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Eingang zum Helmholtz-Zentrum Berlin, das den Forschungsreaktor betreibt.

© dapd

Radioaktivität erhöht: Am Atomreaktor Wannsee schlägt der Geigerzähler aus

Die Radioaktivität um die Forschungsanlage ist erhöht, aber gesundheitlich unbedenklich. Politiker fordern eine strengstmögliche Überprüfung und eine Flugverbotszone.

Berlin - Der 315 Seiten starke Jahresbericht zu „Umweltradioaktivität und Strahlenbelastung“ ist eine Lektüre für Liebhaber – aber für Berliner durchaus interessant. Denn das vom Bundesumweltministerium herausgegebene Werk legt den Eindruck nahe, dass Berlins einzige Nuklearanlage – der Forschungsreaktor des Helmholtz-Zentrums für Materialien und Energie am Wannsee – mehr Radioaktivität freisetzt als manches Atomkraftwerk.

Laut dem 2009er-Strahlenbericht ist der Boden im Umfeld des fast 40 Jahre alten Berliner Reaktors beispielsweise durch Cäsium-137 mit zwölf Becquerel pro Kilo fast doppelt so stark belastet wie der um Neckarwestheim und Biblis. Für Obst aus der Umgebung des Wannsee-Reaktors stehen 0,11 Becquerel pro Kilo durch Strontium-90 in der Liste – deutlich mehr als etwa in Biblis, Philippsburg und Krümmel. Auch die Jahresmittelwerte von Cobalt-60 sowie Jod-131 liegen in Berlin vergleichsweise hoch. Ohne Not würden die Berliner Betreiber den erlaubten Spielraum für ihre Anlage ausnutzen, moniert ein ehemaliger Anwohner, der sich in die Materie eingearbeitet hat.

Die Werte liegen nicht ansatzweise im problematischen Bereich. Aber sie wirken umso erstaunlicher, weil sich der Berliner Forschungsreaktor im Verhältnis zu den großen Atomkraftwerken ausnimmt wie ein Tischfeuerwerk neben Munitionsdepots. Das Helmholtz-Zentrum weist die Kritik scharf zurück: Weder werde der erlaubte Spielraum für den Ausstoß radioaktiver Stoffe voll ausgenutzt, noch seien die Werte aus dem Strahlenbericht einfach miteinander vergleichbar. Teilweise handele es sich um Nachweisgrenzen, die sich je nach Messverfahren unterscheiden. Die Strahlung gehöre zum natürlichen radioaktiven „Grundrauschen“. Und die Belastung mit Cäsium-137 sei ein Erbe der Katastrophe von Tschernobyl, „das hat mit uns nichts zu tun“, sagt Helmholtz-Sprecherin Ina Helms. Sie verweist auf eine Referenzfläche an einem Potsdamer Wasserwerk, die bei Messungen im vorigen Jahr stärker mit Cäsium belastet gewesen sei als eine Probe auf dem eigenen Gelände am Wannsee. Insgesamt ergebe sich durch die Berliner Anlage für die Nachbarschaft eine zusätzliche Belastung von 0,1 bis 0,2 Mikrosievert pro Jahr. Diese Dosis bekomme man in der freien Natur binnen weniger Stunden ab. Zudem sei darin auch die Emission aus der auf dem Areal befindlichen Sammelstelle für radioaktive Abfälle, etwa aus Berliner Kliniken, enthalten.

Im Widerspruch dazu stehen allerdings Daten des Bundesamtes für Strahlenschutz (BFS), laut derer die natürliche Radioaktivität im Süden Deutschlands höher ist als im Norden. Auch die Kontamination des Bodens durch Cäsium-137 infolge von Tschernobyl ist in Berlin im bundesweiten Vergleich gering. Ein seriöser Vergleich der Daten ist kompliziert, weil das (BFS) sie zwar zentral sammelt, aber von den Ländern erhält, die verschiedene Kriterien anlegen können.

Die Atomaufsicht ist Ländersache; in Berlin ist die Umweltverwaltung zuständig. Die will den Reaktor nun dem von der Bundesregierung vorgesehenen „Stresstest“ unterziehen. Details würden zurzeit erarbeitet. Die Grünen wollen einen Antrag ins Abgeordnetenhaus einbringen, der eine Überprüfung nach den strengstmöglichen Kriterien fordert.

Seit dem Herbst ist der Reaktor wegen Umbauarbeiten abgeschaltet. Die Mitarbeiter des Helmholtz-Zentrums hoffen, dass er im Juni wieder hochgefahren werden kann, weil sie ihn für die Materialforschung nutzen. Rund die Hälfte der etwa 800 Mitarbeiter des ehemaligen Hahn- Meitner-Instituts zwischen Wannsee und Griebnitzsee haben mit dem Reaktor zu tun. Der befindet neben einem Wohngebiet und unterscheidet sich von Atomkraftwerken für die Stromproduktion: Während ein AKW jährlich rund 1,5 Tonnen Uran benötigt, reichen in Berlin 2,5 Kilo. Im Reaktor herrscht auch kein Überdruck, die Brennstäbe für die Kernspaltung hängen in einem offenen Wasserbecken. Dieses befindet sich in einer Halle, die einem Flugzeugabsturz nicht standhalten würde. Berliner und Potsdamer Politiker fordern, die Flugrouten für Schönefeld weit um das Gelände herumzuleiten. Zurzeit müssen Flugzeuge mindestens 671 Meter hoch oder 1,5 Kilometer seitlich entfernt vorbeifliegen. Für den größten anzunehmenden Unfall gilt ein Evakuierungsradius von 2,5 Kilometern. Die Nachbarn bekommen regelmäßig Info-Zettel für den Ernstfall.

Radioaktive Gefahren in Wannsee? Diskussion mit Betreibern und Senatsvertretern am Dienstag, 12. April, 19 Uhr im Bildungszentrum Koblanckstraße 10.

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