie schon fast verschwunden, im Osten gibt es sogar noch den Festungsgraben. Die Zollmauer wird dagegen bis in die sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts bestehen. Im Westen, südlich des Pariser Platzes, trennt sie die sogenannten Ministergärten vom Tiergarten. Das „Rondel“ am südlichen Ende der Friedrichstadt heißt mittlerweile „Platz von la belle Alliance“ und erinnert an den Sieg über Napoleon bei Waterloo zwölf Jahre zuvor.

Zu selbem Zweck wurde 1821 auf dem Kreuzberg Schinkels Nationaldenkmal errichtet, das auf der Karte am unteren Rand gut erkennbar ist, wiewohl der Sockel erst in den Jahren 1878/79 folgte. Westlich davon liegt das Dorf Schöneberg mit dem Botanischen Garten, der aus einem kurfürstlichen Hopfengarten hervorgegangen und 1810 der neugegründeten Berliner Universität unterstellt worden war. Um die folgende Jahrhundertwende wurde er nach Dahlem verlagert, und aus dem Schöneberger Garten wurde der heutige Kleist-Park.

Vertraut wird dem heutigen Betrachter auch der „Landwehr-Graben“ im Süden der Stadt vorkommen. Damals war er allerdings nur ein zum Holztransport genutzter Floßgraben. Zum Landwehrkanal wurde die Wasserstraße erst Jahrzehnte später ausgebaut.

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