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Fußball-Weltmeister Thomas Häßler mit seinem Förderer Heinz Boock vom Weddinger Club BFC Meteor.

© Privat

WM 2014: Häßlers Entdecker: Als der Wedding Weltmeister wurde

Vom Wedding in die Welt: Heinz Boock hat Thomas Häßler entdeckt und gefördert. Er muss also genau wissen, was man braucht, um den WM-Pokal zu holen. Ein Treffen, 24 Jahre nach dem Titel von Rom.

Das mit dem Gaucho klappt schon mal nicht. Lichter zwar schon an, Tür aber noch zu. „Nebenan“, sagt Heinz Boock, „da ist auch noch was.“ Und so sitzt der Mann, der den Wedding zum Weltmeister gemacht hat, dann leider doch nicht stilecht beim Argentinier (hätte sich ja angeboten: Finale, Rom, 1990, usw.) sondern auf einem Kunstledersofa im „Escape“, ein großer, dunkler Laden, der sich selbst „Shisha-Café-Bar-Lounge-Club“ nennt. Rotlicht. Elektro-Pop. „Hier war früher der Schlecker“, sagt Heinz Boock.

Warum sind wir hier, nördliche Müllerstraße, Englisches Viertel? Nicht um der treuen Nostalgie willen, höchstens vielleicht ein bisschen. Heinz Boock ist der Mann, der Thomas Häßler entdeckt hat. Den letzten Fußball-Weltmeister aus Berlin, aus dem Wedding. BFC Meteor 06, das ist Boocks Verein, bis heute, und das war auch Häßlers erster Verein, den nahm er mit in die Welt, Meteor 06, stand immer unter den bunten Klebebildchen, bei „Stammverein“. 

Häßlers Förderer, mehrfach ausgezeichnet für seine Verdienste um den Jugendfußball, muss sie doch kennen, die Antwort auf die Frage, die in diesen frühen Junitagen 2014 mal wieder das Land bewegt: Ist diese elende Wartezeit nun, nach 24 Jahren, endlich, endlich vorbei? Werden wir, bitteschön, jetzt mal wieder Weltmeister?

Häßler ist wichtig für 1990, sehr wichtig, man vergisst das leicht. Klar, Brehme hat den Elfmeter reingedrückt, Buchwald und Klinsmann die Holländer weggekegelt, Matthäus das Team mit dem Vollspann durchs Turnier getrieben, aber ohne Häßler, den Weddinger Knirps aus der Letteallee 7, hätten sie alle daheim vor dem Fernseher gesessen. Hätte Häßler nicht das Siegtor im letzten Qualifikationsspiel gegen Wales gemacht, 2:1 in Köln, ein Linksschuss, November 1989, die Mauer nur sechs Tage vorher gefallen, dann wäre Deutschland, dann hätten wir alle ja gar keinen italienischen Sommer erlebt.

Aber langsam. Die erste Begegnung. Wo? Wann? Wie ging das denn damals los, bei Meteor? 

Alles begann auf der Schillerwiese

Heinz Boock erzählt. Hat alles genau gespeichert: Das Sommertraining auf dem Platz am Schillerpark, als die beiden strohblonden Jungs auf ihren Kinderrädern ankamen, Thomas und sein älterer Bruder Andreas, kaum sechs der eine, gerade acht der andere, zwei freche Kerle, die sich einfach einen Ball aus dem Netz schnappten und anfingen, damit rumzuknödeln, so sagt es Heinz Boock.

Schaute er sich ein Weilchen an. Dann ging er mal rüber, Trainer aller Meteor-Teams, erste Männer bis D-Jugend, und Nachwuchs brauchte man immer, also fragte Heinz Boock die beiden Brüder, ob er nicht mal vorbei kommen könnte, in die Letteallee, mit den Eltern sprechen. Klar, sagten die Häßlers, Papa ist abends meist da. Nachwuchsarbeit in den frühen 70ern: Da begann eine Weltkarriere - Köln, Turin, Rom, München - schon mal an einem warmen Tag auf der Schillerwiese.

Heinz Boock erzählt die Geschichte Häßler, so nennt er es, und er tut es, wie er es wohl schon hundertfach getan hat, Fußball-Woche, kicker, über die Jahre waren sie alle mal da, selbst das englischsprachige Magazin „No Dice“ hat über ihn berichtet, über „Mister Meteor“. Es ist nicht ganz leicht, Zwischenfragen zu stellen, alles reiht sich aneinander, Detail um Detail. Darf man nicht vergessen: So lange ist es schon her, dass einer von uns Weltmeister wurde, dass sein Entdecker 84 Jahre alt ist.

Heinz Boock erzählt von Häßlers erstem Spiel mit der Berliner Auswahl, Edenkoben, Rheinland-Pfalz, von dem entsetzten Anruf der Betreuer, der Kleine hat keinen schlafen lassen, hat die Kissen versteckt, Streiche gespielt, die ganze Nacht, der hat nur Flausen im Kopf, nein, also spielen wird der erstmal nicht, auf keinen Fall.

Erzählt, wie er den kleinen, schmächtigen Thomas angespornt hat, vor den wichtigen Spielen, wenn einer von der Auswahl da war, aber meist stand er einfach am Rand, ruhig, wie es so seine Art ist, und sah zu, wie dieser schmächtige kleine Junge ganze Hallenturniere alleine gewann, alle ausspielte, wie er nie abgeben und eigentlich auch nie richtig trainieren wollte.

