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DDR-Design: 80.000 DDR-Designstücke lagern in Berlin

Versteckt in einem Berliner Gewerbegebiet lagern 80.000 Designgegenstände aus der DDR. Ein Rundgang durch eine Lagerhalle, die eigentlich ein Museum sein sollte.

Alle 30 Sekunden donnert ein Flugzeug im Landeanflug über die Fertigbau-Hallen. Nirgends ist ein Mensch zu sehen. Wer durch das Gewerbegebiet im Berliner Bezirk Spandau fährt, kommt kaum auf die Idee, dass sich hier einer der außergewöhnlichsten Ausstellungsorte der Republik verbirgt. Nur Eingeweihte finden den Zugang zu der Halle. Nichts erinnert hier an ein Museum, man fühlt sich vielmehr wie in der Selbstbedienungshalle von Ikea, wo sich in riesig hohen Stahlregalen Kisten stapeln.

In diesen Kisten verbirgt sich ein Großteil der Design-Geschichte der DDR. Geschätzt 80.000 Gebrauchsgegenstände und Designobjekte wie Geschirr, Spielzeug, Schreibmaschinen, Hifi-Anlagen, Mikroskope, Möbel gehören zur Sammlung Industrielle Gestaltung. Unter einer Schutzplane ruht ein Wartburg aus den achtziger Jahren, daneben stehen – ebenfalls unter Plastikhauben – mehrere Motorräder. In Regal K lehnen wie auf einem der zahlreichen Nachwende-Trödelmärkte einige Schilder mit Hammer und Sichel, gegenüber stehen mehrere weiß lackierte Holzplatten: der Schreibtisch von Erich Honecker.

Warum sind diese Gegenstände hier versteckt, in einem Gewerbegebiet in der Einflugschneise des Berliner Flughafens? Warum stehen sie nicht in einem Museum?

Seit ihrer Entstehung ist die Design-Sammlung ein Politikum. Ins Leben gerufen hatte sie 1950 der Architekt und Bauhaus-Anhänger Mart Stam. Sie sollte Anregung und Hilfestellung für die Produktgestaltung in den DDR-Betrieben sein. Stams Begeisterung für die Moderne kollidierte jedoch mit den Kulturvorstellungen der SED. Er musste seine Funktionen aufgeben, die Sammlung wurde direkt dem Ministerrat unterstellt. Nach mehreren Umbenennungen hieß sie schließlich Amt für industrielle Formgestaltung.

Nach der Wiedervereinigung 1990 wurde das Amt geschlossen. Die Sammlung wanderte von einem Berliner Museum zum nächsten, doch so richtig wollte sich keiner des umfangreichen Bestands annehmen. Oder keiner konnte es sich leisten. 1993 wurde ein kleiner Teil der Sammlung in der Kulturbrauerei im Prenzlauer Berg ausgestellt, der Großteil lagerte in zwei Außendepots. Erst 2005 erfolgte die Übertragung auf den heutigen Eigentümer, die Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. 2007, als das Dach in einem der beiden Außenlager einzustürzen drohte, sei die Sammlung "in einer Art Notumlagerung" in das Tegeler Depot gebracht worden, sagt Johanna Sänger.

Sie ist die wissenschaftliche Leiterin der Sammlung Industrielle Gestaltung. Als Verantwortliche für das Depot steht die 40-Jährige vor einer Aufgabe, die sie zu Lebzeiten wohl nicht bewältigen wird: Sie und drei Mitarbeiter sind für die Registrierung und Katalogisierung der 80.000 Gegenstände verantwortlich. Knapp 5000 haben sie erfasst. Da es sich bei den meisten Objekten um Unikate handelt, gibt es keine Vergleichsmöglichkeiten. Jeden einzelnen Gegenstand müssen sie einordnen, fotografieren und ins Netz stellen.

Nach außen dringt von dieser Arbeit kaum etwas. "Seit die Stiftung Haus der Geschichte die Sammlung übernommen hat, gab es keine Ausstellung mehr", beklagt Thomas Freytag. Er ist Mitglied im Vorstand der Sammlung Industrie- und Alltagskultur, die sich seit Jahren für die Sammlung Industrielle Gestaltung stark macht. Tatsächlich eröffnete die letzte Ausstellung Anfang 2004 in der Kulturbrauerei.

