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Berlin: Alles so schön rund hier

70 000 Zuschauer werden am Ende das Sechstagerennen gesehen haben. Was lockte sie ins Velodrom?

Tony Christie war nach seinem Uralt-Hit „Amarillo“ im vorigen Jahr noch von der Bühne gebuht worden, Lou Bega bekommt immerhin höflichen Applaus. Wenigstens von denen, die gerade in der Halle sind. Gerade hat der Sänger auf der Showbühne im Velodrom seinen Hit „Mambo No. 5“ gemeinsam mit ein paar aufreizenden Tänzerinnen dargeboten. Es ist Showpause in der langen Nacht beim Berliner Sechstagerennen im Velodrom an der Landsberger Allee. Ein Berliner Phänomen nimmt seinen Lauf.

Die Fahrer verschnaufen sich. Gleich sind sie mit der „Großen Jagd“ dran, 45 Minuten lang werden die 36 Bahnradfahrer in unübersichtlichem Gewirr über die 250 Meter lange Holzbahn flitzen. Dann sind die 10 000 Zuschauer rechtzeitig wieder auf ihren Plätzen und blasen in ihre Trillerpfeifen, wenn einer ihrer Lieblinge auf der Bahn eine Attacke startet.

Sechstagerennen, das ist sehen und gesehen werden, zu den Partyhits mitklatschen, trinken und feiern. Auch in Berlin. Wer Spaß daran hat, kann Listen mit B-, C- und D-Prominenten erstellen. Aber hier heißt das Sechstagerennen noch Sechstagerennen und nicht wie in anderen Städten „Sixdays“. „In Stuttgart vor einer Woche hat die Hälfte der Zuschauer überhaupt keinen Wettkampf gesehen, die kommen nur zum Showteil und sind bei den Rennen irgendwo am Weinstand“, sagt ein Fahrer. Wenn man seine Kollegen fragt, schwärmen alle vom fachkundigen Berliner Publikum. Etwa vier Fünftel der Fans, die meisten sind so um die 50, kommen aus dem Ostteil der Stadt. Radsport war in der DDR sehr populär. Viele der Zuschauer waren schon bei den Rennen auf der „Winterbahn“ in der Werner-Seelenbinder-Halle dabei, die 1993 abgerissen wurde, um Platz für das Velodrom und die benachbarte Schwimmhalle zu machen. Zu dieser Zeit gab es kein Sechstagerennen mehr in Berlin. Weil niemand mehr in die Deutschlandhalle kam, war es 1990 nach der 85. Auflage eingestellt worden.

Doch dann hatte Veranstalter Heinz Seesing die Idee, das traditionsreiche Rennen wieder zu beleben. Es hingen noch Kabel von der Decke des Velodroms und die Sitze waren teilweise falsch oder gar nicht angebracht, als dort 1997 zum ersten Mal ein Sechstagerennen stattfand. Trotzdem strömten die Menschen in die Halle, feierten die Fahrer und auch sich selbst. „Es war ein sensationeller Erfolg. Und wichtig für die nächsten Jahre“, sagt Heinz Seesing. Die Logen in der Mitte der ovalen Rennbahn sind auf Monate im Voraus ausgebucht, das Sechstagerennen ist zu einem verlässlichen Selbstgänger geworden. Heute Abend geht das Sechstagerennen zu Ende (Einlass 18 Uhr, Beginn des Programms 19 Uhr, sportliche Entscheidung gegen Mitternacht.) Wenn die letzten Rennen gelaufen sind, wird die Veranstaltung wieder von knapp 70 000 Menschen besucht worden sein. Darunter waren dann auch viele Kinder, die am Familientag am vorigen Wochenende kamen. Richtig voll war es vor dem Simulator, wo sie üben konnten, auf dem Rennrad zu strampeln. Selbst der Preis, den der 666 666. Zuschauer seit der Wiederauflage nach Hause nehmen durfte, drehte sich ums Rad: eine Reise zum Tour-de-France-Finale.

Karten sind unter der Telefonnummer 4430 4430 erhältlich. Weiteres auf Seite 21.

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