„Er ist da schon aufgefallen“, sagt Heinz Boock. Aber Weltmeister? Eher nicht. „Dass er mal im Berliner Fußball eine gute Rolle spielen würde, das schon, das war ja schon was damals“, sagt Heinz Bock, TeBe und Hertha hätten ja regelmäßig um den Aufstieg in die Bundesliga mitgespielt.

Später ging dann Thomas Häßler zu den Füchsen, schon mal der erste Schritt nach oben, paar Kilometer nach Norden, und dann saß eines Tages Christoph Daum auf der Tribüne, Trainer der Amateur-Mannschaft des 1. FC Köln, und der Rest ist bekannt.

Heinz Boock, langjähriger Trainer beim BFC Meteor 06 in Berlin-Wedding.
Heinz Boock, langjähriger Trainer beim BFC Meteor 06 in Berlin-Wedding.

© Björn Kietzmann

Heinz Boock blieb dagegen immer in Berlin, er konnte ja montags und donnerstags im kicker lesen, wie es seinen Jungs so ging, und nicht immer ging es gut. Häßler war nicht der einzige. Wolfgang Sühnholz etwa, der hatte es von Boocks Mannschaft bis in die legendäre Bayern-Elf der frühen 70er geschafft, spielte neben Beckenbauer, Müller und Co., bis zu dem Tag, an dem er gegen den Kölner Jupp Kapellmann spielen musste, da war es aus mit der Bundesliga, komplizierter Beinbruch. „Der Wolfgang“, sagt Heinz Boock, „der war sogar noch besser als Thomas Häßler.“ Und dann erzählt er von der letzten Mannschaftsfahrt mit Andreas, dem Ältesten der drei Häßler-Brüder. Nehmen Sie ihn ruhig mit, hatte der Arzt vom Virchow zu Heinz Boock gesagt, und so fuhr Andreas tatsächlich noch einmal mit nach Holland, eine schöne Fahrt, aber seinen Bruder Thomas hat er nie im Trikot einer Profi-Mannschaft gesehen und auch das Finale von Rom nicht, Leukämie, mit nicht mal 18 Jahren.

„Seit fast 70 Jahren bin ich Trainer“, sagt Heinz Boock, „ich habe so viel erlebt.“

Es kann nicht immer nur um Fußball gehen, natürlich nicht, was wäre das für ein Leben. Aber vielleicht hilft der Fußball manchmal. Und seien es nur ein paar Erinnerungen, an einen Besuch im Sportstudio, einen Anruf von Berti Vogts, oder eine Begegnung im Hotel Esplanade, auch schon wieder fast 17 Jahre her. Auf dem Foto: Thomas Häßler im Deutschland-Trikot und der mächtige Heinz Boock im Sakko neben ihm, den Arm um die Schulter, „vor dem Länderspiel gegen Portugal (5.9.97)“, steht darunter. „Einmal im Jahr ruft er an“, sagt Heinz Boock.

"Das ist nicht mein System"

Aber sonst ist kaum was, wie es war. Der nächste Weddinger Weltmeister? Den kann Heinz Boock beim besten Willen nicht erkennen, nicht bei Meteor und auch nicht anderswo. „Die bilden sich alle ein, dass sie Weltmeister werden“, sagt er, „und wissen nicht mal, dass im Ball Luft ist. Wollen Profi werden und wissen nicht, was ein Verein ist.“ Und die Wechselei, selbst in der Jugend. Neulich hat der C-Jugend-Trainer nach einem Spiel seine Spieler einem anderen angeboten. „Der eigene Trainer!“ Heinz Boock spricht das Ausrufezeichen mit.

Es ist nicht mehr so seine Zeit. Er hat genug gesehen in seinen 84 Jahren, vielleicht schon zu viel.

Manche Debatten macht er nicht mehr mit, die lehnt er einfach ab. Jogi Löw und seine halben und falschen Stürmer? „Nein“, sagt Heinz Boock, „nein, das ist nicht mein System. Zwei Spitzen, zwei hängende Außen, so habe ich schon zu Häßlers Zeiten spielen lassen.“

Statt draußen, mit anderen, schaut er Fußballspiele am liebsten zu Hause, ganz alleine. „Da wird man nicht abgelenkt und zugequatscht“, sagt Heinz Boock. „Ich gucke eh anders, taktisch.“

Aber ganz zum Schluss, in der Shisha-Bar Escape, Müllerstraße, Ecke Belfaster, muss sie dann doch noch gestellt werden - die entscheidende Frage: Klappt's denn nun? Haben wir einen wie Häßler Werden wir wieder Weltmeister, Mister Meteor?

„Mit der Mannschaft?“, sagt Heinz Boock ohne zu Zögern. „Ohne Stürmer?“ Es klingt ein bisschen verächtlich und ein bisschen enttäuscht. „Nein“, sagt er. „Nein. Die müssen Glück haben, dass sie nicht in der Vorrunde nach Hause fahren.“

Aber die Spiele schaut er sich an, klar, trotz der späten Anstoßzeiten. Ein Leben mit dem Fußball, das ändert sich nicht mehr. Und wenn es dann doch klappen sollte, mit falscher oder richtiger Neun, wird auch Heinz Boock sich freuen, wie wir alle, drüben in seiner Wohnung, Englisches Viertel, Berlin-Wedding, alleine mit all den Erinnerungen.

Dieser Artikel erscheint im Wedding-Blog, dem Online-Magazin des Tagesspiegel.

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