zum Hauptinhalt

Berlin: Ab Montag ist auch bei der U7 das Bahnsteigpersonal wegrationalisiert - das gebellte "Zurückbleiben!" ist Vergangenheit

Morgens um sieben ist die Welt noch grau. Mit leerem Blick sitzen sich die Menschen im U-Bahn-Waggon gegenüber.

Morgens um sieben ist die Welt noch grau. Mit leerem Blick sitzen sich die Menschen im U-Bahn-Waggon gegenüber. Glücklich die, die sich hinter dem Schutzschild ihrer Zeitung verkriechen können. Die anderen suchen nach einem Ruhepunkt für ihre unruhigen Augen: ein Staubkorn auf dem Boden vielleicht oder die Bedienungsanleitung für die Notbremse. Werbebotschaften, sonst nie beachtet, bieten die Gelegenheit, langsam vor sich hin zu buchstabieren.

Der Fahrer dagegen muss hellwach sein und sich auf das schwarze Loch vor dem Fenster konzentrieren, das den Zug gierig einsaugt - mit 70 Kilometern pro Stunde. Vorbei sirren die armdicken Kabel an den Tunnelwänden. Die einzige Abwechslung ist die Form des Tunnels: fast immer eckig, manchmal halbrund. Dann wurde der Schacht statt in der offenen Grube mit dem teureren unterirdischen Schildvortrieb gebaut.

Dirk Huschbeck sitzt seit fünf Jahren im Führerhaus der U7. Die immerwährende Nacht macht ihm nichts aus. Im Gegenteil. Auf anderen Linien, wo auch Hochstrecken dazugehören, muss sich das Auge ständig umgewöhnen. "Kommt man aus dem Tunnel raus, hat man ein blendendes Erlebnis. Fährt man hinein, sieht man erst mal nichts." Da ist ihm die U7, die ständig unter der Erde verläuft, viel lieber. Und auch in anderer Hinsicht kommt ihm die Linie entgegen. "Ich fahre unheimlich gern U-Bahn, da kann die Strecke nicht lang genug sein." Die U7 ist mit 33 Kilometern die längste Linie Berlins.

Plötzlich Licht am Horizont. Es ist zwar nicht das Ende des Tunnels, aber eine der 40 Stationen auf der Linie 7. Immer wenn der Zug in einen Bahnhof einfährt, sieht der Fahrer in erwartungsvolle oder ungeduldige Gesichter. Sein Zug hat die ganze Aufmerksamkeit der Wartenden. Häufig sind sie zu ungeduldig, stehen so dicht an der Bahnsteigkante, dass der ungeübte Mitfahrer im Führerstand unwillkürlich zur Seite ausweichen will. Doch die Gleise zwingen den Zug in seine Bahn. "Es ist den Leuten nicht beizubringen, in welcher Gefahr sie sich befinden, wenn sie so dicht an der Kante stehen", sagt Huschbeck. Und manchmal bekommen sie das schrecklich zu spüren. Vor wenigen Tagen wurde auf der U7 ein Fahrgast schwer verletzt, weil er sich vor die einfahrende U-Bahn beugte, die dann seinen Kopf streifte.

Schnelle Hilfe tut in solchen Fällen not. Bisher haben den Fahrer dabei die Zugabfertiger unterstützt. Doch wie auf allen anderen U-Bahnlinien zuvor werden am Sonntag auch auf der U7 die letzten Zugabfertiger verschwinden. Die Fahrer fertigen dann die Züge selbst ab. Mehrarbeit sei das nicht, meinen die Fahrer. "Das hat auch für die Fahrgäste Vorteile", sagt einer. "Ich kann individuell bestimmen, wann ich losfahre." Wenn jetzt der Abfertiger das Signal gibt, muss der Fahrer die Türen schließen, egal ob noch jemand die Treppe herunterhastet. "Wenn ich das selbst mache, kann ich noch einen Augenblick warten und muss einer Oma nicht die Türen vor der Nase zuschlagen."

Trotzdem sind viele BVG-Kunden skeptisch. "Gerade im dicksten Gedränge kann so viel passieren", sagt Doris Zoller. "Wenn da mal jemand auf die Gleise fällt, brauchen die mobilen Service-Teams zu lange." Angst vor zwielichtigen Gestalten, denen sie sich allein gegenübersehen könnte, hat sie nicht: "Ich weiß mich meiner Haut zu wehren. Dazu brauche ich keine Zugabfertiger." Eine andere Kundin ist nicht so sicher. "Ohne Abfertiger fühlt man sich abends auf den Bahnsteig so allein." Außerdem werde die BVG dadurch noch unpersönlicher. Und die Sprechsäulen? "Ich weiß nicht, ob man darauf vertrauen kann, wenn man Hilfe braucht. Und wie funktionieren die Dinger überhaupt?"

Doch die BVG muss sparen. 80 000 Mark koste ein Zugabfertiger im Jahr, sagt der Betriebsleiter Martin Goerke. Bei 40 Stationen auf der U7 kommt da einiges zusammen. Manche Kunden haben Verständnis, wie Martin Schultheiß, der täglich von Neukölln nach Charlottenburg fährt. "Sicherlich ist ein Zugabfertiger persönlicher. Aber wenn durch die Einsparungen die Fahrpreise so niedrig bleiben, dann ist das okay."

