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Abschied von Tissy Bruns: Franz Münteferings Ansprache

Es ist schwer, in einer solchen Stunde hier zu sprechen. Denn man möchte denen, die ihr ganz nahe waren, Trost sagen, aber man weiß doch: Der Tod ist zu endgültig, als dass es wirklich Trost geben könnte.

Es ist schwer, in einer solchen Stunde hier zu sprechen. Denn man möchte denen, die ihr ganz nahe waren, Trost sagen, aber man weiß doch: Der Tod ist zu endgültig, als dass es wirklich Trost geben könnte.

Ich wünsche Ihnen, lieber Jochen Dietrich, Ihnen lieber Tim und ihrer ganzen Familie besonderen Lebensmut und Kraft in diesen Tagen und Wochen. Sterben ist schwer, liebe Menschen sterben zu sehen, ist schwer. Aber es war hilfreich, das sie zuhause beieinander sein konnten in dieser Zeit. Das war gut für Ihre Frau, ihre Mutter und auch für Sie und es bedeutet viel. Sie haben dieses Stück Leben besonders intensiv erfahren und das bleibt Ihnen, dauerhaft.

Ich habe in den vergangenen Monaten so manches mal an Ihre Familie gedacht und bin dankbar, hier heute stehen zu dürfen. Tissy Bruns hatte einen verlässlichen Kompass – der war auf Demokratie ausgerichtet, auf Verantwortung und Kompetenz. Sie war anspruchsvoll in der politischen Debatte und deutlich im Gespräch, in ihren Texten, in ihren Erwartungen, war informiert und reflektiert, aber nie besserwisserisch und nie arrogant. Kontroverse in der Sache war möglich mit ihr und nicht selten, persönliche Herablassung nie. Mit ihr intensiv zu reden, das machte Freude. Ich erfuhr es eindringlich, als wir im Frühsommer 2008 –in einer für mich sehr bewegten Zeit- stundenlang Gespräche führten, meistens in Bonn, wohin sie kam, damit ich schnell wieder zuhause sein konnte. Aus den Gesprächen wurde ein Interview-Buch. Sie hat mich ganz schön ausgefragt und mich veranlasst, über so manches neu und intensiver und über Zusammenhänge in Gesellschaft und Politik nachzudenken und ihr Rede und Antwort zu stehen. Ihre Fragen und Kommentare waren meistens kurz, präzise und trieben die Themen und das Gespräch voran. Von den 10 Seiten des Buches, die sich mit der Bildung befassten, machten ihre Fragen und Einlassungen nur 30 Zeilen aus und die gingen so:

„Wenn man die Grenze für die eigene Freiheit sehen soll, muss man die Interessen der anderen kennen. Lernt Hänschen das nicht mehr von selbst, in der Familie? Eltern wollen und sollen sich um ihre Kinder sorgen. Darf der Staat sich da einmischen? Wir erlauben uns Jahr für Jahr 80.000 Schulabbrecher. Kann unser föderales System das Problem überhaupt lösen? Also: Die Politik duckt sich weg. Pech, wenn du die falschen Eltern hast. Schwache Eltern gab es früher auch. Aber da gab es Anwälte für die Kinder, die bei solchen Eltern angeklopft haben, Lehrer und Kommunalpolitiker. Gibt es in der SPD noch solche Anwälte? Und: Brauchen wir mehr Mut zur Erziehung?“

Zu anderen Themen der politischen Debatte waren ihre Fragen nicht weniger eindringlich. Das führte zum Kern und da gab es kein Entkommen. Längst nicht an jeder Stelle schaffte ich das damals mit kurzen Sätzen.

Tissy Bruns konnte mit Sprache umgehen, mit der gesprochenen und der geschriebenen. Das ist bei guten Journalistinnen und Journalisten so. Aber auch da war sie, wie sie war. Wenn man aus Ungeschicklichkeit, Unwissen oder Raffinesse missverständlich formulierte, war sie nicht zufrieden und hakte nach, zur Klarstellung. Das besondere: Sie suchte und gebrauchte nicht die Schwäche und die Lücke, um gewollt mißzuverstehen und Gewichte in der Argumentation zu verschieben, -eine Methode, die durchaus bekannt ist im allgemeinen journalistisch-politischen Miteinander. Sie sagte: Das ist unklar. Oder: Das habe ich nicht verstanden. Und beim zweiten Mal: Nein, das stimmt so nicht. Tissy Bruns war ein politischer Mensch, eine politische Journalistin, die die Eitelkeiten und Kleinkariertheiten, die Tricks und Bluffs des politischen Alltags sehr wohl registrierte und kommentierte. Aber man wusste in jedem Augenblick: Das ist nicht wirklich das, was sie beschäftigt. Sie hatte das Wesentliche im Blick und darauf kam man unweigerlich zu sprechen. Politik nicht als unterhaltsames Scharmützel, sondern als nötigen Streit um den richtigen Weg, der auch Ziel ist. Es ging ihr um was. Sie war da ernsthaft und immer doch ein sehr lebendiger Beweis dafür, dass ein Mensch ernst und fröhlich zugleich sein kann. Ohne Lachen ging das Gespräch mit ihr nie ab.

Zu Tissy Bruns passte Hannah Arendts Wort von der „Politik, die angewandte Liebe zum Leben ist“. Womit Politik klar an die zweite Stelle und das Leben an die erste Stelle gerückt sind. Das war bei ihr so. Von politischen Eitelkeiten war sie nie geblendet, sie maß den Erfolg von Politik an deren Ergebnissen für das Leben konkreter Menschen, der alten, der jungen und derer, die nachkommen werden.

Ich habe Tissy Bruns vertraut. Was besseres kann man als Politiker über eine Journalistin nicht sagen. Sie verstand es, Vorsicht und Verkleidung ihrer Gesprächspartner zu überwinden, weil sie alles -was immer man auch sagte – wog und erwog und auf das Wesentliche bezog. Spektakuläres und Sensationelles waren für sie wohl eher langweilig, sie war geerdet.

Das letzte Gespräch, am Telefon, hatten wir vor ein paar Monaten. Es ging um ein Buchprojekt, das ein gemeinsamer guter Bekannter und ich im Blick hatten, wieder mit ihr als Interviewerin. Die Zukunft der Demokratie und deren Bedingungen national und international waren so etwas wie der Arbeitstitel. Das Thema interessierte sie auch. Wir haben uns auf dieses Frühjahr verabredet. Dann würde es wieder gehen, sagte sie. Tissy Bruns und ich haben uns selbstverständlich gesiezt, Sozialdemokratie hin, Sozialdemokratie her. Dieses eine Mal soll es anders sein: Liebe Tissy, du warst eine Persönlichkeit, eine soziale Demokratin, eine demokratische Sozialistin, eine große Journalistin, ein sympathischer Mensch, den man gerne erlebt und an den man sich immer wieder gut erinnern wird.

Franz Müntefering ist Mitglied des Bundestages.

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