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Berlin: Alfred Neumann, geb. 1909

Man traf ihn oft unerwartet und an entlegenen Orten. In den achtziger Jahren im Volkstheater Rostock bei einem Vorläufer der heutigen britischen Ekel-Stücke, wo der baumlange Mensch saß und den Kopf schüttelte.

Man traf ihn oft unerwartet und an entlegenen Orten. In den achtziger Jahren im Volkstheater Rostock bei einem Vorläufer der heutigen britischen Ekel-Stücke, wo der baumlange Mensch saß und den Kopf schüttelte. Noch im vergangenen Jahr auf dem Korridor von Friedrich Wolffs Anwaltsbüro, wo er eine Toilette suchte und probehalber sämtliche Türen aufriss. Immer mit kämpferischem Schwung.

Auch nach der Wende gab sich der einstmals "größte Mann des Politbüros" kämpferisch. Alexander Osang lässt den Zwei-Meter-Mann in seinem Roman "Die Nachrichten" bei einer Nachwende-Versammlung orthodoxer Kommunisten die Frage unter das gleichgesinnte Volk schleudern, ob man sich denn schämen solle, ein Tschekist gewesen zu sein?

Nein, Neumann hat sich nicht geschämt. Er hat seinen Klassenkampf gekämpft bis zum Schluss. 1953 und 1956 gehörte er zu den Hardlinern, Ulbricht unterstützten und einen harten Kurs gegen innerparteiliche Kritiker forderten. 1971 hätte er Ulbrichts Nachfolger werden können. Aber er scheiterte an Erich Honecker. In dessen Politbüro wurde der geborene Berliner zunächst fast so etwas wie ein Oppositioneller. Seinen Ausschluss aus der Parteizentrale konnte Ulbricht noch verhindern. Neumann blieb in Honeckers Politbüro bis 1989 ein "Ulbrichtianer". Ein lebender Anachronismus.

Neumann wollte immer erkennbar bleiben als einer, der sich vom Tischler bis ins Zentrum der Macht hinaufgearbeitet hatte. Der sich mit musterschülerhaftem Fleiß bemühte, auch intellektuelle Fragen zu verstehen. Wenn Neumann einen Zeitungsartikel gelesen hatte, sah dieser hinterher völlig zerarbeitet aus, mit verschiedenfarbigen Anstreichungen und Randbemerkungen versehen. Doch seinem simplen Weltbild verschloss sich die Theorie.

Er lebte das Für-oder-gegen-uns-Weltbild des Klassenkämpfers auf eine besonders asketische Weise. Jeglichen Luxus, wie auch die Heraushebung seiner Person lehnte er ab. Dafür liebte er die Jagd. Moskau stand er skeptisch gegenüber, gleichwohl hatte ihn der Stalinismus geprägt. Jedes individuelle Freiheitsbedürfnis wertete er als Charakterlosigkeit. Seine Distanz zu Moskau hatte ihre Ursache darin, dass Breschnjew den Sturz Ulbrichts und damit das Ende der Wirtschaftsreform der 60er Jahre unterstützt hatte, die der DDR-Wirtschaft auf dem Weltmarkt vielleicht eine Chance gegeben hätte. Auch wenn Neumann die ökonomische Theorie hinter diesen Reformen gar nicht verstand - instinktiv spürte er doch deren Notwendigkeit und verachtete die Gruppe um Honecker für ihren Konsum-Sozialismus, den er für fahrlässig hielt.

Ein Kämpfer war Neumann auch in einem ganz anderen, nichtideologischen Sinne. Als erfolgreicher Leichtathlet gehörte er zur Vorbereitungsmannschaft für die Olympischen Spiele 1936 und galt im Zehnkampf als einer der Medaillenanwärter. Seine Sportverbindungen nutzte er, seit 1929 Mitglied der KPD, nach 1933 zur Organisation illegaler Verbindungen. Als Sportkader bekam er einen Pass und konnte ins Ausland reisen. 1934 emigierte er so über Dänemark in die Sowjetunion, wo er in Moskau als Sportlehrer arbeitete. Doch 1937 traf auch ihn Stalins Terror. Seine sowjetischen Genossen wiesen ihn, auf den in Deutschland das KZ wartete, aus der Sowjetunion aus.

Neumann gelang es, nach Spanien zu kommen, wo er gegen Franco kämpfte und verwundet wurde. Nach dem Sieg Francos wurde er in Frankreich interniert und 1941 an die Gestapo ausgeliefert, zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt und im Februar 1945 dem SS-Strafbataillon Dirlewanger überstellt. Bei der ersten Gelegenheit lief Neumann zur Roten Armee über. Er kam in verschiedene Kriegsgefangenenlager, erst in Deutschland dann in Russland.

Er blieb trotz - oder gerade wegen - dieser ständigen Lebensbedrohung und Rettung, die zur neuen Lebensbedrohung wurde, gläubiger Kommunist. Für ihn war Kommunismus ein Synonym für Zehnkampf mit anderen, politischen Mitteln.

Gerade entlassen wurde er 1948 SED-Kreisvorsitzender in Neukölln, auch dort verhaftete man ihn wegen "Verstoßes gegen das Kontrollratsverbot": Er hatte eine schwarz-rot-goldene Fahne aus dem Parteibüro gehängt. Gegen Kaution ließ ihn ein amerikanisches Gericht wieder frei.

Neumanns symbolträchtigste Tat hat auch mit dieser Fahne zu tun. 1959 war er es, der die Idee hatte, Hammer, Sichel und Ährenkranz als Insignien eines Arbeiter-und-Bauernstaates in die Fahne hineinzunähen und sie so ganz zu einem DDR-Banner zu machen. Neumann forderte die Diktatur des Proletariats ohne Kompromisse. Demokratie war für ihn immer nur "bürgerliche Scheindemokratie". Einen demokratischen Sozialismus hielt er für Verrat am Klassenkampf. Im Januar 1990 wurde Neumann aus der SED-PDS ausgeschlossen.

Kämpferisch zeigte sich Alfred Neumann auch nach der Wende beim Mauerschützenprozeß, dem er sich als Angehöriger des "Nationalen Verteidigungsrates" unbedingt stellen wollte. Dass man gegen ihn wegen seines Alters gar nicht mehr verhandeln wollte, empörte ihn. Energisch versuchte er, seine Verhandlungsfähigkeit zu beweisen.

Einen weiteren Kampf führte Neumann gegen seinen Biographen, Siegfried Prokop, der das Gesprächsbuch "Poltergeist im Politbüro" veröffentlicht hatte. Der Zusatz "nicht autorisiert" unter seiner Biographie war der letzte Sieg im Leben des Dauerkämpfers Alfred Neumann.

gde

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