In der BVG gibt es keinen Zweifel, dass die mobilen Bahnhofsmanager, die an die Stelle der Zugabfertiger treten, die gleiche Sicherheit bieten. "Wenn Hilfe nötig ist, dann sind die Einsatzkräfte im Schnitt innerhalb von fünf Minuten vor Ort", sagt Pressesprecher Klaus Wazlak. Teilweise seien Polizei und BVG-Personal schon nach zwei Minuten da.

Und das ist oft auch dringend nötig, wird der unterirdische Bauch der Stadt doch häufig als Deckung für tageslichtempfindliche Geschäfte genutzt. U-Bahn-Anlagen finden sich immer wieder auf den Listen der "gefährlichen Orte". So nennt die Polizei Kriminalitätssschwerpunkte, wo ihnen besondere Kompetenzen zugestanden werden. Einer von ihnen ist der U-Bahnhof Hermannplatz, wo sich Neukölln und Kreuzberg ebenso treffen wie die Linien 7 und 8.

"Der U-Bahnhof war berüchtigt wegen der Drogenszene, die hier campierte", sagt Peter Kaszynski von der Sicherheits-Abteilung der BVG. Doch derzeit habe man das Problem im Griff und den Bahnhof "gesäubert". Die Mittel: "Massive Polizeipräsenz, Fahrausweiskontrollen auf dem Bahnsteig und BVG-Streifen, die Platzverweise erteilten." Aber Kascynski gibt sich keinen Illusionen hin. Die "Szene" sei lediglich verdrängt - und das auch nur für eine begrenzte Zeit. "Meist hält der Effekt nur drei bis vier Wochen vor, dann müssen wir gegendrücken." Jederzeit bestehe die Gefahr, dass alles wieder an den Hermannplatz zurückschwappe. Auch Kaszynskis Chef, der Leiter der am 1. September neugegründeten Abteilung "Service und Security" Hans-Jürgen Förster, weiß, dass man dieses Problem schwer beseitigen kann. "Am Hermannplatz ging es zurück, dafür stellen wir vermehrt Drogendelikte auf der U-8 zwischen Boddinstraße und Leinestraße fest."

Kaszynskis anderes Sorgenkind sind die Bahnhöfe unter der Gropiusstadt. Morgens zwischen sieben und acht herrscht auf der Station Johannisthaler Chausse ausgelassene Schulhofatmosphäre. Auf den Bänken sitzen Grüppchen von Teenagern und erzählen sich die neuesten Geschichten von ihren Stars, dem derzeitigen Freund oder Lehrer, den sie anhimmeln. Halbwüchsige Jungen balgen sich spielerisch um den Platz in der Klassen-Hierarchie. Das Rauchverbot auf den Bahnsteigen scheint niemanden zu kümmern. Blaue Schwaden hängen schwer in der Luft. Das Geschrei aus Hunderten von jungen Kehlen hallt durch die U-Bahnschächte.

Doch die Idylle täuscht. Was so fröhlich klingt, ist für das Bahnhofspersonal eher Grund zur Sorge. So manches Kind "verliert" hier die teure Markenjacke oder sein Taschengeld. Jugendbanden treiben ihr Unwesen. Simone Kegel, seit 15 Jahren Bahnsteigaufsicht, arbeitet ungern unter der Gropiustadt. "Die Gangs verbreiten ein ungutes Gefühl." Ältere BVG-Kunden beschleiche da eine gewisse Angst, sagt Kaszynski. Deshalb seien BVG- und Polizeistreifen in der Nähe. "Mit den 13- oder 14-Jährigen gibt es keine Probleme, doch die Älteren sind schwierig", sagt Kaszynski.

Eine dicke Haut braucht es in den Fällen, vor denen sich Fahrer und Abfertiger gleichermaßen fürchten: Selbstmörder. Zweimal habe sie das nun schon erlebt, sagt Zugabfertigerin Simone Kegel. Ein Versuch war "erfolgreich". "Der andere hatte nicht mal einen Kratzer" erinnert sie sich. 30 bis 40 Mal im Jahr wähle ein Lebensmüder die U-Bahn, um seinem Leben ein Ende zu setzen, sagt Betriebsleiter Mathias Goerke. Fahrer und Abfertiger schleppen danach häufig ein lebenslanges Trauma mit sich herum. Seit einem Jahr bietet die BVG in solchen Fällen eine Fahrerseelsorge an. Auch Psychologen sollen helfen.

Trotz allem wird Simone Kegel ihren Dienst als Abfertigerin vermissen. "Am meisten Spaß hat es auf den Bahnhöfen in Spandau gemacht. Da ist alles so hell und freundlich." Mit den Fahrgästen habe es selten Ärger gegeben. Nur dann, wenn es zu Verspätungen kam. "Da sind wir Abfertiger die Puffer, an denen sich die Fahrgäste abreagieren." Doch wenn man freundlich mit ihr rede, gebe sie auch freundlich Auskunft. Noch weiß Simone Kegel nicht, was aus ihr nun wird. Sie hat sich für die mobilen Service-Teams beworben. Und dann fährt auch sie in den U-Bahn-Waggons mit und wird erleben, wie grau so mancher Morgen um sieben sein kann. Und ihn vielleicht mit einer lächelnden Auskunft etwas aufhellen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false