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Die Grünstraße in Alt-Köpenick ist Berlins grünste Straße - zumindest dem Namen nach.

© Angie Pohlers

Alt-Köpenick: Gasse für Genießer: Die Grünstraße

Wo Schokolade als Obst gilt, Mitte Januar noch der Weihnachtsbaum steht und die Langsamkeit regiert: Ein Besuch in der Grünstraße und Berlins kleinstem Gemüsestand.

Die Fahrt ins Grüne dauert von der Friedrichstraße aus etwa 45 Minuten und führt weit in den Osten der Stadt: erst mit der S-Bahn bis Köpenick, dann in die Straßenbahnlinie 63 Richtung Adlershof. Aussteigen, wenn auf der Anzeige im Wagen „Freiheit“ leuchtet – natürlich. Hier, mitten in der Köpenicker Altstadt, liegt die grünste Berliner Straße, zumindest ihrem Namen nach.

An der Hauptmann-Skulptur und am backsteinernen Rathaus geht es vorbei und da beginnt sie schon: die Grünstraße. Die nicht besonders grün erscheint. Das war einmal, etwa bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts, als viele Häuser noch über große Gärten verfügten, in denen die Anwohner ernteten, was später auf den Tisch kam.

Hat heute natürlich keiner mehr nötig. Wobei der einzige Lebensmittelladen in der Straße nicht gerade Lust auf gesunde Ernährung macht: Man betritt ihn durch Berlins vielleicht kleinste Obst- und Gemüseabteilung. Suppengrün gibt es, ein paar Äpfel, Zwiebeln, Paprika, Orangen.

Keine Green-Smoothies, nur grüner Tee

Aber wer hält sich schon mit Vitaminen auf in dieser Straße, die einem ganz anderen Aspekt der Grünen Woche Rechnung trägt: naschen und schlemmen, bis der Hosenknopf abspringt. Kann man hier gut. In der 200 Meter langen, leicht gewundenen Gasse gibt es eine Eisdiele, drei Cafés, eine Chocolaterie, ein Thai-Restaurant.

Die zweitälteste Straße ist nicht lang, genügend Gelegenheiten zum Naschen gibt es bei drei Cafés und einer Chocolaterie aber.
Die zweitälteste Straße ist nicht lang, genügend Gelegenheiten zum Naschen gibt es bei drei Cafés und einer Chocolaterie aber.

© Angie Pohlers

Keine Green Smoothies, nur grünen Tee im winzigen Teegeschäft. „Solange Kakao auf Bäumen wächst, ist Schokolade Obst für uns“, steht trotzig-schenkelklopfend auf einem Schild. Die in der Grünstraße müssen es ja wissen.

Mitten durch die Altstadt führt die Grünstraße, übrigens Köpenicks zweitälteste Straße. Dementsprechend ticken die Uhren hier etwas anders. Vielleicht hat der alte Uhrenladen an der Ecke Kietzer Straße auch etwas damit zu tun, denn seine Schaufenster nehmen den Müßiggänger mit auf eine Zeitreise: goldene Medaillons wie aus Omas Schatulle, ledergeriemte Uhren wie an Opas Handgelenk. „Sind aber süße Geschäfte hier, echt goldig“, sagt da tatsächlich ein Mann, der vorübergeht, seine beiden Begleiter nicken bedächtig.

Alles flaniert gemächlich

Überhaupt scheinen sich die Fußgänger in der Grünstraße an eine insgeheim vereinbarte Höchstgeschwindigkeit zu halten. Alles flaniert gemächlich über das Kopfsteinpflaster, von Café zu Café, von Törtchen zu Süppchen. Kein Wunder, dass sich die Touristen-Information des Bezirks in der Grünstraße niedergelassen hat.

Und gleich gegenüber widersetzt sich der Weinladen den Zwängen der Zeit mit einem immergrünen Statement: Der geschmückte Weihnachtsbaum steht auch Mitte Januar noch vor der Tür. Man hat es nicht eilig mit dem neuen Jahr.

Während Treptow-Köpenick im Ganzen ja sonst eher Wurststulle und Döner ist, kann man die Grünstraße mit einem hausgemachten Croissant vergleichen – gibt es da auch, gleich neben den Uhren. Und sonst: keine Handyläden, keine Bars, dafür ein Antiquariat und einen Restaurator.

Das einzig Moderne in der Grünstraße sind wohl die Poller, die blinkend in die Erde sinken, wenn ein Anwohner vorfährt. Das Nagelstudio, dessen Angebot fast etwas schrill daherkommt, scheint sich mit grünen Wänden, grünen Möbel und etliche Topfpflanzen tarnen zu wollen. Nur die „Grüne 10“, einer von drei Dekoshops in der Straße, nimmt mit seinem Namen Bezug auf die Straße.

Man sieht schon die Dahme

Klar, „Grüner Daumen“ würde beim Nagelstudio auch in die Irre führen. Die „Grüne 10“ sagt alles und nichts aus, was ganz gut zum Angebot dieser Art von Läden passt, in denen man einkauft, was man nicht braucht, aber das dann plötzlich sehr dringend. Zum Beispiel einen Briefbeschwerer. Oder eine riesige grüne Vase, wie sie hier mitten im Raum steht.

Von derlei Kaufentscheidungen und einem vollen Bauch geplagt muss sich der Grünstraßenbesucher erst mal entspannen. Vielleicht läuft (oder schleicht) er kurz aus der Grünstraße raus, vorbei am Eckhaus in der Nummer 25, das 1888 für einen Bankdirektor errichtet wurde und heute unter anderem das Schlossplatztheater beherbergt.

Von hier aus sieht man schon die Dahme, ihr Ufer voll fetter Stockenten, die sich nicht um Besucher scheren. Das Wasser trägt Natur und brandenburgische Stille ein Stück weit in die Großstadt hinein und schmiegt sich nahe der Grünstraße – an der Dammbrücke nämlich – unauffällig in die Spree. Ein einsamer Kanut gleitet vorbei, die Enten schließen ihre Augen. Viel idyllischer kann es hier früher, in den alten Gärten der Grünstraße, auch nicht gewesen sein.

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