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Adel berichtet (19): Kosmetik und Politik

Stefan Stuckmann erzählt, wie unser Redaktionspraktikant Cedric zu Guttenberg die Stadt erlebt.

Kennen Sie diese Tage, an denen man das Gefühl hat, die Existenz sei völlig bedeutungslos? Gemeinsam mit meinem Jungdackel Taxi bin ich zur Bread & Butter gefahren, um die Perspektiven der Berliner Modeindustrie und neue Unterwäsche-Trends zu beleuchten. Aber dann stehe ich in der Schlange für die Krabbencocktails und muss feststellen, dass man bei Frauen unter 20 gar nichts mehr reißen kann, wenn man das Wort „Tagesspiegel“ fallen lässt. Da wurde mir bewusst: Mir bricht die Zielgruppe weg!

Mit eiserner Entschlossenheit wage ich einen zweiten Anlauf, stelle mich zu einer Gruppe Modestudentinnen und fächere mir mit meinem Journalistenausweis Luft zu. Nach zehn Minuten kommen mir erste Zweifel. Nach elf Minuten bleibe ich einsam zurück, während sich die Studentinnen zehn Meter weiter gegenseitig mit „Rolfe“ von Germany’s Next Topmodel fotografieren. Wenn es wenigstens Ulrich Wickert wäre!

Niedergeschlagen hole ich mir und Taxi zwei Kokosnüsse mit Strohhalm von der Bar, dann widmen wir uns der Mode. Taxi probiert eine eng geschnittene Levi’s aus der neuesten Kollektion, kommt aber schon nach zwei Minuten mit hängenden Ohren aus der Umkleide zurück. Ist halt schwierig, wenn man so kurze Beine hat. Um auf andere Gedanken zu kommen, versuchen wir uns an einem Mitmach-Stand als Baumwolltaschendesigner. Taxi malt sich selbst als Che Guevara und verkauft sofort die Vertriebsrechte für Japan und den Nahen Osten. Ich dagegen rutsche gleich am Anfang mit dem Pinsel aus, stoße den Topf mit den Pailletten um und will gerade neu anfangen, als mich eine Videobloggerin zur Seite schubst, weil mein Schatten neben ihr zu dick aussieht.

Während ich neben zwei ukrainischen Fuß-Models auf Taxi warte, denke ich nach. Was kann ich tun, um jene Bevölkerungsschichten wieder für die Zeitung zu begeistern, die ihr am dringendsten fehlen? Dann habe ich eine Idee: „Tagesspiegel for Girls“. Von den Texten her locker, schmissig gestaltet, aber trotzdem mit Tiefgang. Lifestyle, Kosmetik und Politik – auf Augenhöhe! Demografisch hat das Sinn, Frauen werden ja immer schlauer. Ich hab schon bei der Druckerei angerufen, um zu fragen, ob das mit der Glitzertinte machbar ist – wenn ich jetzt noch den Chef ins Boot hole, könnte ich schon Montag meinen Schreibtisch leerräumen. Schweren Herzens wäre ich bereit, als Chefredakteur zum neuen Blatt zu wechseln. Aus idealistischen Gründen.

Hochachtungsvoll,

Ihr

Cedric

Stefan Stuckmann

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