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Berlin: Aids hat wieder zu viele Chancen

Robert-Koch-Institut schlägt Alarm: Die Zahl der HIV-Neuinfektionen steigt in Berlin dramatisch an

Bei den Aids-Experten des Berliner Robert-Koch-Institutes (RKI) herrscht Alarmstimmung: Die Zahl der von Ärzten und Laboren gemeldeten positiven Aids-Tests steigt deutlich an. Waren es im Jahr 2000 noch 159 Tests, die eine Infektion mit dem Immunschwäche-Virus (HIV) nachwiesen, registrierte das Institut bis Ende September 2003 bereits 200 positive Proben. „Für das gesamte Jahr werden es zwischen 250 und 270 sein“, prognostiziert Osamah Hamouda, HIV-Experte am Robert-Koch-Institut. Doch damit sei die tatsächliche Zahl nicht erfasst, weshalb die Wissenschaftler noch einen statistischen Aufschlag hinzurechnen: Im vergangenen Jahr gab es in Berlin rund 350 Aids-Neuinfektionen bei 198 positiven Ersttests. Mit der dramatischen Steigerung fällt die Hauptstadt aus dem Rahmen. Denn bundesweit bleibt die Zahl der Neuinfektionen bei rund 2000 stabil, sagt Hamouda.

Der Aufwärtstrend wird durch weitere Indizien bestätigt: So wächst in Berlin auch die Zahl der Syphilis-Infektionen. Diese Geschlechtskrankheit wird auf ähnlichem Wege wie das Aids-Virus übertragen, ist allerdings wesentlich infektiöser. Dies deute daraufhin, dass die Berliner offenbar weniger bereit sind, geschützten Geschlechtsverkehr zu praktizieren, sagt Hamouda.

Besonders sorglos seien Heranwachsende, heißt es bei der Berliner Aids-Hilfe. Gerade bei ihnen lasse die Bereitschaft nach, beim Geschlechtsverkehr Kondome zu benutzen, sagt Claudia Veth, Koordinatorin der Jugendprävention in der Aids-Hilfe. „Entweder denken die jungen Erwachsenen, sie seien heterosexuell und deshalb nicht gefährdet, oder sie vertrauen auf die neuen Aids-Medikamente.“ Die Berater seien immer wieder erschrocken über die großen Wissenslücken der Jugendlichen. Da herrsche beispielsweise immer noch die Angst, sich zum Beispiel durch einen Mückenstich oder über eine gemeinsam benutzte Zahnbürste zu infizieren. „Ein positives HIV-Testergebnis halten viele für etwas Gutes. Offensichtlich mangelt es an Aufklärung in der Schule“, sagt Veth.

In den Richtlinien für die Sexualerziehung schreibt die Berliner Schulverwaltung den Lehrern vor, sich mit sexuell übertragbaren Krankheiten zu beschäftigen. Vorgaben, wie viel Zeit zum Beispiel das Thema Aids einnehmen soll, gibt es nicht. „Aber eine Schulstunde sollte es mindestens sein“, sagt Elisabeth Müller-Haeck, Referentin in der Schulverwaltung. Man lege den Lehrern nahe, sich mit ihren Klassen beraten zu lassen, zum Beispiel bei der Berliner Aids-Hilfe oder bei Pro Familia. Aufklärungsaktionen wie im Jahr 2001, also Filmveranstaltungen oder Ausstellungen für tausende Schüler, das könne sich Berlin nicht mehr leisten, sagt Müller-Haeck.

Gesundheitspolitiker kritisieren die geplante Gebühr für die anonymen Aids-Tests in den Gesundheitsämtern, die, wie berichtet, ab kommenden Frühjahr zehn Euro kosten sollen. Dadurch würden gerade Jugendliche vom Test abgehalten. „Die Gebühr ist keine wirkliche Hürde“, sagt dagegen Roswitha Steinbrenner, Sprecherin der Gesundheitsverwaltung. Und schließlich müsse ab 1. Januar im Zuge der Gesundheitsreform bei allen ärztliche Leistungen zugezahlt werden. Beim Arzt kann ein Test noch teurer werden, denn die Krankenkassen zahlen nur dann, wenn ein konkreter Verdacht auf eine Aids-Erkrankung besteht oder für einen HIV-Test während einer Schwangerschaft. Ansonsten muss der Patient zahlen. Laut ärztlicher Gebührenordnung kostet ein Test (inklusive Nachtest) zwischen 75 und 93 Euro.

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