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Baden im Geld. Der Abschied von der Mark sollte 2001 durch so manche Aktion erleichtert werden. In der Bundesdruckerei durften Kinder in gehäckselten Scheinen spielen.Foto: Reuters

© REUTERS

Berlin: Als die Mark zu Konfetti wurde

Vor zehn Jahren kam der Euro: Ein Preisvergleich von Döner bis Strafzettel.

Berlin/Potsdam - Drei Euro für ein Brot? Das sind ja fast sechs Mark! Solche Preise lassen sich eigentlich nur mit einem Bier in der nächsten Kneipe aushalten, das mit ebenfalls sechs Mark aber so unverschämt teuer geworden ist, dass man vor Schreck gleich noch ein … – So ungefähr funktioniert die „gefühlte Inflation“, von der oft die Rede ist. Zurzeit sogar besonders oft, denn vor zehn Jahren kam der Euro zu den Berlinern und Brandenburgern. Genauer gesagt kamen die zum Euro, der in den Geldautomaten auf sie wartete und schon in der Neujahrsnacht massenhaft dort herausgeholt wurde: Etwa 200 000 Abhebungen registrierte die Bankgesellschaft allein in der ersten halben Stunde nach Mitternacht. Und in den 13 Postfilialen, die am Neujahrstag eigentlich nur für die Bargeldversorgung kleinerer Läden geöffnet hatten, standen auch hunderte Privatkunden an. Die Plastiktütchen mit dem „Begrüßungsgeld“ von 10,23 Euro – das waren nicht nur fast, sondern genau 20 Mark – hatten viele schon zwei Wochen zuvor erworben.

Zwar sind die Brücken auf den Euro- Scheinen allesamt der Fantasie der Grafiker entsprungen. Aber dank der Münzen ist das Brandenburger Tor Zahlungsmittel von Lappland bis Sizilien geworden. Davon kann man sich als Berliner zwar nichts kaufen. Aber die Stadt profitiert. Die Tourismuswerber von Visit Berlin wissen von einer Untersuchung, dass das Brandenburger Tor zu den bekanntesten Symbolen weltweit zählt – gewissermaßen als europäische Freiheitsstatue. Zugleich „profitiert Berlin in besonderer Weise“ von der gemeinsamen Währung für mehr als 300 Millionen Menschen, wie Günter Päts vom Handelsverband sagt: Wer im Ausland mit vertrautem Geld bezahle, habe ein sicheres Gefühl für die Preise und sorge sich nicht um Umtauschgebühren und Restbestände, sondern könne unbeschwert einkaufen.

Arbeitsplätze sichert der Euro nicht nur im Handel, sondern auch in der Bundesdruckerei in Kreuzberg. Die Jahreskapazität der Gelddruckmaschinen und der rund 200 in der Banknotenabteilung Beschäftigten sei für 2012 schon ausgelastet, berichtet Sprecher Martin Gosen. Möglich mache es eine gewonnene Ausschreibung der Bundesbank über neue 100- und 200-Euro-Noten sowie ein Auftrag mehrerer Staaten unter Regie der niederländischen Zentralbank über 800 Millionen 20-Euro-Scheine. Letzteres bedeutet allein 16 Milliarden Euro, die in diesen Monaten Kreuzberg in bar und auf dem Landweg verlassen. Das sind mehr als 30 Milliarden (30 000 000 000) Mark!

Über die Bundesbank werden nicht nur erschlaffte Euro-Noten aus dem Verkehr gezogen, sondern auch die schier unerschöpflichen D-Mark-Bestände. 6,4 Milliarden Mark in Scheinen und 6,9 Milliarden in Münzen verzeichnet die „Information zum ausstehenden DM-Bargeld“ noch immer. Ein Teil davon kommt über die Modekette C & A herein, bei der weiter mit Mark und Pfennig bezahlt werden kann. Vergleichbare Angebote seien ihm nicht bekannt, sagt Päts. „Aber ich kann mir vorstellen, dass zum Jubiläum jetzt auch andere befristete Aktionen starten.“ Der – unbegrenzt mögliche und zeitlich unbefristete – Umtausch von DM verteile sich bundesweit relativ gleichmäßig, sagt ein Sprecher der Bundesbank. „Ausreißer sind nicht festzustellen.“

Bei den Preisen stellt Otto Normalverdiener dagegen jede Menge Ausreißer fest, bei denen die heutigen Euro-Preise den damaligen Mark-Tarifen gleichen. Besonders häufig werden Gastronomie und Lebensmittel genannt, bei denen die Diagnose statistisch auch eher zutrifft. Und weil man relativ oft essen geht oder Essen kauft, liegt die gefühlte Inflation deutlich über der realen. Letztere beziffert das Statistische Bundesamt auf 17 Prozent seit 2002, während die Löhne bundesweit nur um 11,2 Prozent stiegen. Zu D-Mark- Zeiten lag die Teuerung höher, aber die Löhne hielten mit ihr mit. Und ein Marktforscher hat ermittelt, dass der größte Preisschub nicht mit der Euro-Umstellung gekommen sei, sondern kurz davor. Päts erinnert an die damalige Selbstverpflichtung des Handels, die Preise exakt umzurechnen. Erst im Laufe der Zeit seien wieder die rein verkaufspsychologisch bedingten „Schwellenpreise“ üblich geworden: 3,06 Euro (vormals 5,99 DM) wurden zu 2,99 Euro – und 2,91 Euro (5,69 DM) ebenfalls.

Ein Blick ins Tagesspiegel-Archiv zeigt die Entwicklung realer Preise in Berlin: Einzelfahrscheine für BVG und S-Bahn kosten jetzt im Durchschnitt nur rund zehn Prozent mehr als 2002. Monats- und Jahreskarten haben sich mit etwa 20 Prozent deutlich stärker verteuert. Wobei der Verkehrsverbund die Tarife zur Umstellung durchweg abgerundet hatte. Dasselbe taten die Behörden mit den Strafen für kleine Sünden: Wer maximal zehn Stundenkilometer zu schnell fährt, kommt mit 15 Euro heute billiger weg als vor zehn Jahren (30 DM = 15,34 Euro). Dasselbe gilt für Autofahrer ohne Parkschein, die noch immer mit fünf Euro dabei sind. Der 2002 in Berlin bundesweit höchste Grundpreis für Taxifahrten ist dagegen um 28 Prozent gestiegen – was beim rund 60 Prozent teureren Sprit kein Wunder ist. Auch ein Berliner Grundnahrungsmittel ist überdurchschnittlich teurer geworden: Döner, einst meist für vier Mark erhältlich, kosten inzwischen vielerorts drei Euro. Bleibt zum Trost, dass die Zutaten einzeln eher noch teurer geworden sind. Rechnet man noch die Energie zum Fleischbrutzeln hinzu, wird der Döner richtig günstig.

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