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Berlin: Alpenkitsch aus den Ohren geputzt

Weltenwanderer Hubert von Goisern sang und spielte im Admiralspalast Auch Flachlandtiroler kreischten für den Musiker aus Österreich.

Die Sehnsucht nach den Alpen wohnt doch tiefer in den Herzen hiesiger Flachlandtiroler, als man das gemeinhin so glaubt. Anders sind die vielen Menschen nicht zu verstehen, die am Montagabend vor dem Admiralspalast in einer langen Schlange auf Einlass zum Konzert von Hubert von Goisern warteten. Die in den Trachtenjankern sind offensichtlich Österreicher in der Berliner Diaspora, die ihren zuletzt 2008 hier aufspielenden Landsmann hören wollen.

Aber die anderen, vielfach mit Allwetterweste und Karohemd bekleidet, müssen Salzkammergut-Fans sein, die regelmäßig in Bad Goisern am Hallstätter See Wanderurlaub machen und das nahe gelegene Dachstein-Massiv erklimmen. Trotz ihrer grauen Haarschöpfe strömen die kernigen Gestalten flink in den Saal und fangen, als das Saallicht erlischt, gleich mit dem Kreischen und Juchzen an. Hubert von Goisern, dem man seine inzwischen auch schon 60 Jahre als Weltenwanderer nicht die Bohne anmerkt, ist ihr Vorbild.

Vor einigen Monaten hat der Weltmusiker und Soundexperimentierer von Goisern, der vor 25 Jahren mit der Band Alpinkatzen den Alpenrock erfunden und die Neue Volksmusik mit geschaffen hat, sein neues Album „Entwederundoder“ rausgebracht. Ebenso wie seine Single „Brenna tuats guat“ läuft es auch in Deutschland gut. In Österreich ist es sofort vergoldet worden, der Sänger und Songschreiber ist schließlich nationales Kulturgut, allerdings eins von der sperrigen Sorte.

Das musste schon der Chef der Blaskapelle in Bad Goisern einsehen, der seinen jungen Trompeter Hubert, der damals noch mit Nachnamen Achleitner hieß, aus der Kapelle warf, weil er sich nicht die langen Haare abschneiden wollte. „Waren halt autoritäre Zeiten damals“, ruft Hubert von Goisern in den Saal, als er die Geschichte erzählt. Eng ist’s in Goisern und weit ist die Welt, wenn man wie er mal in Afrika und mal in Tibet gelebt hat. Und seiner zwischen hüpfenden Ländlern, Blues, Rock, Jazz und Jodel umherreisenden Musik ist deutlich anzuhören, dass nur wirklich nach Hause zurückkehrt, wer vorher weggegangen ist.

Es ist ein krachender Abend unterm glitzernden Drachenbanner, das sowohl Bad Goiserns als auch des Musikers Wappentier ist. Seine Band aus drei oberösterreichischen Hipstern, die alle halb so alt sind wie ihr Chef, geht an Schlagzeug, Bass und E-Gitarre präzise und hingebungsvoll zu Werke. Und alles, was an Instrumenten fehlt, spielt der erstaunliche Hubert von Goisern: Akkordeon, Klarinette, Maultrommel, Akustik- und Lap-Steel-Gitarre, E-Piano, Kuhglocken. Ein Bühnenfaktotum, das später auch eine Art Holzmichel tanzt, reicht sie ihm extra an.

Das größte Wunder aber geschieht, als die Wandervögel in Allwetterweste und Karohemd, die vorher schon beherzt mitgeschunkelt haben, in flüssigem Ösi-Dialekt den Von-Goisern-Klassiker „Weit weit weg“ mitsingen. Die Berge sind zwar nicht zu sehen, aber trotzdem ganz ganz nah. Schluss mit dem falschen Heimweh – beim Finale putzt die Band mit irrwitzigen Ländlern auf Speed allen Kitsch aus den Ohren. Draußen auf der Friedrichstraße klirrt das noch kräftig nach. Gunda Bartels

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