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Berlin: Alles im Griff

VON TAG ZU TAG Von lothar Heinke Die Eingeschlossenen in der Wilhelmstraße: Unser Reporter wohnt zufällig in jenem Gebiet, das für zwei Tage zur Sperrzone erklärt wurde und damit vorübergehend in den Mittelpunkt des Weltinteresses gerückt ist. Deswegen an dieser Stelle während des Bush-Besuchs das Tagebuch der Belagerung.

VON TAG ZU TAG

Von lothar Heinke

Die Eingeschlossenen in der Wilhelmstraße: Unser Reporter wohnt zufällig in jenem Gebiet, das für zwei Tage zur Sperrzone erklärt wurde und damit vorübergehend in den Mittelpunkt des Weltinteresses gerückt ist. Deswegen an dieser Stelle während des Bush-Besuchs das Tagebuch der Belagerung.

Von Stunde zu Stunde wird es stiller. Ich öffne das Fenster und höre Wunderbar-Seltenes: Vögel statt Motorengedröhn. Unten in der Behrenstraße stehen zwei Dutzend Polizeitransporter und blockieren die West-Ost-Fahrbahnen. Es ist halb neun. In genau zwölf Stunden landet Mister President – und dennoch sperren sie schon jetzt den Weg aus der Ebertstraße Richtung Osten. Nur der Bus 100 darf durch. Taxen werden abgewiesen. Jedes Taxi ist eine Dienstleistung, mittels derer man schneller ans Ziel möchte. Aber so? Manchmal spinnen diese Polizisten. Und manchmal kann man sie bedauern. Einer hat den Auftrag, mit drei kraftvollen BSR-Männern die Gullys zu kontrollieren. Und Mitte besteht fast nur aus Gullys! Also, drei Mann wuchten die Deckel hoch, und unser Polizist geht in die Knie, um einen Blick tief ins Gedärm der Stadt zu werfen. Das Okay besteht in einem Stückchen Papier („sichergestellter Gegenstand“) und wird auf den Gully geklebt. Dann verscheuchen die Hunde der Vögelein Singsang: Bellend laufen sie in die Adlon-Tiefgarage rein, bellend kommen sie wieder raus. Was entdeckt? Hasch? Chappi? Dynamit? Keine Antwort. Vielleicht Räucheraal? Ein weißer Lieferwagen der Lachsräucherei Balmi wird inspiziert und darf passieren. Bush-Lachs?

Jetzt, mittags, rollen sie die Absperrgitter bis kurz vor unseren Hauseingang. Die Autoausfahrt ist komplett gesperrt, eine Freilufthälfte des italienischen Restaurants Viale dei Tigli wird in der Mitte durch die rot-weißen Geländer halbiert, im Lotto-Laden nebenan, der auch Bouletten mit Kartoffelsalat im Angebot hat, nimmt die Kundschaft von Stunde zu Stunde ab, denn die Arbeiten auf den umliegenden Baustellen werden peu a peu eingestellt – bis die ersten Bush-Männer auf dem Bauplatz China-Club, diesem neuen Kind an Adlons Seite, auftauchen und das Schutz- und Schussfeld inspizieren.

Die Eingeschlossenen der Wilhelmstraße sind in ihrer Bewegungsfreiheit wenig beeinträchtigt, ein Anwohner ist sogar „froh, dass für absolute Sicherheit gesorgt ist“.

Dass die Sicherheit allerdings derart absolut sein würde, hatte ich nicht erwartet: Inzwischen wollte ich zu Hause bei meiner Frau sein und Bush gucken - im Fernsehen. Stattdessen totale Sendepause, um 21 Uhr ist die eigene Wohnung zwar in Sichtweite, aber unerreichbarer Ferne. „Hier kommen Sie nicht rein“, knurrt mich ein Sicherheitsbeamter am Zugang Wilhelmstraße an, „dass kann noch Stunden dauern“. Und mein Berechtigungsschein? Der nützt hier gar nichts – oder doch, den schick’ ich an Schröder, zusamen mit der Rechnung für mein Hotel.

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