Danach war ein Teil die Sammlung noch einmal im Ausland zu sehen. Ende 2009 zeigte das Twentsewelle-Museum im niederländischen Enschede etwa 400 Objekte. Hierzulande schien man sich nur im Rahmen der Ostalgie-Bewegung für einige Möbel und Gebrauchsgegenstände aus der DDR zu interessieren. Eine tiefer gehende Betrachtung, die sich mit den politischen und gesellschaftlichen Aspekten der Formgestaltung in der DDR beschäftigt, gibt es kaum.

Das soll das Projekt Überholt und unerreicht von Hannah Bauhoff und Steffen Schuhmann ändern. Die Designjournalistin und der Grafikdesigner sind der Meinung, dass Design aus der DDR nicht nur gut gestaltet ist, sondern auch Antworten auf aktuelle Fragen nach ökonomisch und ökologisch verantwortlicher Gestaltung geben kann.

Woher kommt diese Zurückhaltung gegenüber dem Industrie- und Produktdesign der DDR? Westdeutsche Designer bewerteten die Entwürfe aus dem Osten meist als rückwärts gewandt, was schlicht mit den eingeschränkten Produktionsmitteln zu tun hatte. Vielleicht verbanden manche das Design, das zu DDR-Zeiten entstand, auch zu sehr mit der Politik der Funktionäre.

Dabei gingen die Meinungen zwischen SED-Führung und Formgestaltern weit auseinander. Nach dem Willen des Amts für Industrielle Formgestaltung sollten die Designer nämlich am besten direkt in die staatlichen Betriebe eingebunden sein. "Man versuchte, die freischaffenden Formgestalter in der DDR völlig einzuschränken", sagt Karl Clauss Dietel. Dietel war von 1974 an Vizepräsident des Verbands Bildender Künstler in der DDR und trat 1981 von diesem Posten zurück – aus Protest gegen die Repressalien des Amtes für Industrielle Formgestaltung. Nach der Wende erfuhr er, dass die Stasi ihn schon seit seinen Studienzeiten überwacht hatte. Das SZ-Magazin hatte ihn in einem Bericht 1991 als "ausgebremsten Visionär" bezeichnet. 

"Seit den siebziger Jahren hat das Amt für Industrielle Formgestaltung vielen von uns die Lizenz, als Freiberufler zu arbeiten, verweigert", sagt auch Erich John. Der 78-Jährige jedoch durfte als Professor der Kunsthochschule Weißensee nebenbei freiberuflich arbeiten. So entstand sein berühmtester Entwurf: die Weltzeituhr, die noch heute eine Touristenattraktion auf dem Alexanderplatz ist. 1968 war ihr Bau ein sehr ambivalentes Prestigeprojekt: Sie sollte in einem Land, das sich abgeschottet hatte, Weltoffenheit symbolisieren.

Für Dietel und John ist der Gang durch das Depot eine Zeitreise durch ihr gestalterisches Schaffen. Gemeinsam stehen die zwei Designer schließlich vor einem Produkt, das sie beide mitgestaltet haben: einem Wartburg. Den Grundentwurf für die Karosserie zeichnete Dietel 1962, John gestaltete die Türgriffe. Natürlich wünschen sie sich, dass die Exponate einmal in einem ansprechenden Ambiente zu sehen sein werden. "Ich kann nur hoffen, dass die Dinge eines Tages den Weg in eine Dauerausstellung finden", sagt Dietel. "Meine Enkel kennen das alles nicht." Dann zwängen sich die beiden älteren Herren in das enge Fahrerhäuschen und blicken nebeneinander durch die Windschutzscheibe ihres Fahrzeugs.

Die Bundesregierung sieht in ihrem Gedenkstättenkonzept vor, dass die Stiftung Haus der Geschichte eine Dauerausstellung zur Produkt- und Alltagskultur der DDR entwickelt und betreibt. Das Geld dazu ist noch nicht bewilligt. "Wir hoffen auf 2013", sagt Johanna Sänger. Bis dahin werden sie und ihre Mitarbeiter weiter katalogisieren, begleitet vom Lärm der Flugzeuge.

Carolin Ströbele

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