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Berlin: „Ärgerlich, dass ich Unsinn nicht mehr verhindern kann“

Zehn Fragen an Eberhard Diepgen: Vor 20 Jahren wurde er erstmals zum Regierenden Bürgermeister von Berlin gewählt

Am 9. Februar 1984 wurde Eberhard Diepgen zum Regierenden Bürgermeister gewählt. Er blieb es zunächst bis Januar 1989. Walter Mompers Interregnum beendete Diepgen mit einem weiteren Wahlsieg im Dezember 1990. Seine Amtszeit endete im Juni 2001, nachdem die SPD nach dem Parteispendenskandal und der Bankenaffäre die große Koalition aufgekündigt hatte. Zehn Fragen an Eberhard Diepgen zum 20. Jahrestag seiner Wahl.

1. Womit haben Sie nach Ihrer Wahl zum Regierenden Bürgermeister angestoßen?

Sie strapazieren mein Gedächtnis. Bei konstituierenden Sitzungen des Senats wurde aber immer mit Sekt auf die künftige Zusammenarbeit angestoßen, 1984 sicher nicht mit Rotkäppchen. Zu Hause habe ich mit Sicherheit ein kühles Bier, meine Frau einen guten Sekt getrunken.

2. 18 Jahre an der Spitze der Berliner Politik: Woran erinnern Sie sich am liebsten?

Klare Spitzenreiter in diesem Wettbewerb zwischen hart erkämpften politischen Entscheidungen, Eröffnungen von neuen U- und S-Bahn-Linien oder Grundsteinlegungen von Stadtquartieren gibt es nicht. Politisch bedeutsam war der so genannte Hauptstadt- oder Umzugsbeschluss, leider kein Ergebnis politischer Überzeugungen, sondern Ergebnis einer erfolgreichen Taktik einer Minderheit in allen großen Fraktionen des Bundestages über allzu siegessichere Bonn-Befürworter. Ein politischer Wunschtraum wurde 1994 Wirklichkeit. Die russischen Truppen marschierten ab. Ihr Lied: „Deutschland, wir reichen Dir die Hand und kehren zurück ins Vaterland“.

3. Berlin-Politik 1984 und 2004: Ist die Stadt heute leichter oder schwerer zu regieren?

Mit der Wiedervereinigung wurde die Stadtpolitik komplizierter.

4. Hat der Senat in den 90er Jahren zu viel Geld ausgegeben?

Eure Rede sei ja, ja; nein, nein. Dann entscheide ich mich für nein. Natürlich gab es trotz aller Sparhaushalte seit 1991 – auch schon zehn Jahre vorher – weitere Sparmöglichkeiten, nicht erkannt, nicht gewollt oder politisch nicht durchsetzbar. Planungen orientierten sich an Prognosen, die sich als unrealistisch herausgestellt haben. Das Ausmaß der Verschuldung des Landes aber ist nicht die Folge versäumter Sparanstrengungen, sondern des durch Bundespolitik und bundesweitem Verlust an Wirtschaftskraft verursachten Einbruchs der Einnahmen. Berlin verlor nicht nur die Berlin-Förderung für seine Wirtschaft in zu kurzem Zeitraum, sondern mit der Berlinhilfe und dem neuen Länderfinanzausgleich etwa 20 Prozent seiner Einnahmen. Und das bei wachsenden Aufgaben in der ehemals geteilten und emotional zerrissenen Stadt. Daraus kann man schon die Beträge errechnen, die der Senat beim Bundesverfassungsgericht einklagen will.

5. Kann Berlin die Klage auf Sanierungshilfe in Karlsruhe gewinnen?

Ja. In der Klagebegründung sollten allerdings die vom Bund bisher nicht übernommenen Verpflichtungen aus der Wohnungsbaufinanzierung auch West-Berlins und die Probleme aus der Umstellung der Berlinhilfe in den allgemeinen Länderfinanzausgleich stärker gewichtet werden. Die Haushaltsnotlage beruht nur zu einem begrenzten Anteil auf richtigen oder falschen Entscheidungen der Berliner Landespolitik.

6. Glauben Sie noch an die Länderfusion mit Brandenburg?

Ja, Wunder brauchen aber auch in der Politik manchmal etwas länger.

7. Hauptstadt Berlin ins Grundgesetz: eine gute oder eine schlechte Idee?

Das ist eine alte, aber dennoch richtige Idee. Der Formulierungsvorschlag des Senats ist – zurückhaltend formuliert – leider unglücklich. Es geht nicht um Haushaltsmittel für Berlin, sondern um die Rechte und Pflichten des Bundes in seiner Hauptstadt. Das muss auch klar abgegrenzt werden von den juristischen Fragen der Klage vor dem Bundesverfassungsgericht. Dennoch: Die Berliner Parteien und wichtigen gesellschaftlichen Gruppen müssen hier an einem Strang ziehen, tagespolitische Fragen über handwerkliche Fähigkeiten des Senats zurückstellen.

8. Überstehen Freundschaften die Politik?

Ja, man darf den Begriff „Freund“ aber nicht allzu oberflächlich verwenden.

9. Wie lange dauert es, um sich an den Machtverlust zu gewöhnen?

Macht? Den Begriff mochte ich nie. Besondere Verantwortung auf Zeit, Chance zur Gestaltung, das entspricht meiner Gedankenwelt. Heute wechseln meine Gefühle bei der Lektüre der politischen Nachrichten: oft froh, bei dem Theater nicht als Schauspieler auftreten zu müssen, manchmal doch noch ärgerlich, dass ich den Unsinn nicht mehr verhindern kann.

10. Wie übersteht man Brüche im Leben?

Mit einer einfachen Erkenntnis: Jede Medaille hat zwei Seiten.

Die Fragen stellten Werner van Bebber und Lorenz Maroldt.

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